Rohstoffknappheit Branche in der Krise

Schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine hatte die Süßwarenbranche mit Kostensteigerungen zu kämpfen. Der russische Überfall stellt die Industrie zusätzlich vor schwerwiegende Probleme, warnt der BDSI.

Dienstag, 03. Mai 2022 - Süßwaren
Manuel Glasfort
Artikelbild Branche in der Krise
Bildquelle: Manuel Glasfort

Stehen die Verbraucher in Deutschland bald vor leeren Süßwarenregalen? Hört man Bastian Fassin eine Weile zu, dann scheint die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Der Vorsitzende des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) zeichnete beim jährlichen Pressegespräch zur Lage der Branche ein düsteres Bild. Die Süßwarenindustrie sieht er in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine sei die Lage der Branche schwierig gewesen. Die Verwerfungen in den Lieferketten durch die Corona-Pandemie und die enormen Kostensteigerungen machten den Unternehmen zu schaffen. Bei Verpackungsmaterial wie bei Rohwaren sei die Situation bereits im Vorjahr schwierig gewesen. „Sicherlich war das Jahr 2021 schon geprägt durch die Corona-Einschläge. Aber was uns im Jahr 2022 ereilt hat, stellt alles in den Schatten, was uns vorher schon Probleme bereitete“, sagte Fassin.

Beispiel Weizen: Der Börsenpreis des für Gebäckhersteller wichtigen Getreides war seit Beginn der Pandemie von knapp 200 Euro je Tonne auf 270 Euro zum Jahreswechsel 2021/2022 gestiegen. Seit Kriegsausbruch ist der Preis auf 400 Euro je Tonne geradezu explodiert. Russland und die Ukraine zählen zu den größten Weizenexporteuren der Welt.

Beim Sonnenblumenöl standen die beiden Kriegsparteien bisher sogar für 78 Prozent der weltweiten Exporte. Das Öl wird knapp und teuer. Der Preis für Sonnenblumenöl sei um 136 Prozent in die Höhe geschossen, sagt Fassin. Hier sei auch die Verfügbarkeit gefährdet.

Sonnenblumenöl selbst ist wichtig für die Herstellung von salzigen Snacks wie Chips, Flips und anderen Knabberartikeln, die darin frittiert werden. Süßwaren wiederum enthalten oftmals Sonnenblumenleci-thin. Der Emulgator ist in Schokolade, Pralinen und Konfekt zu finden, wie Fassin erklärte. Im Moment seien die Unternehmen zwar noch mit Sonnenblumenlecithin versorgt, doch zur Jahresmitte bestehe das Risiko leerer Regale.

Alternativen zum Sonnenblumenlecithin gibt es. Sojalecithin und Rapslecithin können als alternative Emulgatoren verwendet werden – theoretisch. In der Praxis wirft der Austausch von Inhaltsstoffen Probleme auf. Denn es gibt Deklarationspflichten. Tauscht ein Produzent Sonnenblumenlecithin gegen Sojalecithin ein, muss er die Angabe der Inhaltsstoffe auf der Verpackung anpassen. Neue Verpackungen zu drucken, kostet allerdings Zeit.

Fassin sieht dabei ein weiteres Problem: „Wenn alle Verpackungen neu gedruckt werden müssen, dann ist das faktisch nicht möglich, weil einfach dieses Volumen nicht gestemmt werden kann.“ Er fordert von der Politik „flotte Lösungen, die unbürokratisch und nicht kostspielig sind“. Ansonsten „besteht das hohe Risiko, dass wir ab Mitte des Jahres im Süßwarenbereich leere Regale finden werden“.

Forderung:„Spielräume nutzen“
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fordert die Unternehmen auf, „Spielräume zu nutzen, die der bestehende Rechtsrahmen für Änderungen an der Etikettierung bietet“. Eine Sprecherin weist auf Anfrage unserer Redaktion auf die Möglichkeit hin, falsche Informationen auf der Verpackung nachträglich durch Etiketten zu überkleben. Fassin ist skeptisch. Ein Großteil der Produktion sei „gar nicht darauf ausgerichtet, Etiketten anzubringen, weil wir das in der Vergangenheit nicht durften“.

Seitens des BMEL heißt es weiter, man habe die Überwachungsbehörden der Bundesländer angehalten, „die bestehenden rechtlichen Spielräume verantwortungsvoll zu nutzen“ und Augenmaß walten zu lassen. Ob die Gespräche zwischen Politik und Industrie zu einer weitergehenden Lösung führen, war bei Redaktionsschluss nicht klar.
Doch ist die Situation tatsächlich so dramatisch, wie der Verband sie schildert? Ein Brancheninsider bestätigt unbestritten große Herausforderungen durch die immensen Kostensteigerungen. Das Szenario leerer Regale hält er mittelfristig für eher unwahrscheinlich. Für drohende Rohstoffengpässe arbeiteten Unternehmen bereits an Lösungen, auch wenn diese oft mit Mehraufwand und Mehrkosten verbunden seien. Die aktuellen internationalen und politischen Entwicklungen beobachte man in der Branche sehr aufmerksam.

Damoklesschwert Gasembargo
Über allem schwebt allerdings das Damoklesschwert eines Gasembargos (s. Seite 8), wie BDSI-Chef Fassin betont. Viele Unternehmen der Branche haben auf Blockheizkraftwerke gesetzt, um sowohl Strom als auch Prozesswärme zu erzeugen. Bereits vor Monaten hat sich der Gaspreis um ein Vielfaches erhöht. „Wenn wir kein Gas kriegen würden, müssten viele Süßwarenunternehmen die Produktion einstellen und kämen in wirtschaftlich extrem anspruchsvolle Situationen“, sagt Fassin.
Auch wenn das Gasembargo ausbleibt und die Branche ihre Produktion weiterhin aufrechterhalten kann: Die Preissteigerungen bei Vorprodukten, Verpackungen, Energie und Logistik kann sie nicht allein schultern, wie Fassin betont. In der Süßwarenbranche stünden Hunderte meist mittelständische Unternehmen einer Handvoll großer Handelsketten gegenüber. „Wenn die Nachfragemacht des Handels da in der alten Form ausgenutzt würde, wäre es im Moment extrem existenzbedrohend und arbeitsplatzgefährdend.“

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