Round Table Süßwaren „Verbote helfen nicht!“

Der Nachhaltigkeitstrend bei Süßwaren und Snacks reißt nicht ab. Das Round-Table-Gespräch der LP zum süßen und salzigen Sortiment spannt den Bogen von den Herausforderungen durch steigende Kosten über Regulierungspläne der Politik bis hin zu erfolgreichen Marketingaktionen.

Freitag, 08. April 2022 - Süßwaren
Manuel Glasfort
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Bildquelle: Getty Images

Nach zwei Jahren Corona kehrt die Gesellschaft langsam zur Normalität zurück. Wie hat die Pandemie die Süßwarenbranche verändert?
Dr. Jürgen Brandstetter: Das Thema Digitalisierung wurde notgedrungen vorangetrieben. Das gilt auch für das Arbeiten im Homeoffice. Da gibt es auch kein Zurück mehr. Gerade haben wir einen zweijährigen Modellversuch gestartet, wie das mobile Arbeiten künftig bei uns aussehen kann. Da wird jedes Unternehmen seinen eigenen Weg suchen. Corona ist für uns noch nicht vorbei. Die Lieferkettenproblematik, Schwierigkeiten im Bereich Logistik und Preisexplosionen bei manchen Rohstoffen sind damit verbunden – insbesondere weil jetzt ja noch der Ukraine-Krieg erschwerend hinzukommt.
Josef Stollenwerk: Eine Ergänzung: Wir hatten im Betrieb durch hohe Krankenstände Schwierigkeiten, die Produktion auf allen Linien aufrechtzuerhalten. Die Pandemie verlangt uns als Unternehmen auch Anfang 2022 definitiv sehr viel ab.
Frank Gemmrig: Ich glaube, neben den Herausforderungen durch Corona ergeben sich auch Chancen für die Branche. Zum einen betrifft das das Thema Digitalisierung: weniger Reisezeiten, engerer Kontakt zu Kunden über virtuelle Meetings. Zum anderen können wir neue Absatzkanäle erschließen. Das sehen wir im Ausland ganz extrem, dass auch die Süßwaren vermehrt über E-Commerce-Plattformen gekauft werden. Diese Chancen sollte unsere Branche jetzt nutzen.

Könnte der eine oder andere Hersteller versucht sein, am klassischen Handel vorbei einen Online-Vertrieb zu etablieren?
Gemmrig: Der Handel ist wichtig und richtig. Es gibt keinen Markt, an dem das E-Commerce-Geschäft am Handel vorbeigeht. Ganz im Gegenteil: Es wird einen Omnichannel geben, der Handel muss sich auch neu definieren. Wir sehen das in China. Dort gibt es das Offline- und das Online-Geschäft, die beide sehr stark sind und verzahnt werden. Da gilt es für uns als Hersteller, gemeinsam mit dem Handel zu überlegen: Wie können wir das bewältigen, wie bekommen wir die PS auf die Straße? Denn die Konsumenten haben ihr Einkaufsverhalten geändert und werden es nicht mehr zurückdrehen, wenn Corona vorbei ist.

Fazit I: Kosten und Verfügbarkeit bleiben schwierig

Welche Dinge machen Ihnen aktuell am meisten zu schaffen mit Blick auf Preise und Verfügbarkeit?
Brandstetter: Verpackungen sind bei uns ein großes Thema, was Verfügbarkeit und Lieferzeit betrifft, außerdem alles, was aus Fernost kommt. Aber wir haben schon letztes Jahr weitsichtig disponiert.
Joachim Mann: Bei uns ist es nicht nur das Verpackungsmaterial, sondern auch unsere Naturprodukte aus aller Welt. Ein weiteres Problem ist der Maschinenbau: Versuchen Sie aktuell einmal, sich jetzt eine neue Packstraße konzeptionieren zu lassen. Die Anbieter können Ihnen nicht zuverlässig sagen, wann in etwa irgendein Liefertermin sein könnte. Die Angaben schwanken zwischen 6 und 18 Monaten. Selbst der Maschinenbau in Deutschland hat extreme Probleme, irgendwelche verlässlichen Liefertermine zu nennen. Und die Preise bewegen sich inzwischen jenseits der Vorstellungskraft.
Konstantin Lebens:
Als Distributeur mit 50 Marken im Portfolio müssen wir uns auf neue Herausforderungen weltweit einstellen. Logistikengpässe, Energie- und Rohstoffknappheit und die daraus resultierenden Preisanpassungen sind wohl die größten Herausforderungen der nächsten Monate. Sicherlich sind die Vorlaufzeiten für Waren aus Amerika deutlich gestiegen. Aber auch wenn wir uns Waren aus der Schweiz anschauen, die zwar termingerecht produziert, aber mangels Lkw-Fahrern nicht ausgeliefert werden können, dann müssen wir auf diese geänderten Rahmenbedingungen reagieren. Flexibel zu bleiben ist aktuell besonders wichtig. Grundsätzlich hat uns aber die Sortimentsvielfalt geholfen. Wir decken verschiedene Kategorien mit mehreren Marken ab und bieten dem Handel viele Marken aus einer Hand.
Michael Lessmann:
Potenziale und Chancen gibt’s überall, und die Corona-Krise zwingt uns mehr denn je dazu, sie zu nutzen. Wir haben natürlich dieselben Verfügbarkeitsthemen wie alle anderen. Wir pflegen sehr gute und langjährige Beziehungen zu unseren Lieferanten, das hat sich wie so oft als Vorteil herausgestellt. Dabei geht es nicht immer um den letzten Cent, das hat sich in der Krise bewährt. Unsere Umsatzverluste aus mangelnder Verfügbarkeit sind daher verschwindend gering, wenngleich sie auch ärgerlich sind.

Die Hersteller wollen die Kostensteigerungen nicht allein schultern. Wie viel davon ist schon beim Endverbraucher angekommen?
Gemmrig: Ich glaube, wir sehen die Preiserhöhungen noch nicht durchgängig am Regal. Wenn ich durch die Handzettel gehe, bin ich erschrocken, mit welchen Preisschlachten der Handel unterwegs ist, um seine Position zu stärken. Wir alle wissen, dass die Kosten enorm gestiegen sind. Preiserhöhungen sind auf allen Ebenen der Lieferkette nötig, und es kann nicht sein, dass es auf einer Ebene hängen bleibt.

Wie preissensibel sind denn die Kunden bei Süßwaren?
Benjamin Löding: Zu Beginn der Pandemie hat der Kunde sich schon etwas gegönnt. Wenn ich mir die ersten Monate dieses Jahres angucke, dann weist unsere Preis-Einstiegsmarke Gut & Günstig deutlich stärkere Wachstumsraten auf. Das ist nicht ungewöhnlich am Anfang des Jahres, aber im Verhältnis zu den Vorjahren ist es bei uns deutlich stärker zu sehen. Mutmaßlich spielt die Inflation eine größere Rolle, weil sie auch in den Medien viel stärker in den Vordergrund gerückt ist.

Fazit II: Nachhaltigkeit wird bei den Verpackungen wichtiger

Das Thema Nachhaltigkeit liegt schon seit Längerem im Trend. Haben wir hier schon das Ende der Fahnenstange erreicht?
Sabine Schommer: Wir beobachten, dass der Nachhaltigkeitstrend nicht beendet ist, sondern im Gegenteil immer weiter läuft. Die Marktforscher stellen auch fest, dass das Bewusstsein für den Klimawandel weiter in den Vordergrund rückt. Da gibt es sicher auch noch Differenzierungsmöglichkeiten für die Hersteller. Pflanzenbasiertes Snacken ist nach wie vor ein großes und wachsendes Thema. Was wir noch beobachten, ist der gesundheitliche Zusatznutzen durch etwa zusatzreduzierte Produkte. Auch minimalistische Zutatenlisten finden Beachtung durch die Verbraucher. Relativ neu auf der Agenda ist das Thema Lebensmittelverschwendung. Der Gewinner unseres New Product Showcase in diesem Jahr nutzt auch das Fruchtfleisch der Kakaofrucht, statt es zu entsorgen.
Löding: Ich glaube nicht, dass der Verbraucher komplett reglementiert werden möchte. Eine gewisse Auswahl wird es ohnehin geben müssen. Wichtig wird sein, den Verbraucher bei den Themen Nachhaltigkeit und Gesundheit kommunikativ abzuholen. Und es wird darauf ankommen, das interaktiv zu machen. Neue Labels auf den Verpackungen genügen nicht. Die Entdecke-das-gut-Kampagne von Ritter Sport ist da ein gutes Beispiel. Der Verbraucher muss sich involviert fühlen, dann ist er eher bereit, einen höheren Preis zu bezahlen.
Solveig Schneider: Nachhaltigkeit ist das größte Thema bei den Produkt- und Verbrauchertrends. Auch im Bereich Verpackung tut sich ‚was, mehr noch als in den Vorjahren. Es wird Wert darauf gelegt, Plastik zu vermeiden und den Rezyklat-Anteil zu erhöhen.

Wie viel Spielraum gibt es denn überhaupt noch für umweltfreundlichere Verpackungen?
Mann: Alternative Lösungen werden immer mehr nachgefragt. Und dieser Druck erzeugt Innovationen. Wir haben die Verpackung 20 Prozent dünner gemacht. Das Ergebnis: weniger Verpackung bei gleicher Produktsicherheit. Und Letzteres ist eben auch wichtig. Nüsse, die ranzig sind, weil sie schlecht verpackt sind, helfen niemandem. Denn der CO2-Abdruck von Ware, die ich wegschmeißen muss, übersteigt die Einsparungen durch die Verpackung um ein Vielfaches. Wir sind auch Mitglied in der Recyclinginitiative „Holy Grail 2.0“ und arbeiten an der Kreislaufwirtschaft. Das Ziel für Seeberger ist klar: Zero Waste, also keinen Verpackungsabfall zu erzeugen.
Stollenwerk: Der Produktschutz und der Geschmack müssen im Vordergrund stehen, bei allen Bemühungen um mehr Umweltschutz. Es ist insofern ein schwieriger Spagat zwischen Nachhaltigkeit bei der Verpackung und Produktschutz.
Schneider: Als Verband wünschen wir uns, dass sich auch in der Abfallwirtschaft etwas ändert. Beim Recycling bleibt viel Potenzial ungenutzt, weil die Sortiermaschinen darauf nicht ausgelegt sind und Materialien nicht erkennen. Wenn beispielsweise die Verpackung von einem Schokoriegel zusammengeknüllt ist, erkennt die Maschine sie meist nicht. Dadurch gehen viele Ressourcen dem Recyclingkreislauf unnötig verloren.
Lessmann: Es gibt noch einen weiteren Aspekt: Wir sehen einen Trend zu immer mehr Pseudo-Öko-Verpackungen im Markt. Diese sehen wie Papier aus, sind aber nicht aus Papier und lassen sich auch nicht entsprechend recyceln. Da muss der Gesetzgeber ran, finde ich.

Fazit III: Europaweite Regulierung statt nationaler Insellösungen

Wo wir bei Forderungen an die Politik sind: Was erwarten Sie vom Ernährungsminister Cem Özdemir?
Mann: Für uns als international agierendes Unternehmen ist wichtig, dass wir keine deutsche Regulierung bekommen, sondern europaweit gültige Lösungen. Wir haben aktuell in Frankreich schon andere Kennzeichnungspflichten und andere Anforderungen an nachhaltige Verpackungen und deren Kommunikation. Wenn das so weitergeht, brauchen wir für jedes Land eine eigene Verpackung. Fortschritt und Veränderung – sehr gern, aber bitte auf europäischer Ebene abgestimmt. Mit vielen Insellösungen wird niemand glücklich.
Gemmrig: Ich glaube, Verbote helfen nicht. Am Ende braucht es Aufklärung. Wir bewegen uns in einer Branche, in der es um zuckerhaltige Produkte geht. Und alle wissen, dass Zucker im Übermaß nicht gesund ist. Aber bei Süßwaren ist es ein bewusster Genuss. Das Hauptthema ist der versteckte Zucker. Nachdenken muss man auch darüber, wie man die Bevölkerung und insbesondere die Jugend wieder zu mehr Bewegung und einer ausgewogeneren Ernährung animieren kann. Insofern hoffe ich, dass Herr Özdemir weise agiert und nicht auf Verbote setzt.
Stollenwerk: Die Aufklärung über gesunde Ernährung muss in den Schulen beginnen. Ich würde mir von der Politik wünschen, das im Schulunterricht stärker in den Fokus zu nehmen, neben Sport und Bewegung. Das ist aus meiner Sicht zielführender als Verbote.

Nach dem deutschen Lieferkettengesetz soll es nun auch eine europäische Regelung geben. Wie ist die Haltung des Branchenverbands BDSI dazu?
Schneider: Grundsätzlich begrüßen wir, dass es eine europäische Lösung gibt. Diese geht deutlich über die deutsche hinaus. Wir begrüßen sehr, dass die Zertifizierung beispielsweise für Kakao anerkannt wird. Problematisch bleibt aus unserer Sicht grundsätzlich, dass Probleme auf die Wirtschaft abgewälzt werden, für die die Politik bessere Hebel hat. Kinderarbeit zum Beispiel ist in vielen Ländern verboten, aber es wird von den Regierungen vor Ort nicht ausreichend kontrolliert oder Verstöße werden nicht geahndet.

Fazit IV: aktionen profitieren von Social-Media-Unterstützung

Wie haben Sie Impulskäufe in letzter Zeit gefördert? Gibt es Promotions, die besonders gut gezündet haben?
Stollenwerk: Wir haben unsere Marketingaktivitäten im Bereich Skisprung intensiviert. Das lief vom Sponsoring im TV-Programm bis hin zu Promotion in den Märkten. Das Ganze haben wir natürlich auf Social Media begleitet. Damit konnten wir positive Akzente setzen. Und es hat sich auch sehr absatzfördernd ausgewirkt.
Gemmrig: Auch wir haben Erfahrungen damit gemacht, PoS-Aktionen durch Social Media zu verlängern. Inzwischen kann man die Social-Media-Aktivitäten so gut regional aussteuern, dass der Handel auch daran partizipieren kann. Wenn Hersteller und Handel kooperativ neue Aktionen entwickeln und sich überlegen, wie sie neue Zielgruppen ansprechen können, dann ist das eine Win-win-Situation. Das wird zukünftig zunehmen, weil junge Generationen dafür offener sind.
Brandstetter: Wir wollten mit klassischen Verkostungsaktionen auf die Verbraucher zugehen, was dann wegen Corona nicht mehr möglich war. Aus diesem Grund haben wir einen Verkostungs-Glücksspielautomaten entwickelt und in die Märkte gebracht. Im Zusammenspiel mit Social Media hat das für den Handel und für uns sehr gut funktioniert.
Löding: Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit Aktionen, bei denen der Marken-Fit passt: Multibuy- oder Verlosungsaktionen. Mit Haribo haben wir zum Beispiel eine Verlosungsaktion mit Tonie-Boxen durchgeführt. Das hat sehr gut funktioniert. Die zugehörigen Tonie-Figuren haben wir am Süßwarenregal platziert, um Cross-Selling-Potenziale auszuschöpfen. Wir hatten mit Haribo gemeinsam eine Anzeige gestaltet und diese über den Handzettel und sämtliche Social-Media-Kanäle bei uns gespielt. Das war eine unserer erfolgreichsten Süßwaren-Vermarktungsaktionen in letzter Zeit.

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