Klimawandel Kakao war gestern – wie Foodtechs die Schokolade neu erfinden

Hintergrund

Der Klimawandel sorgt für sinkende Kakaoernten und steigende Preise. Die Industrie braucht Alternativen für die schokoaffinen Konsumenten. Nachhaltige Impulse liefern Start-ups.

Mittwoch, 23. April 2025, 05:41 Uhr
Susanne Klopsch
Schokolade ohne Kakao – wie Start-ups neue Alternativen entwickeln
„Zellbasierte Produktion könnte ein Gamechanger sein“, sagt Adrian Kirste, Konsumgüter-Experte bei Kearney.
Was hier so schön schokoladig-cremig fließt, hat noch nie eine Kakaobohne gesehen: Choviva wird aus Sonnenblumenkernen hergestellt. Bildquelle: Choviva, Kokomodo, Kearney, Narjes Almaddah

Adrian Kirste sieht die Schokoladenindus­trie an einem Wendepunkt. Er ist Partner bei der Unternehmensberatung 
Kearney und dort der Konsumgüter-Experte. Die Probleme: Zwischen 2014 und 2024 stiegen die Kakaopreise weltweit um 177 Prozent. Der Klimawandel beeinträchtige den Anbau an der Elfenbeinküste – von dort stammen 70 Prozent der Kakao-Weltproduktion. Zudem fielen fast 20 Prozent der Ernte Pflanzenkrankheiten zum Opfer. „Gleichzeitig wächst die globale Nachfrage jährlich um 3,5 Prozent, besonders in Europa und Nordamerika“, sagt Kirste. Es müssten 
Alternativen für Kakao her.

Einige der alternativen Kakaoprodukte kommen aus dem Labor: Auf zelluläre Landwirtschaft setzt das israelische Foodtech-Start-up Kokomodo rund um Gründerin Tal Govrin. „Anstatt Bäume zu pflanzen und Jahre zu warten, bis die Bohnen geerntet werden können, fangen wir mit einer einzigen Kakaozelle an und bauen das, was wir brauchen, in Bioreaktoren an. Es ist immer noch echter Kakao, nur intelligen­ter und nachhaltiger produziert“, sagt die CEO. Im Labor sei es möglich, alle paar Tage Kakaobohnen zu ernten und zu fertigem Kakaopulver zu verarbeiten. Dieses sei frei von Verunreini­gungen wie Pestiziden oder Schwermetallen, die über den Standort der Kakaoplantage in die Pflanze gelangten. „Außerdem können wir so die natürlichen Gesundheitsvorteile des Kakaos, wie Antioxidantien und Polyphenole, schützen“, sagt Govrin. Diese seien interessant für Nahrungsergänzungsmittel und funktionelle Lebensmit­tel. In einem israelischen Business-Channel wurden – zur Freude des Moderators – jüngst Pralinen verkostet, die mit Kokomodo-Kakao hergestellt wurden.

Für Adrian Kirste sind solche Technologien oder die sogenannte CEA eine neue Chance. Unter der Abkürzung CEA (Controlled Environment Agriculture) werden Anbaumethoden in Gewächshäusern unter kontrollierten Bedingungen zusammengefasst. „Gerade für Unternehmen, die ihre Lieferketten diversifizieren und Risiken minimieren wollen, können diese Technologien entscheidend sein.“ Noch sei zellbasierter Kakao etwa fünfmal teurer als das herkömmlich hergestellte Produkt: „Mit zunehmender Skalierung und technologischen Fortschritten erwarten wir, dass der Labor-Kakao innerhalb von zehn Jahren preislich mit herkömmlichem konkurrieren kann, langfristig soll dieser sogar noch günstiger werden.“ Kirste geht noch etwas weiter: „Zellbasierte Produk­tion könnte ein Gamechanger sein, um die Umweltauswirkungen langfristig zu reduzieren.“ Er sieht die Zukunft der Schokolade in hybriden Modellen. Und fordert von der Industrie Innovationsfreude und Investitionsbereitschaft.

Fermentation liefert die Aromen

Ein Pionier im Bereich der kakaofreien Schokoladenalternativen ist hierzulande Planet A Foods mit der Marke Choviva. 2021 gründeten die Geschwister Dr. Sara Marquart und Dr. Maximilian Marquart das Unternehmen. Sie setzen auf europäische Sonnenblumenkerne, die fermentiert werden: „Kurze Lieferwege und der Verzicht auf Abholzung ermöglichen eine nachhaltige Produktion. So reduziert Choviva den CO₂-Fußabdruck im Vergleich zu Schokolade und spart dabei ungefähr 80 Prozent der CO₂-Emissionen ein“, sagt Maximilian Marquart. Hierzulande ist Choviva bislang vor allem in Keksen, als Überzug für Erdnussdragees, Puff-
reis oder im Müsli im Einsatz. Mit dem Lidl-Os-terhasen stoßen die Geschwister eine neue Tür für Kakao-Alternativen auf. Finanziell haben sie sich in einer Series-B-Finanzierungsrunde das Polster (28 Millionen Euro) zur Expansion verschafft. Choviva gibt es nun auch in Österreich, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. Außerdem soll 2025 die Produktion auf mehr als 10.000 Tonnen erhöht werden, sagt Sara Marquart.

Zutaten- und Aromenhersteller Döhler aus Darmstadt stieg 2024 beim Start-up Nukoko ein. Die Briten arbeiten an einer Schokoladenalternative auf Basis von fermentierten Ackerbohnen. Döhler begleitet derzeit nach eigenen Angaben den Prozess in eine industrielle Produktion. Spannend sei das Nahrungsprofil der Schokoalternative: Sie enthalte 40 Prozent weniger Zucker als herkömmliche kakaoba­sier­te Produkte, zudem mehr Proteine, Ballaststoffe, Antioxidantien. Während bei Nukoko noch Arbeit ansteht, hat Döhler Ende des ersten Quartals 2025 eine sogenannte All-in-one-Solution auf den Markt gebracht. Das hitze- und backstabile Pulver kann laut Döhler den Anteil von Kakaopulver in Produkten wie Muffins oder bei Fettfüllungen um bis zu 50 Prozent reduzieren. Das Pulver basiert auf Johannisbrot­pulver, Gerstenmalz sowie Farbkonzentraten für die nötige „Schokooptik“.

Der Gesetzgeber 
redet mit

Kakao aus dem Labor statt von der Plantage? Bevor eine Kakao-Alternative den Weg in Lebensmittel antreten kann, müssen regulatorische Hürden überwunden werden. In den USA ist die Behörde FDA für die Prüfung zuständig, die US Food and Drug Administration. Adrian Kirste von der Unternehmensberatung Kearney geht von einem Zulassungsprozess von etwa ein bis drei Jahren aus. „Während bestehende Zulassungen für zellbasierte Produkte vor allem den Fleisch- und Fischsektor betreffen, wäre eine Zulassung für pflanzenbasierte Zellkulturprodukte neu.“ Der Konsumgüterexperte ist grundsätzlich optimistisch, dass die Marktreife in absehbarer Zeit erreicht werden könnte.

Prüfung zieht sich über Monate hin

In der EU braucht es eine Einzelfallprüfung, ob es sich bei einer Kakao-Alternative um ein neuartiges Lebensmittel nach der Novel-Food-
Verordnung handelt. Das kann einige Monate dauern. Ist der Antrag bei der EU eingegangen, geht er an die Mitgliedsstaaten. Zudem muss die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den Antrag wissenschaftlich bewerten. Dafür hat sie neun Monate Zeit (ab Antragstellung). Bei traditionellen Produkten aus Drittstaaten, die neu in der EU zugelassen werden sollen, verkürzt sich die Frist auf sechs Monate.

Grenzen für den 
Kakaobutter-Ersatz

Die Kakao-Verordnung erlaubt bei anderen pflanzlichen Fetten als Kakaobutter (Cocoa Butter Equivalents – CBEs) in Schokoladerzeugnissen derzeit nur einen Anteil bis zu 
5 Prozent. Der Ersatz muss zudem in der Anlage der Verordnung genannt sein. Außerdem muss auf der Verpackung gesondert auf ihn hingewiesen werden. „Davon machen unserem Kenntnisstand nach nur wenige Hersteller Gebrauch“, sagt Dr. Torben Erbrath, Geschäftsführer des BDSI.

Nebenstrom Mangokern nutzen

Kakaobutter ist ein wichtiger Textur- und Geschmacksgeber in Schokolade oder Pralinen. Hier kommt die Mangolade von Kathrin Schumilin ins Spiel: Die junge Frau studiert an der Universität Bonn molekulare Lebensmitteltechnologie. Sie stieß bei Forschungen zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung auf Mangokerne. Diese enthalten viele wertvolle Fette, Proteine und Mineralien, ähneln ernäh­rungsphysiologisch den Nüssen: „Es ist doch verrückt, dass wir jedes Jahr tonnenweise Mangokerne wegwerfen.“ Sie will diesen „unsichtba­ren“ Nebenstrom nutzen, eine klimafreundlichere Alternative etwa zu Kakaobutter zu schaffen. Die Idee zur Mangolade war geboren. Mango­butter hat laut Schumilin einen neutralen Geschmack, mit leicht nussigem Unterton: „In ihrer jetzigen Form beeinflusst sie das Endprodukt geschmacklich kaum, was sie sehr vielseitig einsetzbar macht, etwa in Schokoladentafeln, Pralinen, Riegelfüllungen oder als Überzug für Kekse.“ Dank des nahezu identischen Fettsäureprofils habe Mangobutter „ein ähnliches Mundgefühl und das typische Knackgeräusch von Schokolade“. Es wäre sogar denkbar, dass sie den Nutri-Score von Produkten verbessern könnte: „Aber das ist noch Zukunftsmusik, da wir dafür noch umfassende Studien benötigen“, sagt Schumilin.

Sie will nun ihr Studium abschließen und sich dann auf das Projekt Mangolade und die Gründung konzentrieren. Rat kann sie sich bei ihrem künftigen Co-Foun­der holen, Sabir Naghiyev. Er bringe zwölf Jahre Erfahrung im Vertrieb mit und „unterstützt mich besonders bei ökonomischen Fragestellungen, da er ein tiefes Verständnis für Business Development hat“.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen „Zellbasierte Produktion könnte ein Gamechanger sein“, sagt Adrian Kirste, Konsumgüter-Experte bei Kearney.
Bild öffnen Der Erste seiner Art: Bei Lidl gab es den Favorina-Osterhasen mit Choviva, produziert von Wergona Schokoladen.
Bild öffnen Guten Appetit: Tal Govrin vom Start-up Kokomodo genießt eine Tasse Kakao, mit Kakao aus ­zellulärer Landwirtschaft.
Bild öffnen Kathrin Schumilin studiert in Bonn molekulare Lebensmitteltechnologie. Sie forscht an einem ­Kakaobutterersatz aus Mangokernen.