Die Nestlé-Tochter Nespresso setzt als erste Marke in Deutschland auf eine heimkompostierbare Kapsel auf Papierbasis. Überraschend, finden viele in der Branche. Schließlich hatte Nespresso, während sich die meisten großen Kaffeeröster bereits seit 2019 an kompostierbaren Materialien probieren, bisher ausschließlich auf Aluminium gesetzt. Wegen des Geschmacks, versteht sich. Die Alu-Kapsel schützt das Kaffeepulver durch ihre hohe Dichte am besten vor dem Kontakt mit Sauerstoff, der dieses geschmacklich altern lässt. Nespresso verteidigte immer wieder die Umweltfreundlichkeit des Metalls – mit der hohen Recyclingfähigkeit und der guten Zusammenarbeit mit dem Sortiersystem des Grünen Punkts in Deutschland. Belegt wurde das auch durch Studien, die Nespresso dafür in Auftrag gegeben hatte.
Die Verbraucher sollen nun eine weitere Auswahlmöglichkeit bekommen. Die neue Kapsel besteht aus Papierzellstoff – zumindest zu 82 Prozent. Nespresso-Deutschland-Geschäftsführer Alessandro Piccinini ist mit dem Produktstart zufrieden: „Wir sehen schon jetzt, dass wir damit auch neue Käufergruppen ansprechen.“ Die papierbasierten Kapseln sind seit September letzten Jahres exklusiv in vier ausgewählten Boutiquen in Deutschland verfügbar. Im Februar startete die deutschlandweite Vermarktung.
Der Verbraucherverein Deutsche Umwelthilfe (DUH) kommentiert den Launch kritisch: „Die papierbasierte Kapsel von Nespresso sorgt nicht für weniger Müll – Einweg bleibt Einweg.“ Und das im Einzelportion-Segment durchaus ein umsatzbremsendes Problem. Insgesamt entstanden im Jahr 2022 nach Berechnungen der DUH rund 9.700 Tonnen Müll durch Kaffeekapseln. Davon entfallen circa 5.200 Tonnen auf die Kapselkörper selbst und circa 4.500 auf die Umverpackungen der Kapseln. Von den rund 5.200 Tonnen Müll durch Kapselkörper entfallen nach Berechnungen der DUH circa 60 Prozent auf Alukapseln und circa 40 Prozent auf Kapseln aus herkömmlichem Plastik und Bioplastik.
Auch die Papierkapseln von Nespresso müssen aktuell noch im Restmüll entsorgt werden. Sie sind zwar von TÜV Austria als „OK home compost“ und „OK compost industrial“ zertifiziert. In die Biotonne dürfen die Kapseln in Deutschland trotzdem nicht. „Wir arbeiten mit Partnern an einer Lösung“, sagt Nespresso-Chef Piccinini auf LP-Anfrage. Ein Blick auf die bewegte Geschichte der Kaffeekapsel in Deutschland zeigt jedoch, dass die Zusammenarbeit mit den deutschen Abfallentsorgern die sprichwörtliche Achillesferse kompostierbarer Produkte zu sein scheint. Denn: An einer kompostierbaren Variante der Kaffeekapsel haben sich seit 2019 in Deutschland bereits fast alle großen Kaffeeröster probiert.
Neue Verpackungsrichtlinie macht Druck
Lavazza stellte als erster großer Hersteller sein Kapselsortiment auf den kompostierbaren Kunststoff um. Edeka folgte im September 2020 mit ihrer Eigenmarke Gut & Günstig. Dallmayr war mit Gran Verde mit einer kompostierbaren Kapsel im Supermarktregal vertreten. Das Problem: Nur wenige der abfallverarbeitenden Unternehmen in Deutschland können die als kompostierbar zertifizierten Materialien verwerten. Die Kapseln werden in der Regel vor Kompostierung aussortiert und landen in der Müllverbrennung. Der Verbraucherverein Foodwatch mahnte deshalb den Hersteller J. J. Darboven 2022 für seine Werbung der „Green Cups“ der Marke Mövenpick als „kompostierbar“ oder „biologisch abbaubar“ ab. Darboven unterschrieb eine Unterlassungserklärung.
Nespresso soll das nicht passieren. „Die papierbasierte Kapsel empfehlen wir vor allem jenen Kunden, die zu Hause kompostieren“, so Piccinini. Wie viele Menschen in Deutschland einen Heimkompost haben, ist recht unklar. Die aktuellste Schätzung des Statistischen Bundesamtes betrifft das Jahr 2020. Von 14,4 Millionen Tonnen Bioabfall sollen 2,6 Millionen Tonnen zu Hause kompostiert worden sein. In Frankreich und Italien darf die papierbasierte Kapsel von Nespresso bereits in die Biotonne.
Holger Preibisch, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbands, erwartet auch in Deutschland im Rahmen der Umsetzung der europäischen Verpackungsrichtlinie in nationales Recht eine Anpassung, die es dann auch hierzulande möglich macht, kompostierbare Materialien in die Biotonne zu werfen. Bisher sieht die Richtlinie vor, dass ab dem 1. Januar 2030 bestimmte Einwegverpackungen – und dazu zählen auch Kaffeekapseln – aus Kunststoff grundsätzlich verboten werden. Allerdings mit vielen teilweise anlassbezogenen Ausnahmen. Verpackungen, die zu weniger als 70 Prozent recyclingfähig sind, gelten ab 2030 als nicht recycelbar und dürfen nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Vorerst zählt jedoch lediglich die theoretische Recyclingfähigkeit der Verpackungen.
Ab 2035 fließt laut EU-Verpackungsverordnung in die Bewertung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen zusätzlich zur theoretischen Recyclingfähigkeit auch mit ein, ob die Verpackungen tatsächlich in großem Maßstab recycelt werden. Ab 2038 gilt für Verpackungen, die zu weniger als 80 Prozent recyclingfähig – theoretische Recyclingfähigkeit und tatsächliches Recycling – sind, ein Vermarktungsverbot.
Aluminiumkapsel bleibt
Die Recyclingquote für Aluminiumverpackungen lag im Jahr 2021 laut Umweltbundesamt in Deutschland bei 62,4 Prozent. Ein Verbot der Aluminiumkapsel ist laut Verpackungsexpertin Sonja Bähr von Berndt und Partner Creality jedoch sehr unwahrscheinlich. Eine Aluminiumkapsel sei heute zu über 95 Prozent recyclingfähig. Die Aluminiumkapseln für den Heimgebrauch der Nestlé-Tochter bestehen seit einigen Jahren aus mindestens 80 Prozent recyceltem Aluminium. „Wir unterstützen auch weiterhin die Verwendung von Aluminium“, positioniert sich Nespresso-Deutschland-Chef Piccinini.
Trotzdem warnt Verpackungsexpertin Bähr vor Materialverboten. Wenn die Verpackungsrichtlinie in den verschiedenen EU-Ländern streng ausgelegt werde, sei die verlangte Recyclingfähigkeit für sehr viele Materialien und die darin verpackten Produkte schwer zu erreichen. „Kaffeekapselhersteller, die bislang in Kunststoff verpackt haben, müssen jetzt, um weiter Märkte mit strengeren Vorschriften bedienen zu können, auf kompostierbare Alternativen umstellen“, sagt Bähr. Da gelte es natürlich auch für Nestlé mitzuhalten. Ob Papier jedoch das passende Material sei, bezweifelt die Expertin. Papier allein sei nicht in der Lage, allen Ansprüchen an eine Kaffeeverpackung gerecht zu werden. Notwendige Barrieren oder zusätzliche Stabilisatoren gefährden jedoch die Kompostierbarkeit der Kapsel. „Ob die neue Norm mit Papierkapseln eingehalten werden kann, ist für mich unklar“, so Bähr. Papierverpackungen kommen auf eine Quote von 85,1 Prozent. Verpackungen aus Glas auf 80,3 Prozent. Beide Materialien haben jedoch separate Sammelsysteme, was die Verwertungsquote deutlich erhöht.
Prinzipiell funktioniert das auch für Kaffeekapseln, wie ein herstellerübergreifendes Sammelsystem für alle Arten von Kapseln in Österreich zeigt. Seit dem Start wurden in den Pilotregionen Oberösterreich, Krems-Land und Schwechat über 120 Tonnen Kaffeekapseln gesammelt. Neben der Rückführung von Aluminium und Kunststoff in den Wertstoffkreislauf wurde auch der Kaffeesatz weiterverwertet – etwa zu Kaffeeerde, Ölbindemitteln und Möbelwerkstoffen. Das Projekt konnte das Potenzial für ein vollständiges Closed-Loop-Recycling dieser Sammlung nachweisen. 2025 sollen erste großindustrielle Tests folgen.
Hersteller bringen sich in Position
Neben Nestlé bringen sich auch weitere Hersteller in Position. Der My-Coffee-Cup-Hersteller Unicaps ist seit 2017 am Markt. Seine kompostierbaren Nespresso-kompatiblen Produkte sind unter anderem bei Rewe verfügbar. Nach einer Beteiligung des Verpackungsunternehmens Schoeller Group will Unicaps nach eigenen Angaben international expandieren. Der norddeutsche Kaffee-Experte Hagenbeck startete im Februar mit einer heimkompostierbaren Kaffeekapsel aus Bagasse – ein Restrohstoff, der bei der Zuckerrohrproduktion übrig bleibt. Sowohl die Kapseln von Unicaps als auch von Hagenbeck müssen im Restmüll entsorgt werden. In die Biotonne darf dagegen die Einzelportion der Marke CoffeeB der Migros-Tochter Delica. Die Kaffeeportion ist in Alginat auf Basis von Braunalgen verpackt. Laut Hersteller trägt die Kaffeekugel unter anderen das deutsche TÜV-Siegel DIN Certco. Delica konnte die Technologie bereits an Keurig Dr Pepper in den USA vermarkten, der sich gerade in der Testphase für eigene Produkte befindet. Weitere Gespräche über Lizenzierung werden laut Unternehmen aktuell weltweit geführt.
Um den Kugel-Kaffee von CoffeeB zuzubereiten, muss eine passende Maschine gekauft werden. Vertriebspartner Mediamarkt-Saturn sprang nach kurzer Zeit ab und überließ den Verkauf der Edeka-Gruppe. „Wir sind sehr zufrieden und suchen zurzeit keine weiteren Vertriebspartner“, heißt es auf LP-Anfrage bei Delica. Mit Start im April 2023 habe das Unternehmen im Jahr 2024 einen Marktanteil von 11,2 Prozent im Bereich der Einzelportionsmaschinen erreicht. Über 275.000 Maschinen seien bereits in Deutschland verkauft worden.