Die EU überfordert aktuell Bio-Produzenten aus dem Globalen Süden. Zum 31. Dezember 2024 muss die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten (EUDR) angewendet werden. Ebenfalls ab nächstem Jahr gelten neue Regeln für Bio-Importe gemäß der EU-Öko-Verordnung 2018/848. Die Vorbereitungszeit auf die Regulierungen reicht nicht, Lieferketten seien gefährdet, warnen Verbände.
Hinter den Verordnungen stecken gute Absichten: Die EUDR zielt auf den Schutz der Wälder ab. Die neuen Regeln für Bio-Importe aus Drittländern sollen gewährleisten, dass die dortigen Zertifizierungsstandards mit denen nach EU-Öko-Verordnung „übereinstimmen“ (zuvor reichten „gleichwertige“ Standards).
Grundsätzlich seien diese Regulierungen notwendig, um den Schutz der Umwelt und die Einhaltung fairer Standards weltweit zu gewährleisten, betont Eike Mehlhop, Geschäftsführer der Allos Hof-Manufaktur (Ecotone). Doch: „Besonders in Ländern, in denen die Infrastruktur und die finanziellen Mittel begrenzt sind, könnten diese Regulierungen zu einem Rückgang der biologischen Produktion führen.“ In der Folge befürchtet er eine Verknappung und Verteuerung von Kakao, Kaffee und anderen Agrarprodukten.
Dass die gesetzlichen Initiativen, „obwohl sie teilweise gut gemeint sind, gegenteilige Konsequenzen nach sich ziehen könnten“, meint auch Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN).
Fristen zu kurz
Die Herausforderungen sind vielfältig. So erfordert die EUDR von Unternehmen vor allem eine Erklärung, dass für bestimmte Produkte wie Kakao oder Kaffee seit dem 31. Dezember 2020 kein Wald gerodet oder beschädigt wurde. Unternehmen, die sich nicht an die Vorschriften halten, drohen Strafen von mindestens 4 Prozent ihres Jahresumsatzes in der Europäischen Union.
Die Umsetzung bedeutet für Produzenten im Globalen Süden zusätzliche bürokratische Aufwände. Unter anderem müssen geografische Koordinaten der Grundstücke erfasst werden, auf denen die Rohstoffe erzeugt wurden. Gerade kleinere bäuerliche Strukturen könnten geschwächt werden, die zum Beispiel die hohen Anforderungen an Dokumentation und Nachweisführung per Geolokalisierung nicht schnell genug erfüllen können, befürchtet Jäckel.
Lebensmittelverbände fordern daher eine Fristverlängerung für Produzenten bei der Umsetzung. „Außerdem sollte die EU ein Gesetzesmonitoring gemeinsam mit den Herkunftsländern und indigenen Gruppen ausgestalten, das die Auswirkungen auf diese Gruppen sorgfältig überwacht und auswertet“, so Jäckel. Die Verordnung sollte danach entsprechend angepasst werden.
Öko-Verordnung praxisfern
Ebenfalls mehr Zeit fordern Verbände für die Anpassung an Regeln der EU-Öko-Verordnung, die ab Anfang 2025 Änderungen für Importe aus Drittstaaten bedeuten soll. Eine Vorgabe: Die Kontrollstellen in den Ländern müssen neu zugelassen werden. Aktuell sei dies jedoch erst für etwa die Hälfte der Kontrollstellen geschehen, erklärt der Bundesverband Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Erst im nächsten Schritt können die Kontrollstellen Produzenten zertifizieren. Entsprechend ziehen sich die Verzögerungen durch.
Eine Fristverlängerung von zwölf Monaten fordert der BÖLW, Fairtrade International fordert 15 Monate. Ein Aufschub bis 15. Oktober 2025 sei derzeit im Gespräch, so der BÖLW, doch auch diese Frist sei zu kurz. Nach Aussage des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung gegenüber der LP ist ein Aufschub noch immer in Prüfung, also ungewiss.
Nicht nur der knappe Zeitrahmen stellt ein Problem dar. Kritisch sieht Fairtrade auch, dass Erzeugergemeinschaften, die konventionellen wie auch Bio-Landbau betreiben, künftig konventionellen Mitgliedern kündigen müssten, wenn sie Bio-Produkte in die EU exportieren wollen. Um neue Betriebsgrößen- und Bio-Umsatzgrenzen (weniger als 5 Hektar Gesamtfläche oder weniger als 25.000 Euro Bio-Umsatz und maximal 2.000 Mitglieder) einzuhalten, müssten damit die meisten zertifizierten Gruppen neue Rechtsformen gründen, um die EU-Zertifizierung zu erhalten. Als „praxisfern und gegen die bisherige Entwicklungspolitik gerichtet“ bewertet dies Claudia Brück, Vorstand Fairtrade Deutschland. „Jahrelang haben wir Organisationen dahin gehend beraten, sich in größeren Einheiten zusammenzuschließen, um effizienter und wettbewerbsfähiger zu sein. Diese Entwicklung wird nun entgegen aller Sinnhaftigkeit wieder umgekehrt.“
Importlücken drohen
Aktuell droht, dass Kleinproduzenten aus der Bio-Zertifizierung aussteigen oder auf andere Absatzmärkte umschwenken. „Deutschland ist für Bio-Kakao, -Kaffee, -Bananen und viele weitere Produkte ein bedeutendes Importland. Viele heimische Lebensmittelverarbeiter und -händler sind auf gut funktionierende Bio-Importe angewiesen“, mahnt Peter Röhrig, geschäftsführender Vorstand des BÖLW.
Wie groß das Problem ist, zeigen Zahlen von Fairtrade. Von den rund 8.500 Fairtrade-gesiegelten Produkten, die laut Jahresbericht auf dem deutschen Markt erhältlich sind, tragen 58 Prozent zudem das Bio-Siegel. Nach Angaben von Fairtrade International erfüllen derzeit 60 Prozent der zertifizierten Bio-Kaffee- und Kakaoproduzenten sowie 95 Prozent der Bio-Bananenproduzenten die neuen EU-Bio-Anforderungen nicht.
Auswirkung auf Preise nicht absehbar
Nach Einschätzung von BNN-Geschäftsführerin Jäckel werden die Regulierungen höhere Kosten und Mehraufwände durch zusätzliche Personal- oder Zertifizierungskosten mit sich bringen. Welche Auswirkungen diese auf die Preise in deutschen Supermärkten haben werden, dazu will keiner der Experten spekulieren. Jäckel: „Es gibt eine Vielzahl an Faktoren, die die Preisentwicklung beeinflussen, insbesondere bei Importwaren und Agrarrohstoffen wie Kaffee oder Kakao, die traditionell aus Drittstaaten-Regionen in Südamerika, Afrika oder Asien stammen und von den neuen Verordnungen betroffen sind. Diese Märkte sind sehr volatil und unterliegen einer Vielzahl von Einflüssen, die über die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinausgehen.“ Dazu zählten die Folgen des Klimawandels beziehungsweise Wetterbedingungen und Ernteerträge, Spekulationen an Rohstoffmärkten sowie Währungsschwankungen und Marktdynamiken durch Nachfrage und Angebot. Allerdings lasse sich auch feststellen, dass Bio-Unternehmen zum Teil seit Jahrzehnten enge Kooperationen und vertrauensvolle Lieferbeziehungen pflegen, die auch dämpfend auf Preisentwicklungen wirkten.
„Die beste Absicherung für Lieferketten sind langfristige, transparente und gute Beziehungen zu unseren Rohstofferzeugern“, bestätigt Eike Mehlhop. Durch die Zugehörigkeit zur Ecotone-Gruppe sei die Allos Hof-Manufaktur besonders gut aufgestellt. Rohstoffverknappung und die Notwendigkeit, Rezepturen anpassen zu müssen, sieht Mehlhop daher für das eigene Portfolio nicht.