Ob lange Dürrephasen, übermäßig starke Niederschläge oder Stürme, solche Extremwetterereignisse sind nicht neu. Die Sache ist nur – sie kommen immer häufiger vor und sie treten stärker auf. Klimaforscher lassen keinen Zweifel daran: Das sind Auswirkungen des Klimawandels. Ohne die Situation schönzureden, räumt Joerg Hilbers, Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Obstbau, ein: „Im Vergleich zu Italien, Griechenland oder Spanien ist Deutschland immer noch ein Gunststandort, da es die ganz extremen Wetterereignisse, wie zum Beispiel die Dürre in Südspanien, hier (noch) nicht gibt.“ Das kann Reinhard Oerther, Vorstand Vertrieb der Pfalzmarkt-Genossenschaft, zumindest für dessen Region bestätigen: „Die Pfalz ist traditionell eine natürliche Gunstlage für den Obst- und Gemüseanbau. Hier kommt es zu keinen Verschiebungen bestimmter Kulturen, die allein durch den Klimawandel bedingt sind.“ Die Region profitiert vom milden Klima, guten Böden und einer bedarfsgerechten Beregnung durch ein eigenes Leitungsnetz mit Rheinwasserfiltrat. Trotzdem: Die mit dem Klimawandel einhergehenden gestiegenen Temperaturen wirken sich durchaus auf den Obst- und Gemüseanbau in Deutschland aus, wie folgende Beispiele zeigen.
Sorten und Anbauregionen im Wandel
Professor Roland Weber von der Obstbauversuchsanstalt Jork stellt fest, dass die Obstbäume in unseren Breiten immer zeitiger blühen. So setzt die Obstblüte des Roten Boskoops mittlerweile drei Wochen früher als in den 1970er-Jahren ein (siehe Grafik unten). Fröste können dann die empfindliche Blüte zerstören und so zu erheblichen Ernteeinbußen bis zum Totalausfall führen, wie es die Obstbauern in Sachsen in dieser Saison erleben. Hier fallen die diesjährige Apfelernte um 90 Prozent und die Kirschernte um 30 Prozent geringer als im langjährigen Mittel aus.
Auch das Sortenspektrum sowie die Anbauregionen verändern sich zum Teil. „War der Apfel Holsteiner Cox im Alten Land ein Klassiker, wird er dort künftig wohl nicht mehr produziert. Er verträgt keine Hitze“, berichtet Joerg Hilbers. Stattdessen gedeihen hier nun wärmeliebende Apfelsorten wie der Braeburn. Für ihn ist es wiederum in den südlicheren Ländern zu heiß geworden. Und in Italien wird die Birnenproduktion aufgrund der dortigen Hitze immer schwieriger, sodass die Obstbauern die Produktion zurückfahren. Dagegen haben sich die Produktionsbedingungen für den Birnenanbau in Deutschland und in den Beneluxländern verbessert. Hier versuchen die Erzeugergenossenschaften die Versorgungslücke durch den heimischen Anbau ein Stück weit zu schließen. Dazu trägt auch die robuste Birnen-Clubsorte Xenia bei.
Im Gemüsebau tun sich ebenfalls neue Anbaugebiete auf, wie Guido Drexler, Produktberater für Freilandgemüse beim Gemüsezüchter und Saatguthandel Rijk Zwaan, feststellt: „Salatproduzenten in Deutschland können während der Hitzeperioden häufig nicht genug qualitativ gute Ware anbieten. Um die Versorgung hierzulande dennoch sicherzustellen, suchen sie nach Produzenten in Dänemark und Schweden.“ Und von einem Gemüsebauer in Südschweden erfuhr Guido Drexler, dass er bereits Eissalat nach Italien exportiert. Daran erkennt man: „Um die Produktionssicherheit beispielsweise von Blattsalaten zu gewährleisten, laufen die Warenströme in eine Richtung, die man bisher nicht kannte“, beobachtet der Gemüsebauexperte.
Von einer kompletten Verlagerung der Anbauregionen kann allerdings keine Rede sein. Auch wenn an manchen süddeutschen Standorten mittlerweile Pfirsiche, Nektarinen, Kiwis, Aprikosen und Melonen gedeihen, handelt es sich um regionale Nischenkulturen. „Da die Produktionsbedingungen und -kosten in südlicheren Ländern aber viel besser sind, wird es schwierig sein, diese Obstarten hier in wirtschaftlich nennenswerten Mengen anzubauen“, so Hilbers. Für den Lebensmitteleinzelhandel spielen diese heimische Kulturen deshalb keine Rolle, zumindest nicht in den nächsten zehn Jahren.
Neue Pflanzenkrankheiten und Schädlinge
Was vielen Obst- und Gemüsebauern außerdem zu schaffen macht: Aufgrund des Klimawandels drohen bei vielen Kulturen neue Krankheiten. Guido Drexler nennt ein Beispiel: „Fusarium, ein Pilz, der die ganze Pflanze zerstört, trat erstmals in Italien auf. Er liebt hohe Bodentemperaturen und hat sich in den letzten Jahren nach Norden bis in den Stuttgarter Raum verbreitet. Deshalb arbeiten wir seit Jahren mit Hochdruck an Salatsorten, die gegen diesen Pilz resistent sind. Für Eisberg- und Kopfsalat ist uns das bereits gelungen.“
Rudolf Behr, der auf rund 4.000 Hektar Freilandgemüse anbaut, bereiten die invasiven Insektenarten Sorgen, die es in dieser Vielfalt früher nicht gab. So richten unter anderem die Kirschessigfliege und die Marmorierte Baumwanze verheerende Schäden an.
Wie sich die Branche wappnet
Wie meistern die Obst- und Gemüseproduzenten diese Herausforderungen? Da die EU den Einsatz von Pflanzenschutzmittel immer weiter eingeschränkt hat, stellt der erhöhte Krankheits- und Schädlingsdruck erst recht eine Herausforderung dar. Die Bekämpfung invasiver Insektenarten macht die Sache nicht einfacher. Eigentlich lässt sich die Marmorierte Baumwanze am besten mit Nützlingen bekämpfen, genauer gesagt mit der aus Ostasien stammenden Samoraiwespe. Sie wurde vor einigen Jahren nach Europa eingeschleppt, soll für den Menschen aber harmlos sein. Das Problem ist: Die Schädlingsbekämpfung mit eingewanderten, nicht heimischen Nützlingen ist in Deutschland nicht zugelassen. Anders ist es in der Schweiz: Hier wurde sie bereits gegen diese Wanzenart ausgesetzt.
Rudolf Behr verspricht sich in Sachen Pflanzenschutz viel von moderner Technik: „Sie wird den Gemüseanbau revolutionieren.“ Neueste Kameratechnik kann zum Beispiel den Gesundheitszustand der Pflanzen erkennen und die Pflanzenschutzmittel gezielt auf die Pflanzen aufbringen. Das Laser Zentrum Hannover (LZH) setzt zur Schädlingsbekämpfung zum Beispiel eine auf KI-gestützte Lasertechnik ein. Dazu werden flugfähige Schadinsekten auf eine Behandlungsfläche gelockt und gezielt per Laser ausgeschaltet. Dagegen können die mittels KI als unschädlich eingestuften Insekten und Nützlinge die Locktafel unbehelligt verlassen.
Sorten und Anbautechnik
Große Hoffnungen setzen Obst- und Gemüsebauern in resistente Sorten. Die Pfalzmark-Genossenschaft will zum Beispiel mit frostresistenteren Salatsorten das witterungsbedingte Ausfallrisiko während der Auspflanzungen im Februar minimieren. Guido Drexler: „Das Sortenspektrum von Blattsalaten wird sich auf universellere Sorten reduzieren, die mit Extremwetterlagen am besten klarkommen. Die Anbausicherheit bei den Gemüsebauern hat deutlich an Priorität gewonnen, nach dem Motto „Sicherheit geht vor Schönheit“.
Im Obstbau werde die Sortenwahl nach Ansicht von Roland Weber bislang nicht nach Anbauwürdigkeit, sondern vorrangig nach den Vermarktungskriterien getroffen. „Es wird keine Obstsorte geben, die gegen alles resistent ist. Selbst wenn dies möglich wäre, ist fraglich, ob sie den Geschmack der Verbraucher und die Spezifikationen der Vermarkter treffen“, gibt er zu bedenken.
Die Obst-vom-Bodensee-Vertriebsgesellschaft wird das Sortenspektrum auf solche Sorten beschränken, die hohe Erträge bringen, resistent sind, eine hohe Qualität aufweisen, eine hohe Performance haben und geschmacklich überzeugen, teilt Geschäftsführer Tim Strübing mit. Zudem setzt man auf Bewässerungssysteme wie die Tröpfchenbewässerung. In besonders sensiblen Bereichen kommt auch die Frostschutzberegnung zum Einsatz. Sie bewahrt die Obstblüten vor Spätfrösten.
Um die Kulturen vor Hitze, Frost, Starkregen und Hagelschlägen besser schützen zu können, wird der geschützte Anbau unter Netzen, Folie und Glas zunehmen. Guido Drexler stellt fest: „Feine Salate wie Eichblattsalat oder bunte Salate werden künftig verstärkt als hydroponischer Salat, das sind Salate mit Wurzelballen, ganzjährig im Gewächshaus angebaut. So sind sie vor Sonnenbrand und Verschmutzung durch Starkregen geschützt. Hinzu kommt: Der Lebensmittelhandel akzeptiert überwiegend saubere Ware. Und die bekommt man nur durch geschützten Anbau.“
Den Einsatz von Agri-PV-Anlagen im Obstbau sieht Joerg Hilbers differenziert. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen sieht er das Potenzial dieser spannenden Kombination aus Schutzsystem und Stromerzeugung für die kommenden Jahre bei 100 bis 200 Hektar, das sind 0,1 bis 0,2 Prozent der deutschen Obstbaufläche. „Die lösen die Sorgen des Obstanbaus im Klimawandel jedoch nicht. Hier gibt es keine Verhältnismäßigkeit zu dem Hype, der insbesondere von Politikern mit Interesse an schönen Fotos gemacht wird“, ist Hilbers überzeugt. Bleibt abzuwarten, ob sich diese kostenintensive Technologie durchsetzen wird.