Energiesparen „10 Prozent gehen immer“

Jörg Müller (Foto, l.) und Franz Beckmann (Foto, r.) sind schwer gefragt: Sie zeigen Industrieunternehmen, wie sie Energie einsparen können.

Mittwoch, 27. September 2023 - Sortimente
Manuel Glasfort
Artikelbild „10 Prozent gehen immer“
Bildquelle: Müller-Beckmann

Als Ingenieure unterstützen Sie Unternehmen bei deren Energiemanagement. Wie hat sich Ihr Geschäft seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs entwickelt?
Franz Beckmann: Die Auswirkungen des Kriegs auf unsere Geschäftsanfragen sind nicht so signifikant, wie man vielleicht annehmen könnte. Es stimmt, dass wir vermehrt Anfragen von Kunden erhalten haben, die an unserer Meinung zur aktuellen Marktsituation interessiert waren. Einige unserer langjährigen Kunden haben überlegt, ob ein Wechsel von Gas auf Heizöl in dieser Situation angebracht wäre. Aber solche Überlegungen waren oft impulsiv. Es nützt wenig, den Brennstoff auf Heizöl umzustellen, wenn die übrigen Akteure in der Lieferkette es nicht machen.

Wie hat sich die Denkweise in den Unternehmen konkret geändert?
Jörg Müller: Die Prioritätensetzung und der zeitliche Rahmen für Investitionen in Energieprojekte haben sich signifikant gewandelt. In der Vergangenheit wurde eine Investition oft nur dann in Erwägung gezogen, wenn sie sich innerhalb von zwei Jahren amortisierte. Jetzt erkennen Unternehmen den Langzeitwert solcher Projekte und sind bereit, auch solche Maßnahmen in Angriff zu nehmen, die sich erst nach fünf Jahren auszahlen. Das Entscheidungsverhalten hat sich also grundlegend verändert. Während früher viele effiziente Energielösungen aufgrund interner Richtlinien und Vorgaben nicht umgesetzt wurden, obwohl sie bekannt waren, hat die Energiekrise zu einer flexibleren und langfristigeren Denkweise geführt.

Wie gehen Sie dann genau bei der Beratung vor?
Müller: Für eine ganzheitliche und sinnvolle Beratung betrachten wir die Situation aus drei Perspektiven: technisch, kaufmännisch und energiewirtschaftlich. Diese Aspekte sind eng miteinander verknüpft und sollten nicht isoliert betrachtet werden. Wir haben festgestellt, dass in vielen Unternehmen ein Abteilungsdenken vorherrscht: Während der Einkäufer seine eigenen Ziele und Prozesse verfolgt, hat der technische Leiter oft eine andere Perspektive. Am Ende steht der Controller da und bemerkt, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Unser Ansatz ist es, diesen Silo-Effekt zu überwinden und für eine kohärente Zusammenarbeit zu sorgen. Daher ist es uns bei der Beratung wichtig, mit allen relevanten Abteilungen – vom Controller über den Einkäufer bis hin zum technischen Leiter und Energiemanager – zu sprechen und zu gewährleisten, dass sich alle Beteiligten sinnvoll miteinander abstimmen.

Ihre Fachleute werden auch von Lebensmittelherstellern engagiert. Welche besonderen Herausforderungen hat die Branche?
Beckmann: Die Lebensmittelbranche legt traditionell einen großen Fokus auf die Energiekosten – was sicherlich eine berechtigte Herangehensweise ist. Doch in der heutigen Zeit sind die Marktbedingungen und die Erwartungen der Verbraucher in puncto Nachhaltigkeit und ökologischen Fußabdrucks von zentraler Bedeutung. Dies kann dazu führen, dass Entscheidungen in Richtung nachhaltiger Energiequellen getroffen werden müssen, auch wenn sie kurzfristig teurer erscheinen. Unternehmen, die nicht mit den Anforderungen des Marktes Schritt halten können, setzen ihre Position und Reputation aufs Spiel. Große Einzelhändler fordern immer häufiger Nachweise und Konzepte zur Klimaneutralität von ihren Lieferanten.

Müller: Die großen Handelsketten nehmen hier eine treibende Rolle ein. Wenn lokale Lieferanten nicht die gewünschten Standards erfüllen können, könnten sie zu internationalen Lieferanten wechseln, die bereits klimaneutral arbeiten. Der Druck seitens dieser Stakeholder ist nicht zu unterschätzen. Viele Handelsriesen haben sich verpflichtet, ausschließlich klimaneutrale Produkte in ihren Regalen zu führen. Und diese Erwartung wird ohne Kompromisse an die Lieferanten weitergegeben. Wer sich diesen Anforderungen nicht anpassen kann oder will, riskiert, vom Markt verdrängt zu werden.

Lebensmittelhersteller benötigen oft viel Erdgas. Ist das unvermeidbar?
Beckmann: In der Lebensmittelindustrie ist es tatsächlich so, dass viele Herstellungsprozesse traditionell mit Dampf betrieben werden, der häufig durch Erdgasdampfkessel erzeugt wird. Dies hat sich über Jahre hinweg etabliert. Doch die Technologie und der Markt entwickeln sich, und wir erkennen immer mehr Möglichkeiten zur Substitution von Erdgas. Mit modernen Lösungen, beispielsweise durch den Einsatz von Wärmepumpen, können wir erhebliche Mengen Erdgas einsparen. Das Ziel ist, den Bedarf an Dampf und damit auch den Einsatz von Erdgas zu minimieren.

Müller: Genau. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist ein kürzlich beratener Eishersteller. Ursprünglich sollte ein neuer Dampfkessel angeschafft werden. Doch durch unsere Beratung und Analyse des gesamten Produktionsprozesses konnten wir den Bedarf durch Wärmerückgewinnung und den klugen Einsatz von Wärmepumpentechnologie so drastisch reduzieren, dass der Betrieb Ende des Jahres komplett auf Erdgas verzichten kann. Natürlich sind die Voraussetzungen nicht immer identisch, und in manchen Fällen kann ein geringer Dampfbedarf bestehen bleiben. Aber die potenzielle Einsparung in Sachen Erdgas und Investitionen in neue Dampfkessel ist beträchtlich.

Die Energiepreise in Deutschland bleiben hoch. Wie viel Effizienzsteigerung lässt sich da überhaupt noch herauskitzeln?
Beckmann: Die Firmen unterschätzen oft ihr eigenes Potenzial. Obwohl unser Leitspruch „10 Prozent gehen immer“ lautet, sehen wir in der Praxis häufig, dass Einsparungen von 10 bis 20 Prozent realistisch sind.

Müller: Ein konkretes Beispiel ist ein Kunde aus der Getränkeindustrie, bei dem wir unglaubliche 50 Prozent Effizienzsteigerung erzielen konnten – lediglich durch Optimierung des Verbrauchs.

Was sind die gängigsten Maßnahmen, die Sie Kunden aus der Lebensmittelindustrie empfehlen, um ihre Effizienz zu steigern?
Müller: Eine der effektivsten Maßnahmen ist die Wärmerückgewinnung. Gerade in der Lebensmittelindustrie gibt es viele Möglichkeiten, beispielsweise die Abwärme von Kältemaschinen zur Erhitzung von Produktions- oder Reinigungswasser zu nutzen. Aber viele Unternehmen sind der Ansicht, dass dies bei ihnen nicht umsetzbar ist. Es erfordert jedoch nur den richtigen Ansatz und natürlich auch Investitionen.

Wie schätzen Sie das Potenzial der Wärmepumpe in der Industrie ein?
Müller: Die Wärmepumpe bietet sicherlich Potenzial, aber sie ist keine Lösung für alle Probleme. Es ist wichtig zu analysieren, wo die Energie für die Pumpe herkommt und ob ihr Einsatz wirtschaftlich sinnvoll ist. Es gibt viele Alternativen, wie die Nutzung regenerativer Energien. Allerdings haben diese, mit Ausnahme von Biomasse, eine gewisse Schwankung.

Die Bundesregierung hat eine Gaspreisbremse auch für Industriekunden eingeführt. Hat sich dieses Instrument bewährt?
Beckmann: Die Gaspreisbremse ist ein zweischneidiges Schwert. Einige Kunden profitieren massiv von ihr, während andere kaum Vorteile sehen. Es gibt Kunden, die wegen ihrer bestehenden Verträge nicht von der Bremse profitieren. Andere, die aufgrund der Insolvenz ihres Anbieters in eine teurere Grundversorgung gerutscht sind, haben dagegen stark profitiert. Und schließlich gibt es die, für die der bürokratische Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Es ist also stark abhängig von der individuellen Situation des Kunden.

Neue Produkte

Viel gelesen in Hersteller

HIT Produkte 2023

Im Gespräch - Hersteller