Am 1. Januar 2018 erlangte die neue Novel-Food-Verordnung unmittelbare Geltung in der EU. Wie ist die Reaktion der Beteiligten?
Andreas Reinhart: Obwohl bereits seit Mai 1997 das System einer Zulassungspflicht für neuartige Lebensmittel in der EU existiert, scheint das Bewusstsein hierfür und insbesondere die Bereitschaft sich hiermit intensiver zu beschäftigen, erst mit der „neuen“ Novel-Food-Verordnung im großen Stil bei der Lebensmittelwirtschaft, den Behörden und den NGOs angekommen zu sein. Aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft mag dies wohl auch damit zusammenhängen, dass die Thematik „Novel Food“ nicht mehr nur negativ belegt ist, sondern nunmehr auch als Chance für innovative und rechtssichere Lebensmittel gesehen werden kann.
Was ist beim Thema Novel Food für LP-Leser wichtig zu wissen?
Es ist einem Lebensmittel regelmäßig nicht von außen anzusehen, ob es ein „Novel Food“ ist oder nicht. Bei exotischen Früchten mit besonderem Aussehen oder bei ganzen Insekten, die als Lebensmittel vertrieben werden, dürfte es offensichtlich sein, sich zumindest mit dem Thema „Novel Food“ zu beschäftigen. Gleiches gilt für Fälle, in denen Lebensmittel als „neu“ beziehungsweise „innovativ“ oder als erstmalig in der EU verfügbar beworben werden.
Und in den anderen Fällen?
In einem Großteil der Fälle ist es nur sehr schwer beziehungsweise erst nach eingehender Prüfung erkennbar, dass das jeweilige Lebensmittel in der konkreten Ausgestaltung als „novel“ angesehen werden könnte. Erschwerend kommt hierbei hinzu, dass vermeintlich kleine Details den großen Unterschied machen können. Beispielsweise können die verschiedenen Teile einer Pflanze oder gar einer Frucht im Hinblick auf die Neuartigkeit unterschiedlich beurteilt werden. So wird das Fruchtfleisch der Mangostane-Frucht als nicht-neuartig beurteilt, während der Saft der ganzen Mangostane-Frucht einschließlich der Schale der Frucht als Novel Food eingestuft wird.
Was ist noch wichtig?
Auch bei zugelassenen neuartigen Lebensmitteln gilt es genau darauf zu achten, was Gegenstand der betreffenden Novel-Food-Zulassung ist. Gemäß der Unionsliste zugelassener neuartiger Lebensmittel (Durchführungsverordnung (EU) 2017/2470) wird zum Beispiel bei Erzeugnissen aus der Noni-Frucht (Morinda citrifolia) zwischen Noni-Fruchtsaft, Noni-Fruchtsaftpulver, Noni-Fruchtpüree und –konzentrat, Noni-Fruchtpulver und Noni-Blätter differenziert: Diese sind jeweils für unterschiedliche spezifische Lebensmittelkategorien mit unterschiedlichen Höchstmengen zugelassen. Da die Unionsliste (DVO (EU) 2017/2470) regelmäßig aktualisiert wird, empfiehlt sich, immer wieder einmal einen Blick hineinzuwerfen.
Welche neuartigen Lebensmittel könnten oder konnten in der Fleischproduktion und der Fleischersatzproduktion Verwendung finden?
Der boomende Bereich der Fleischersatzprodukte setzt auf „plant based solutions“. Dabei kommt zum Tragen, dass dieses Produktsegment zum einen sehr neu ist und jedenfalls in dieser Vielfalt und teilweise extremen Ähnlichkeit zu Fleischerzeugnissen („sieht aus wie Fleisch, schmeckt wie Fleisch, ist aber kein Fleisch“) nicht vor dem 15. Mai 1997 auf dem EU-Markt vorhanden war. Die Möglichkeiten, die die Lebensmitteltechnologie heutzutage bietet, sind für diese Produkte beeindruckend.
Gibt es weitere Möglichkeiten?
Ja, zum anderen ist die Kategorie „Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert oder erzeugt wurden“, grundsätzlich eröffnet. Dieses bedeutet aber nicht, dass damit stets ein Novel Food gegeben wäre, nur weil es ein Produkt in der konkreten Zusammenstellung und/oder Ausgestaltung noch nicht gegeben hat. Es kommt – wie fast immer – auf den konkreten Einzelfall an. Als neuartiges Lebensmittel zugelassen und in der Unionsliste aufgeführt sind beispielsweise „Kartoffelproteine (koaguliert) und daraus hergestellte Hydrolysate“. Kartoffelproteine können als Ersatz für tierisches Eiweiß insbesondere im Bereich Fleischersatzprodukte eingesetzt werden.
Worauf ist bei der Kennzeichnung solcher neuartigen Lebensmittel zu achten?
Neuartige Lebensmittel, die zugelassen und in der Unionsliste aufgeführt sind, sind grundsätzlich nach den allgemeinen Vorgaben zu kennzeichnen. Darüber hinaus können sich aber zusätzliche Kennzeichnungsvorgaben aus der Unionsliste (DVO (EU) 2017/2470) ergeben, die in der Tabelle 1 der Liste die spezielle Spalte „zusätzliche spezifische Kennzeichnungsvorschriften“ aufweist. In bestimmten Fällen kann es aber erforderlich sein, weitergehende Kennzeichnungsangaben vorzusehen, vor allem hinsichtlich der Herkunft oder der Bedingungen für die beabsichtigte Verwendung des Lebensmittels: Das soll sicherstellen, dass die Verbraucher umfassend über Art und Sicherheit des neuartigen Lebensmittels informiert sind, insbesondere mit Blick auf besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen.
Welche Rolle spielt das Allergiepotenzial?
In der Kennzeichnung von Lebensmitteln, die beispielsweise das zugelassene Novel Food „Rapssamenprotein“ enthalten, muss deshalb leicht erkennbar und lesbar darauf hingewiesen werden, dass das Erzeugnis bei Verbrauchern mit Allergie gegen Senf und daraus gewonnene Erzeugnisse allergische Reaktionen auslösen kann. Dieser Hinweis ist gegebenenfalls in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste anzubringen.
Wie ist die neue Proteinquelle Insekten rechtlich zu bewerten?
Nach altem Recht galten Insekten grundsätzlich nicht als neuartig und konnten deshalb auch ohne Zulassung in der EU vermarktet werden. Seit dem 1. Januar 2018 sind Insekten in der EU als neuartige Lebensmittel zulassungspflichtig. Anders als in der Schweiz, die bekanntlich nicht in der EU ist, aber insbesondere das Novel-Food-Recht der EU weitestgehend übernommen hat, sind in der EU bislang noch keine Insektenarten zugelassen. Aktuell liegen der EU-Kommission sechs Anträge für Insektenarten oder bestimmte Produkte daraus vor, über die sie noch zu entscheiden hat. Es gibt Zulassungsanträge für verschiedene Grillenarten, Mehlwürmer, Wanderheuschrecken und sogenannte Buffalowürmer. Bis über diese Anträge entschieden ist, dürfen die Erzeugnisse, die vor dem 1. Januar 2018 nicht als neuartig galten, aber gemäß einer speziellen Übergangsregelung weiter vermarktet werden.
Was besagt die Übergangsregelung?
Um ein zwischenzeitliches Verbot der Erzeugnisse zu vermeiden, konnte für alle Produkte, die nach dem alten Recht nicht als Novel Food angesehen wurden, es nach dem neuen Recht aber sind, die Übergangsregelung „aktiviert“ werden, wenn bis Anfang 2019 der erforderliche Zulassungsantrag oder die erforderliche Anmeldung erfolgt ist, so dass die Erzeugnisse bis zur Entscheidung hierüber weiter vermarktet werden können.
Ihr Fazit zur Novel-Food-Verordnung?
Die „neue“ Verordnung hat dem Thema Novel Food wieder Leben eingehaucht, was sich auch an der Vielzahl neuer Zulassungen zeigt. Die Chancen für eine erfolgreiche Zulassung eines neuartigen Lebensmittels haben sich grundsätzlich verbessert, auch wenn damit weiterhin ein nicht unerheblicher Zeit- und Kostenaufwand verbunden sein kann.
Insekten fallen ebenfalls unter den Begriff der Novel Food.