„Frei von“ Die Lust auf den Verzicht

Das Attribut „Frei von“ weckt beim Konsumenten immer größeres Interesse. Erste Markenartikler setzen auf Ultra-Clean-Label.

Dienstag, 09. Juni 2015 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Die Lust auf den Verzicht

Inhaltsübersicht

Lieber ohne heißt heute die Devise für viele Verbraucher bei der Auswahl ihrer Lebensmittel. Wurde noch vor einigen Jahren mit möglichst vielen „Zusätzen“ oder besonderen Inhaltsstoffen erfolgreich geworben, ist es heute der Aufdruck „Frei von“, der für wachsendes Interesse am Supermarktregal sorgt. Dabei geht es zum einen um den Verzicht auf Allergene sowie künstliche Zusatzstoffe. Umfangreiche Regalblöcke und eine steigende Bedeutung kommt innerhalb des Clean-Labelling-Segments den Kategorien laktosefrei und glutenfrei zu. Aber auch tierfrei und gentechnikfrei sind Aspekte, auf die eine wachsende Interessensgruppe achtet. Das Angebot der „Frei von“-Produkte von Handel und Industrie wird breiter, die Verzichts-Listen länger und erste Unternehmen setzen bereits auf „Ultra Clean Label“.

Beim Handel rückt insbesondere das Thema „ohne Gentechnik“ stärker in den Fokus. So etwa bei Tegut: „Wir spüren deutlich die steigende Bedeutung mit zunehmendem Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher“, sagt Alexandra Weber, Leitung Qualität und Umwelt bei Tegut. Man sei immer bestrebt, gentechnikfreie Lebensmittel zu fördern und arbeite an der Kennzeichnung weiterer Warengruppen. Für den Bereich Schweinefleisch beispielsweise ist Tegut in seinem Qualitätsfleischprogramm Landprimus ausschließlich gentechnikfrei aufgestellt.

Als einer der ersten Lebensmittelhändler verpflichtete die Kölner Rewe 2013 die Erzeuger aller frischen Hähnchenfleischprodukte der Eigenmarken dazu, auf gentechnisch verändertes Futter zu verzichten. Seit Januar 2015 sind alle frischen Hähnchenprodukte der Rewe-Eigenmarken (zunächst 25 Artikel unter den Marken Wilhelm Brandenburg und Ja) mit dem Pro Planet-Label für gentechnikfreie Fütterung gekennzeichnet.

Auch die Edeka bietet bereits zahlreiche Lebensmittel an, die ohne gentechnisch veränderte Futtermittel hergestellt werden. Neben den Bio-Sortimenten handele es sich dabei um weitere Produkte in den Bereichen Milch, Molkereiprodukte, Eier und Geflügel. Seit Herbst 2014 sind erste Eigenmarkenartikel bundesweit mit dem „Ohne-Gentechnik“-Siegel gekennzeichnet. Auf regionaler Ebene besteht dieses Angebot schon länger. Die Hamburger haben sich für ihre Eigenmarken-Produkte das Ziel gesteckt, bei Futtermitteln für Schweine, Rinder und Geflügel schrittweise eine Umstellung auf heimische Futtermittel oder auf zertifiziert gentechnikfreies Soja durchzuführen.

Eine große Herausforderung auch für Markenartikler. „Es gibt keinen offiziellen Handel mit Fleisch ,ohne Gentechnik’-Fütterung. Dies kann nur jeweils direkt mit den Landwirten erfolgen. Und in der Landwirtschaft herrscht diesbezüglich große Unwissenheit, Desinteresse und mangelnde Bereitschaft, in eine Futter-Umstellung zu investieren“, so die Erfahrung von Dr. Gernot Peppler, Geschäftsführer des hessischen Wurstproduzenten Rack & Rüther. Hinzu käme ein beträchtlicher Aufwand hinsichtlich Beschaffung und Zertifizierung. Das Angebot umfasst 75 Artikel, davon 24 bio-zertifizierte und 30 Artikel mit der Kennzeichnung „ohne Gentechnik“.

Zu einem festen Sortimentsbaustein ist in den vergangenen Jahren das Angebot glutenfreier Produkte geworden. Ein Beispiel hierfür ist die Eigenmarke „Rewe frei von“ des Kölner Handelsunternehmens. Die Range besteht aus gut 30 Produkten, die sich ungefähr hälftig auf die Bereiche gluten- und laktosefrei verteilen. Sie wurden 2012 eingeführt und haben sich etabliert.

„Im Bereich glutenfrei hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Konsumenten beschäftigen sich intensiver mit dem Thema Ernährung und entscheiden sich bewusster, was sie essen “, erklärt Matthias Müller-Thederan, Verkaufsleiter DACH, Dr. Schär Deutschland. Auch die Ärzte seien heute besser über Unverträglichkeiten informiert, so steige die Anzahl der Diagnosen und die Zahl der Menschen, die auf eine glutenfreie Ernährung umsteigen. „Selbstverständlich hat dies auch Auswirkungen auf das ,Frei-von’-Segment im Handel, sprich auf die Größe des Diätregals, um der steigenden Nachfrage der Konsumenten gerecht zu werden“, so Müller-Thederan. Laut den aktuellsten Nielsenzahlen ist der Markt in Deutschland 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 32 Prozent gewachsen. Dr. Schär (Gesamtumsatz 2014: 260 Mio. Euro weltweit) komme mit der Marke Schär auf ca. 69 Prozent der Marktanteile in Deutschland, so Müller-Thederan. Das Unternehmen bietet unter seiner Marke Schär mittlerweile mit mehr als 120 Produkten das nach eigenen Angaben umfangreichste Produktsortiment im glutenfreien Markt. Rund 70 Prozent der Produkte sind zusätzlich laktosefrei, für die Zöliakie-Betroffene, die gleichzeitig laktoseintoleran t sind. Eine große Marktlücke sieht Dr. Schär nach wie vor bei Convenience Food. „Aus diesem Grund weiten wir neben unserem regulären Brotsortiment nun auch den Bereich Tiefkühlprodukte weiter aus“, kündigt Müller-Thederan an. Seit Kurzem gibt es zudem unter der Linie Bontà d’Italia den TK-Pizza-Klassiker Margherita als gluten- und laktosefreie Variante mit laktosefreiem Mozzarella.


Dynamische Veränderungen sind im Bereich der laktosefreien Produkte zu beobachten. Nach wie vor im Aufwind sind insbesondere Molkereiprodukte der Weißen Linie. So gewannen nach Informationen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) laktosefreie Milch, Joghurts und Co. an Käufern (2014 griffen 22,3 Prozent der Bundesbürger zu diesen Produkten – ein Plus von 5,3 Prozent gegenüber 2013). Auch die Wiederkaufrate stieg um 2,1 Prozent auf 58,5 Prozent. Interessant dabei: Vier von fünf Käufern von laktosefreien Produkten leiden nicht an einer Laktoseintoleranz, glauben jedoch, dass ihnen die Produkte gut tun.

Neu eingestiegen in die Kategorie laktosefreie Molkereiprodukte ist im April 2015 Arla Foods. Zwei Frischmilchvarianten in den Fettstufen 1,5 Prozent und 3,5 Prozent sind seitdem im Kühlregal erhältlich. Die Besonderheit: Die Produkte sollen einen natürlichen, frischen Milchgeschmack haben und nicht die sonst für laktosefreie Milch typische Süße mitbringen. Arla erreicht dies durch ein spezielles, patentiertes Filtrationsverfahren, bei dem der Milch zunächst ein Teil der Laktose entzogen wird. Danach wird das Enzym Laktase hinzugegeben, das die restliche Laktose in ihre Bestandteile Glukose und Galaktose spaltet. So verbleibt im Vergleich zu herkömmlichen laktosefreien Milchen deutlich weniger Laktose. „Selbstverständlich werden bei der Filtration alle wertvollen Inhaltsstoffe wie Aminosäuren, Mineralien und Vitamine bewahrt“, so die Molkerei. Interessant seien für einen späteren Ausbau des Angebots auch alle weiteren Produktbereiche der Weißen Linie.

Klotzen statt Kleckern ist wohl die Devise bei Friesland-Campinac. Die Molkerei ist im April 2015 nicht nur mit einem ganzen Sortiment, bestehend aus Basisprodukten wie Milch und Naturjoghurt, sondern auch verschiedenen Fruchtjoghurt-Varianten, Sahnepudding und Milchmischgetränken unter der Marke Landliebe ins Segment eingestiegen. Auch die Holländer setzen auf weniger süße Produkte im Vergleich zu herkömmlichen laktosefreien Erzeugnissen. Milch und Naturjoghurt der neuen Linie sind zusätzlich als gentechnikfrei gekennzeichnet – ein „sehr relevantes Thema und für fast die Hälfte der Verbraucher ein wichtiges Kaufentscheidungskriterium für Milch“, weiß man bei Friesland-Campina. Das „Ohne Gentechnik“-Sortiment von Landliebe hat einen Anteil von mehr als 50 Prozent am Gesamtabsatz der Marke.

Weiter voran tastet sich die Bio-Molkerei Söbbeke im laktosefreien Kühlregal. Eingestiegen in den Markt sind die Münsterländer mit zwei Milchsorten (Vollfettstufe und fettarm). Nun folgte ein laktosefreier Joghurt, der durch den Einsatz von Laktase besonders mild im Geschmack ist, somit zugleich Joghurt-Verwender anspricht, die eine leichte Süße der klassischen säuerlichen Note von Naturjoghurt vorziehen, und zudem für laktoseintolerante Verwender geeignet ist. Der „Edle Joghurt Genuss“ ist seit Mai im 300-g-Becher erhältlich.

Alpro, Hersteller pflanzlicher und somit laktosefreier Produkte – vor allem auf Soja-Basis –, verzeichnete 2014 einen Umsatzzuwachs von 48 Prozent gegenüber Vorjahr. Besonders stark ist die Marke Alpro im Bereich Naturjoghurt. Laut Anja Grunefeld, Marketing Manager DACH, ist die Alpro Soja-Joghurtalternative Natur im gesamten Joghurtmarkt der wertmäßig stärkste Markenartikel. Weitere Impulse setzt Alpro mit zwei neuen Joghurtalternativen auf Soja-Basis in den Sorten Natur mit Mandeln und Natur mit Kokosnuss. Stärkeres Gewicht legt das Unternehmen auf Produkte ohne Zuckerzusatz. So kommen die Kokosnuss-, Reis- und Haferdrinks ganz ohne Zuckerzusatz aus, da sie von Natur aus Zucker enthalten, den Mandeldrink z. B. gibt es auch als Variante „Ungesüßt“. Wachsende Umsatzbedeutung hat das sojafreie Sortiment. Dieses sei in den letzten zwei Jahren stetig gewachsen und umfasse derzeit sojafreie Drinks auf Basis von Mandeln, Haselnüssen, Hafer, Reis und Kokosnuss sowie Reis- und Kokosnuss-Kochcrèmes. Bei den Alpro Drinks lag der sojafreie Anteil im Jahr 2014 bereits bei 24 Prozent, über alle Kategorien hinweg bei 15 Prozent. Selbstverständlich ist für Alpro auch der für Verbraucher wichtige Aspekt „gentechnikfrei“. „Alpro verzichtet bewusst auf gentechnisch veränderte Sojabohnen und hat ein lückenloses System für die Herkunft von Sojabohnen etabliert, das weit über die bestehenden GMO-Standards hinausgeht“, sagt Grunefeld. Alpro beziehe die Sojabohnen nicht aus Regenwaldgebieten, sondern vorzugsweise aus Kanada und Frankreich.

Den Trend zu „Frei von“ hat das Unternehmen Healthy-Planet mit seiner Marke Das Eis auf die Spitze getrieben. Mitgründer Florian Mayr: „Da wir von Natur aus gerne einen Schritt weiter gehen als üblich, lässt sich unser Sortiment problemlos als ‚Ultra Clean Label‘ bezeichnen.“ Im besten Fall bedeutet dies, dass bei den Bio-Eis-Kreationen zwei tierleidfreie Zutaten zum Einsatz kommen, z. B. 76 Prozent Fruchtpüree, 24 Prozent Agavendicksaft bei der Sorte Mango-Dragon oder sogar 84 Prozent Obst & Gemüse und 16 Prozent Agavendicksaft beim Green Smoothie Sorbet.

Je kürzer die Zutatenliste, desto länger ist die „Frei von“-Liste bei Das Eis. „,No artificial anything’ ist unsere Devise“, betont Mayr. Das bedeutet: Verzicht auf Milchpulver, Wasserzugabe, Carrageen, Palmfett, Glucosefructosesirup, Raffinadezucker, Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Aromen oder sonstige „unaussprechliche Zutaten“. Die Produkte sind vegan/laktosefrei, glutenfrei und dazu fairtrade „wo sinnvoll“. Die größte Herausforderung dabei sei die Verfügbarkeit von Rohwaren zu marktfähigen Preisen. „Das führt dazu, dass wir zunehmend selber produzieren, z. B. den Apfelkuchen der Sorte Vanilla Blueberry Applepie in biovegan ohne Soja“, erklärt er. Das Thema „sojafrei“ wird aus drei Gründen von den Wiesbadenern vorangetrieben: geschmacklich, ernährungsphysiologisch (Thema: Phytoöstrogene) und als Engagement gegen Monokulturen (statt „cash crops“ wie Weizen, Mais und Soja werde bevorzugt regionaler Hafer verwendet). „Fre i von“ bezieht das Unternehmen auch auf die Verpackung, die frei von PE ist.

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