Kassenzone Die Kasse schrumpft sich „gesund“

Eine süßwaren- und damit quengelfreie Kasse gehört heute zum Bild des verantwortungsvollen Händlers. Erschwerte Bedingungen für die klassischen Impulssüßwaren und Chancen für alternative Sortimente.

Freitag, 05. September 2014 - Sortimente
Dieter Druck
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Bildquelle: Belz, Euroshop

Die süßwarenfreie Kasse im LEH wird wieder einmal thematisiert. Verschiedene Verbraucherschutzorganisationen machen mobil nach der Installation von „Gesundheitskassen“ bei Lidl in Großbritannien und in der Folge der Umsetzung der süßwarenfreien Hauptkasse in Deutschland und Österreich. Kein neues Thema, aber eins, das auch in den nächsten Jahren noch den Handel beschäftigen wird. „Denn es trifft auf einen inzwischen durch die verschiedenen Medien sensibilisierten Kunden, der insbesondere vom Lebensmittel-Einzelhandel verantwortungsvolles Handeln erwartet“, argumentiert Gerald Lindinger-Pesendorfer, Bereichsleiter Food/FMCG bei der Münchner Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber und Partner. Dazu zählt die süßwaren- und damit quengelfreie Kasse, und darauf muss der Handel reagieren, ebenso wie auf veränderte Ernährungs- und Konsumgewohnheiten, die mit Trends wie gesundes Snacken, To-go-Konsum etc. einhergehen. Das sieht auch Timo Gutermuth, Leiter Trademarketing bei CFP Brands in Bonn, so. „Die Diskussion hat eine größere Dimension bekommen, und wir nehmen sie sehr ernst. Unsere Erkenntnis: Die Shopper sind offen für weitere und auch gesunde Snackartikel an der Kasse.“ Grundsätzlich sei aber zu unterscheiden zwischen zuckerfreien Atemerfrischern/Kaugummis und sonstigen Süßwaren. Auf die zuckerfreie Sparte entfielen in der Regel mehr als die Hälfte der an der Kasse platzierten Süßwaren, und sie sollten nicht Bestandteil der Diskussion sein.

Die Kasse ist gleichzeitig der letzte Eindruck, den der Kunde mit nach Hause nimmt, quasi als Visitenkarte des Marktes: „Oft ist das Bild nicht stimmig. Ein Händler, der Frischeorientierung proklamiert, sollte deshalb auch beispielsweise Obst-/Gemüse-Convenience im Kassenbereich platzieren und den Frischeeindruck bis zuletzt vermitteln.“ Tabakwaren und Artikel kurz vor dem MHD täten dies nicht. Von portioniertem Frischobst gingen ebenfalls starke Kaufimpulse aus. Außerdem könnten am Check out, wo der Kunde weniger preissensibel reagiere und der „2,5-kg-Sack mit Äpfeln“ als Vergleichsbasis für den portionierten Apfel fehle, mit guter Wertschöpfung verkauft werden. Eine absolut süßwarenfreie Kassenzone wird es nach Einschätzung von Lindinger-Pesendorfer nicht geben. Sie sei realitätsfern, denn ein gewisser Kundenanteil erwartet hier Süßwaren.

Milos Ryba, Senior Retail Analyst International beim englischen Analysten IGD, sieht eine schwindende Bedeutung der Kassenzone für den Impulsverkauf, weil, zumindest im Vereinigten Königreich, Self Scanning um sich greift, Zwitterkassen, die je nach Kundenfrequenz sowohl das klassische Kassieren als auch den Selbst-Check-out ermöglichen (z. B. Asda) sowie Tunnelscanner das Kassieren beschleunigen. Dies führt dazu, dass Impulsprodukte dort nicht mehr platziert sind oder nicht mehr so wahrgenommen werden.

Kaufland hat bereits Mitte der 90er-Jahre als einer der Pioniere süßwarenfreie Kassen in Deutschland eingeführt. Die finden sich in jeder der mehr als 635 Filialen des Unternehmens. Sie sind mit einem entsprechenden Hinweisschild über der Kasse gekennzeichnet. Es ist sichergestellt, dass die süßwarenfreie Kasse bei Kaufland immer geöffnet hat, sie wird morgens als erste geöffnet und abends als letzte geschlossen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kunden mit kleinen Kindern diese Serviceleistung sehr gerne annehmen. Rückmeldungen hierzu erhalten wir nicht, da die Kunden dieses Angebot kennen und sich die süßwarenfreien Kassen sich über die Jahre etabliert haben.“


Ähnliche Sicht der Dinge bei Real: „In unserer Kassenzone bieten wir den Kunden neben Süßigkeiten auch viele andere Produkte wie Batterien, CDs und Telefonkarten an. Dadurch ergibt es sich ganz von selbst, dass es in unseren Märkten auch süßwarenfreie Kassen gibt. Demnach sind diese Kassen eine logische Konsequenz und nicht Ergebnis einer strategischen Entscheidung. Unsere Kunden schätzen es sehr, dass sie die Möglichkeit haben, eine süßwarenfreie Kasse wählen zu können“, heißt es bei Real. Bei Edeka sind süßwarenfreie Kassenzonen zwar noch nicht die Regel, werden aber bei Neu- oder Umbauten immer häufiger von den Kaufleuten gewählt.

Das muss man sich auch leisten können. Immerhin werden im deutschen LEH mindestens 25 Prozent des gesamten Zuckerwarenumsatzes an der Kasse realisiert. Und eine Alternative sieht Gutermuth nicht: „Süßwaren werden an der Kasse impulsiv verkauft. Keine andere Warengruppe funktioniert an diesem Platz so gut. Werden sie dort nicht platziert und gesehen, unterbleibt der Kauf.“ Andererseits machten Kaufleute die Erfahrung, dass bei einem reduzierten Angebot der Kunde den Bereich offener und aufgeräumter empfindet. „Unsere Analysen belegen jedoch, dass flache Kassenregale, bestückt mit den richtigen Top-Artikeln ebenfalls positiver eingestuft werden und damit der Ort der höchsten Flächenrentabilität im Markt vernünftig genutzt wird.“

Bei Mondelez (Milka) ist man der Meinung, dass bei einem aktiven und ausgewogenen Lebensstil etwas Süßes durchaus einen Platz in der Ernährung haben darf. „Wir platzieren unser Süßwarenportfolio in allen Bereichen im Supermarkt. Dazu gehört neben dem Regal und der Zweitplatzierung auch die Kassenzone. In dieser sind wir in der Regel mit Einzelportionsprodukten präsent. Auf diesen weisen wir, wie auf unserem gesamten Portfolio, prominent alle Zutaten, Nährwertangaben, z. B. GDA auf der Frontseite, pro 100 g und auch die Portionsgrößen aus und schaffen damit Transparenz“, heißt es in einer Stellungnahme.

Jetzt angelaufen ist das globale Projekt „The Call for Well-being“ . Zur Förderung eines bewussten Konsumverhaltens formuliert Mondelez International darin erstmals weltweit gültige Ziele zu den Nährwerten von Produkten: Bis 2020 sollen sogenannte „Better choice“-Produkte im weltweiten Portfolio des Unternehmens rund 25 Prozent des Umsatzes ausmachen. Dies sind Produkte, die bestimmte Nährwertkriterien erfüllen. Gleichzeitig soll der Anteil an Einzelportionen, die 200 kcal oder weniger enthalten, im weltweiten Produktportfolio um 25 Prozent erhöht werden. Ergänzend hat das Unternehmen Ziele zur Reduzierung des Gehaltes an Natrium und gesättigten Fettsäuren (minus 10 Prozent) sowie zur Erhöhung des Vollkornanteils (plus 25 Prozent) definiert.

Der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. (BDSI) hält „gesunde Kassenzonen“ , wie in Großbritannien zu finden, und die Verbannung der Süßwaren aus diesem Abschnitt, für nicht geeignet, um einen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Problem des Übergewichts zu leisten. „Es bleibt dem Handel selbstverständlich überlassen, wie er seine Kassenzone gestaltet. Aber es gibt keine gesunden oder ungesunden Lebensmittel, und es gibt auch keine gesunden oder ungesunden Kassenzonen“, sagt Klaus Reingen, Hauptgeschäftsführer des BDSI.

Seeberger in Ulm erkennt und reagiert auf den sich verstärkenden Trend des „gesunden Snackens“, wobei gleichzeitig die Aspekte „To go“ und Convenience mithineinspielen. Dabei seien die Käufe stärker genuss- als vernunftgetrieben, erklärt Lorena Löffler vom Trade Marketing. Mit Studentenfutter, aber auch Trockenfrüchten, Nüssen und Nussmischungen hat Seeberger passende Produkte im Sortiment, die als Süßwarenalternative ihre Berechtigung an der Kasse haben. Derzeit läuft bei einem Handelspartner ein erster Verkaufstest mit dem 50-g-Beutel Studentenfutter in einem speziellen Kassentray. „Wir denken unabhängig davon, dass der Ansatz Süßwarenalternative in der Kassenplatzierung in den Vertriebskanälen Drogeriemarkt und klassischer LEH für uns neue Absatzperspektiven eröffnet“, sagt Lorena Löffler. Eine Herausforderung für die Süßwaren-Protagonisten, die für die konventionelle Kasse sowie für den Bezahlvorgang beim Online-Shopping nach Lösungen suchen.

Süßwaren an der Kasse
  • In der Kassenzone ist eine Flächenproduktivität von bis zu 35.000 Euro pro Jahr und qm zu erzielen.
  • Auf 1 Prozent der Verkaufsfläche werden bis zu 7,1 Prozent des Gesamtumsatzes generiert. Tendenz steigend . 2010 lag der Wert bei 6,4 Prozent, 2004 waren 4,8 Prozent
  • Nach den Tabakwaren sind es die Süßwaren, die den größten Anteil am Ertrag der Kassenzone bringen (22,2 Prozent).
  • Umsatzanteil von Nonfood liegt bei rund 13 Prozent.
  • Die Handelsspanne für Süßwaren an der Kasse liegt bei 31,4 Prozent (Durchschnitt: 12,4 Prozent), ist gut dreimal größer als bei Tabakwaren (9,2 Prozent) und beträgt mehr als das Doppelte der Handelsspanne der übrigen Nonfood-Artikel (14,7 Prozent).
  • Kaugummi ist mit 44 Prozent Umsatz- und mit 51 Prozent Ertragsanteil führend unter den Süßwaren.
  • Potenzial ist gegeben denn bislang kaufen nur 15 Prozent der Kunden regelmäßig ein oder mehrere Produkte an der Kasse. 85 Prozent sind Gelegenheitskäufer oder Kassenverweigerer.

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