Warum ist der Liter Trinkmilch so billig?
Heinrich Gropper: In Deutschland ist Milch ein Grundnahrungsmittel, das seit Jahrzehnten zu Schleuderpreisen verkauft wird. Egal ob bei Edeka, Rewe, Aldi oder Lidl, ob im Vollsortiment oder im Discounter – überall gibt es diesen berühmten Preiseinstieg. Und warum? Weil Milch irgendwie verwertet werden muss. Sie ist ein Massenartikel, eine Commodity. Eine der einfachsten Verwertungen dafür ist: Milch pasteurisieren, abfüllen, auf den Lkw und in den Laden. Das ist keine Kunst. Die Folge: Es gibt ein Überangebot, und der Preis ist niedrig. Mit dem bloßen Abfüllen von Milch lässt sich kein Geld verdienen.
Läuft bei Milch also nur der Preiseinstieg?
Natürlich gibt es einen Mainstream, aber schauen Sie mal: Vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein Discounter wie Aldi sieben verschiedene Sorten Milch im Regal hat. Heute sieht das anders aus. Oder gehen Sie zu Edeka oder Rewe, da finden Sie im Vollsortiment gar 15 Sorten Milch aller möglichen Marken und Spezialsorten. Da wird jeder Verbraucher mit seinen Wünschen abgeholt.
Wie lässt sich mit Milch Geld verdienen?
Man muss ein Produkt mit Mehrwert entwickeln.
Und das geht wie?
Angefangen hat das mit Milch mit einem natürlichen Fettgehalt oder Marken, die auf gentechnikfreie Milch gesetzt haben.
Auf welches Label setzt Gropper?
Wir haben 2016/17 mit dem Deutschen Tierschutzbund das Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ ins Leben gerufen. Landwirte, die mitmachen wollen, müssen Kriterien erfüllen wie Laufstallhaltung, ausreichende Liege- und Fressplätze, genügend Tränkestellen und eine entsprechende Fütterung. Zuerst haben wir geprüft, wie viele Landwirte diese Kriterien erfüllen können. Letztlich sind wir mit 111 Landwirten ins Programm gestartet.
Mehrwert gibt es aber nicht umsonst.
Genau das ist das Problem: Man kann Mehrwert anbieten, aber letztlich muss der Verbraucher dafür zahlen. Nachhaltigkeit, wie Umweltschutz und CO2-Reduktion, kostet Geld, und das muss jemand tragen.
Wie hoch ist der Zuschlag für die Landwirte, die Tierwohlmilch liefern?
Mit unserer Tierwohlmilch zahlen wir seit 2017 jährlich etwa viereinhalb Millionen Euro mehr an die Landwirte aus. Jeder Landwirt im Tierwohlprogramm erhält 3 Cent zusätzlich pro Liter Milch. Das ist eine beachtliche Summe, die von den Landwirten geschätzt wird.
Verdrängt die staatliche Haltungsstufe drei das Tierwohllabel?
Wir befinden uns gerade in einem echten Wandel. Was das Thema Tierwohl betrifft, wird Haltungsstufe drei meiner Meinung nach der neue Standard. Jetzt sprechen wir über Haltungsstufe vier, die im Bereich der konventionellen Landwirtschaft für uns aber kaum erreichbar ist.
Auf einigen Milchflaschen auf dem Tisch heute türmen sich vier Labels für Regionalität und drei für Biostandard. Labelwahn?
Da bin ich komplett bei Ihnen. Ich finde es für die Verbraucher oft verwirrend, was ich gerne als „Siegel-Friedhof“ bezeichne.
Inhaber
Der Verbraucher will es nicht, wer dann?
Der Handel nutzt jede Möglichkeit zur Auszeichnung und schreibt alles, was möglich
ist, auf die Verpackung (Heinrich Gropper zeigt dabei auf eine Milchflasche mit sieben Labels). Ob das letztlich sinnvoll ist, kann ich nicht beurteilen, denn der Kunde ist der Herr der Marke.
Immer mehr, immer mehr …?
Es ist oft ein Wettlauf darum, wer es noch besser oder schöner machen kann. Ich denke, wir haben da mittlerweile die Spitze erreicht. Am Ende ist der Verbraucher oft einfacher gestrickt, als man denkt. Wenn jemand Biomilch will, kauft er Biomilch. Bei Tierwohlprodukten ist es ähnlich: Man fühlt sich besser, wenn man weiß, dass etwas dafür getan wird. Und bei der Frage EU oder deutsch bevorzugen viele deutsche Produkte.
Laut einer aktuellen Umfrage greifen Verbraucher bei Milch nicht an erster Stelle wegen des Preises zu Handelsmarken.
Im konventionellen Bereich kommt die beste Milch heute von uns, und zwar unter Eigenmarken. Das liegt daran, dass wir über mehrere Jahre hinweg intensiv mit den Landwirten zusammengearbeitet und sie beraten haben. Wir haben Programme entwickelt und können das jetzt auch entsprechend ausloben.
Fehlen den Marken Mehrwert-USPs?
Ja, zum Teil. Nehmen Sie beispielsweise einen Trinkmilchmarkenverarbeiter hier aus Bayern: Weil es ihm zu aufwendig war, den geografischen Bezug durch die gesamte Strecke zu führen, haben sie Alpenmilch als USP von ihren Verpackungen genommen. Wir hingegen haben vier verschiedene Milchströme in unserer Molkerei, die wir separat annehmen, verarbeiten und abfüllen können. Wir betreiben viel Aufwand für unsere Eigenmarke. Wenn ich eine Marke wäre, hätte ich mir das nicht so einfach nehmen lassen.
Lebt die Marke nicht von ihrem Image?
Man muss nicht unbedingt einen „Siegel-Friedhof“ auf die Verpackung drucken, aber beispielsweise das Thema Tierwohl hätte ich sehr früh aufgegriffen. Eine Marke sollte doch eigentlich die Spitze bilden, oder? Und nicht umgekehrt.
Welche Labels funktionieren?
Ein gutes Beispiel für ein erfolgreiches Label ist die Weidemilch. Warum? Ganz einfach: Der Begriff Weidemilch vermittelt sofort, dass die Kühe draußen auf der Weide stehen. Das muss man nicht groß erklären. Bei uns im Süden können wir das allerdings nicht auf die Verpackung schreiben, weil es hier keinen Weidegang gibt. Aber dort, wo es möglich ist, funktioniert das Label und
erzielt auch einen höheren Preis.
Zusammengefasst: Labels mit leicht verständlichen Kriterien, wie „Weide“ oder „Tierwohl“, oder aber Namen, wie „Bioland“ oder „Naturland“, funktionieren?
Genau.
Bleiben wir bei den einfachen Wahrheiten. Beim Nutri-Score ist grün gut, rot ist schlecht.
Ja, aber die Interpretation ist nicht so einfach. Der Nutri-Score verleitet dazu, den gesunden Menschenverstand auszuschalten. Ein Smartfood bekommt A und eine Biomilch B.
Und ein Sahnejoghurt hat E.
Ja genau. Und der schmeckt auch noch superlecker. Ist das eine Katastrophe? Nein, totaler Blödsinn. Ich kann doch heute einen Apfel essen und trotzdem morgen ein Stück Kuchen oder Schokolade, ohne mich gesundheitsschädlich zu ernähren. Manchmal hat man das Gefühl, dass man den Verbraucher fast schon bevormunden will. Und wenn ich höre, dass Süßstoffe als gesunde Alternative zu Zucker angepriesen werden, dann frage ich mich, ob das wirklich sinnvoll ist. Süßstoffe sind im Abwasser nicht abbaubar.
Irgendwann wird der Nutri-Score aber doch gelernt sein?
Ich möchte eine Prognose abgeben: Es wird für die Verbraucher noch komplizierter. Die Lebensmittelkennzeichnung ist bereits unglaublich komplex. Wenn sich gesetzliche Vorgaben ändern, kann ein Produkt, das gestern noch mit einem B bewertet wurde, plötzlich ein C bekommen. Wie erklärt man das den Kunden? Gestern war das Produkt noch grün, heute ist es gelb. Kunden fragen nach: Hat sich etwa die Rezeptur geändert? Nein, oft hat sich nur das Gesetz geändert.
Müsste aus Ihrer Sicht noch ein weiteres Label „erfunden“ werden?
Momentan würde ich sagen, nein.
Auch kein Klimalabel?
Das ist wirklich eine knifflige Frage, auf die viele gerne eine einfache Antwort hätten. Aber so einfach ist es nicht. Sehen Sie, die Milch hat in letzter Zeit ordentlich Konkurrenz bekommen. Hafermilch wird oft als die bessere Alternative dargestellt. Beim Nährwertvergleich zeigt sich, dass man die beiden nicht vergleichen kann. Wenn man die Nährwerte angleicht und so konzentriert, wie es bei der Milch der Fall ist, sind die Unterschiede gar nicht mehr so groß. Aber das kann man den Kunden nicht einfach im Supermarktregal erklären, oder?
Also aufgeben und den veganen Milchalternativen die Deutungshoheit überlassen?
Was wir derzeit tun, ist, die Kohlendioxid-Istwerte all unserer Bauern zu erfassen. Das ist eine wirklich interessante Aufgabe, und wir sind schon sehr weit gekommen. Alle Tierwohlbauern sind mittlerweile erfasst, und wir haben eine breite Datenbasis. Es wird keine großen neuen Erkenntnisse mehr geben, aber wir wissen jetzt, in welchem Bereich wir optimieren können. Lassen sich die Werte bei der Erzeugung von 1,2 kg CO2 pro Liter Milch auf 900 oder 1.000 Gramm reduzieren? Klimaneutrale Milch wird man jedoch nie produzieren können. Punkt.
Ein umweltbezogenes Label findet man heute schon auf Ihren Milchflaschen.
Beim Thema Verpackung haben wir mit dem Schwerpunkt Monomaterialien einen Hebel, den wir zusammen mit dem Handel weiter vorantreiben können. Es ist uns gelungen, alle Händler von der PET-Milchflasche zu überzeugen – von Süd nach Nord, von Ost nach West. Damit nehmen unsere Flaschen seit Januar am Pfandrückgabesystem teil, was uns ermöglicht, das Thema Kreislaufwirtschaft zu betonen. Das geschieht über das DPG-Logo. Im Grunde funktioniert es wie bei einer Wasserflasche: Die Milchflasche landet im Pfandautomaten, wird gepresst, und aus dem PET entsteht wieder eine neue Flasche. Inzwischen haben wir bei Gropper die ersten Sorten mit 100 Prozent Rezyklatanteil, ähnlich wie bei Wasserflaschen. Mit dem Vorsatz, ohne zusätzliches neues Plastik auszukommen, sind wir den gesetzlichen Vorgaben, die ab 2030 kommen, bereits einen Schritt voraus.
Der Kartonverband hält dagegen und argumentiert, dass auch Verbundverpackungen mit einer Polyethylenfolie recyclingfähig sind.
Stimmt, aber bei einem Material wie PET ist es einfacher, das zu erklären.