Mehrweg-System Operation am offenen Herzen

10 Euro Pfand für eine Kiste Leergut. Das fordern Brauer aus dem Mittelstand. Eine Umstellung ist komplex und braucht Mut, aber ohne höheres Pfand droht nachhaltiger Schaden für das Mehrweg-System.

Sonntag, 23. April 2023 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Operation am offenen Herzen
Die Kosten: aktuelle Sätze für das Rahmenpfand von Bierkisten.
Bildquelle: Riegele Brauerei

Es gärt in der deutschen Brauindustrie. Nicht nur Hefe und Malzzucker – das wäre völlig normal –, sondern auch die Debatte um eine deutliche Erhöhung des Flaschen- und Kistenpfands. Dass die Sätze steigen müssen, gilt fast durchgehend als Konsens. Zu hoch sind die Wiederbeschaffungskosten für Glas und Kästen. Zu niedrig die Rücklaufquoten, und auch ökologisch ergibt ein Pfand von 8 Cent je Bierflasche wenig Sinn, denn immer häufiger landen gerade Gebinde aus dem Einzelverkauf vor allem in den Großstädten im Müll.

Für Pfandsammler eine wenig attraktive Beute, denn Glas ist schwer und die Beute finanziell kaum lukrativ. Solche Flaschen sind für jeglichen Kreislauf verloren und fehlen den Brauern und anderen Getränkeherstellern. „Wir wollen 25 Cent je Flasche und 5 Euro für jede Kiste, sonst bricht das Mehrwegsystem irgendwann zusammen“, sagt Dr. Sebastian Priller, persönlich haftender Gesellschafter der Augsburger Riegele Brauerei. Priller ist ein Urgestein der Branche und mischte bereits bei der Einführung des Einwegpfandes 2003 auf Verbandsebene kräftig mit. Heute führt sein Sohn, ebenfalls Sebastian Priller, das operative Geschäft und lehnt sich auch beim Thema Pfanderhöhung am stärksten von allen Brauern aus dem Fenster. „Es gibt natürlich Gegenwind. Die einen fürchten, dass Verbraucher auf Einweg ausweichen. Das halte ich für Unsinn, denn die mit 25 Cent bepfandete Dose ist nach wie vor ein sehr beliebtes Gebinde. Ein höheres Pfand würde Glas nicht schaden“, so der Repräsentant der 28. Generation der Riegele Brauerei (unter anderem „Spezi“) gegenüber der LP. Der wohl stärkste Vorbehalt der Kritiker gegenüber einer Pfanderhöhung sind die Sorgen vor der finanziellen Mehrbelastung der Brauer. Ein höheres Pfand bedeutet auch höhere Rückstellungen. „Bilanziell ist das für die Brauer erst einmal sogar von Vorteil, denn höhere Rückstellungen drücken auf den Gewinn und damit auf die Steuerlast. Wenn man das Geld sinnvoll anlegt, kann man die Mehrkosten in wenigen Jahren wieder reinholen“, ist Priller überzeugt.

30
Cent kostet die Brauer eine neue Glasflasche.

 

22

Cent beträgt der Verlust für jede verlorene Flasche.
Quelle: Riegele Brauerei

Die Frage nach dem Wann
Mehrkosten entstehen dadurch, dass bei einer Pfanderhöhung die Brauer für jede zurückbekommene Kiste Leergut auf einen Schlag mehr Geld zahlen müssen, als sie ursprünglich bekommen haben. Allerdings, so Priller, würden schon heute durch ein völlig aus dem Ruder geratenes Mehrwegsystem bei vielen Brauern Mehrkosten entstehen, da die Kisten häufig mit Fremdflaschen auf dem Hof landen. Im schlimmsten Fall Individualgebinde eines konkurrierenden Herstellers. Der Braumanager hält einen Stichtag für die Umstellung vor allem in einer eher konsumschwachen Zeit für sinnvoll, etwa im Februar 2024.

Die Branche reagiert verhalten bis positiv. Die Radeberger Gruppe äußerste zumindest Verständnis für die Debatte, wohingegen sich Markus Wagner, Sprecher der Familien-Brauerei Fiege aus Bochum, deutlich hinter den Vorstoß aus Augsburg stellt. Jeder in der Branche weiß, dass neben dem Verlust von Flaschen auch Kisten rar sind. Vor allem süddeutsche Brauereien haben hier einen Wettbewerbsnachteil. Viele wollen Bierstile wie das immer beliebtere „Helle“ national verkaufen, bekommen aber kaum die ausgelieferten Kisten zurück. Dadurch wird der Verkauf trotz wachsender Nachfrage authenti-scher Biere von kleinen und mittelgroßen Brauereien zum Verlustgeschäft. „Ich möchte nicht mit dem Finger auf irgendwen zeigen, aber jeder weiß, dass dem Markt Kästen entzogen werden. Bei einem Pfand von 1,50 Euro überlegt man sich zweimal, ob man eine Kiste mit großem logistischen Aufwand wieder quer durch die Republik fährt, wenn man für ein geschreddertes Gebinde ebenfalls einen Euro erhält“, erklärt Priller das Debakel.

Nullsummenspiel für den Handel
Die Debatte ist nicht ganz neu. Bereits 2019 forderte der Verband Private Brauereien eine einheitliche bundesweite Pfanderhöhung für Bierkästen auf mindestens 5 Euro zuzüglich Flaschenpfand. „Das Pfand wurde bestimmt seit 40 Jahren nicht mehr erhöht“, monierte Geschäftsführer Roland Demleitner. Schon damals gab es Vorbehalte aufgrund des gestiegenen finanziellen Mehraufwandes, den der Brauer-Bund auf rund 700 Millionen Euro bezifferte. Der Verband äußerte Sorgen wegen der Mehrbelastung für die Verbraucher. Priller hält das für nicht überzeugend: „Für Handel und Verbraucher ist das Ganze ein Nullsummenspiel. Sie bekommen das zurück, was sie bezahlen. Und die Mehrbelastungen für die Brauer sind, falls es so weiter geht, gar nicht mehr abzusehen. Es geht um nicht weniger als die langfristige Rettung des Mehrwegsystems in Deutschland.“

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Das Pfand für eine klassische Bierflasche beträgt 8 Cent. Zu niedrig, monieren Kritiker.
Bild öffnen Die Kosten: aktuelle Sätze für das Rahmenpfand von Bierkisten.
Bild öffnen 28. und 27. Generation von Riegele: Sebastian Priller und Dr. Sebastian Priller.

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