Michael Huber, Generalbevollmächtigter der sauerländischen Veltins Brauerei, ist bekannt und geschätzt für seine scharfen und bisweilen auch humorvollen Analysen zum deutschen Biermarkt. In diesem Jahr allerdings ist dem Braumanager bei der Vorstellung der Jahresbilanz von Veltins nicht nach flapsigen Bemerkungen. Die ohnehin schon von Absatzrückgängen gebeutelte Branche werde mindestens zehn Jahre brauchen, um sich von den Einbrüchen in 2020 zu erholen. Eine Konsolidierung und weitere Übernahmen angeschlagener Brauer seien wahrscheinlich. Dabei kann Huber noch relativ zufrieden sein. Mit einem Rückgang von 3,5 Prozent auf 2,94 Millionen Hektoliter und einem Umsatz von 342 Millionen Euro (minus 4,7 Prozent) ist Veltins noch mit einem blauen Auge davongekommen. Während der Flaschenbierausstoß im zurückliegenden Geschäftsjahr um 7,3 Prozent zulegte, musste man für das gastronomieorientierte Fassbiergeschäft einen historischen Absatzeinbruch von 56,3 Prozent verbuchen. Trotzdem: Veltins kann sich wieder einmal als Gewinner präsentieren. Zum Vergleich: Der regionale Wettbewerber und einstmals führende Brauer Warsteiner musste einen Absatzschwund von 16,2 Prozent vermelden. Diese Entwicklung wurde laut Warsteiner maßgeblich durch die Absagen von Großveranstaltungen wie der Fußball-Europameisterschaft und die Streichung von Festivals, Konzerten sowie Schützenfesten beeinflusst. Zudem sei die „größte Premium-Pils-Exportmarke“ einer deutschen Privatbrauerei frühzeitig von den Lockdowns in wichtigen Exportmärkten wie Italien, Frankreich und auch Asien betroffen gewesen.
Schadenfreude über diese Entwicklung verspürt Huber von Veltins nicht: „Viele Leute glauben, dass wir uns freuen, wenn es dem Wettbewerb schlecht geht. Das ist definitiv nicht so.“ Auch Fragen nach einem Kaufinteresse an Warsteiner wiegelte Huber während einer digitalen Pressekonferenz bestimmt ab.
Fassbier steht für Marge
Auch der Marktführer, die Radeberger Gruppe, muss kaum überraschend für 2020 einen Absatzrückgang von 4,7 Prozent auf rund 12 Millionen Hektoliter vermelden (Gesamtumsatz der Gruppe: minus 8 Prozent, 1,6 Milliarden Euro). Dabei sei der Blick auf den Absatz nur eine Messgröße für Markterfolg, betont Guido Mockel, Sprecher der Geschäftsführung der Radeberger Gruppe. Während viele Brauer wie auch die Radeberger Gruppe den massiven Einbruch des Fassbierabsatzes durch einen Zuwachs bei Flaschenbier zumindest nominal etwas abfedern konnten, reiße das entfallene margenträchtigere Fassbiergeschäft schmerzhafte Lücken in die Unternehmensergebnisse. „Wir sind einer der größten Fassbiervermarkter in Deutschland und beliefern weit über 40.000 gastronomische Objekte mit unseren Bieren und alkoholfreien Getränken. Entsprechend hart trifft uns deren monatelange Schließung, die zu einer Halbierung unserer Fassbierabsätze geführt hat“, erklärt Mockel, ohne Angaben zum Gewinn zu machen.
Nach einer ersten Prognose wird der gesamte Biermarkt 2020 um 6 Prozent und damit um rund 5,5 Millionen Hektoliter schrumpfen – der größte Volumensverlust seit der Währungsreform. Deutschlands Gastronomie ging durch den Minderverkauf von Fassbier im zurückliegenden Jahr nach Schätzungen von Veltins ein Gesamtumsatz von 5,4 Milliarden Euro verloren.
Staatliche Hilfen für Brauereien insgesamt unzureichend
Laut einer Umfrage des Deutschen Brauer-Bundes (DBB) werden die von Bund und Ländern zur Verfügung gestellten Mittel für die Branche weit überwiegend als unzureichend bewertet. Mehr als drei Viertel der vom Verband befragten Brauereien gaben diese Einschätzung ab. Nur jeder zehnte Betrieb erklärte, dass die Unterstützungsmaßnahmen ausreichen. Eine Steuerstundung beispielsweise hilft den Unternehmen nur für bestimmte Zeit, liquide zu bleiben: Die Schuld muss später zurückgezahlt werden. Vielfach wurde laut dem Verband betont, dass zur Abwendung irreversibler wirtschaftlicher Schäden unbürokratische, schnellere und wirksamere Hilfen für betroffene Betriebe hohe Priorität haben müssten. Unter Hinweis auf die enge Verbindung zwischen Brauwirtschaft und Gastgewerbe wird eine der Gastronomie ähnliche Unterstützung auch für die Braubranche eingefordert. Kritisiert wird in diesem Kontext insbesondere die Benachteiligung von Brauereigaststätten, die als Mischbetriebe keine Hilfe, die mit der für die sonstige Gastronomie gewährten vergleichbar wäre, beantragen können. Zu weiteren Forderungen zählen eine Verstetigung der Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie sowie die Einbeziehung von Getränken. Daneben sprechen sich die Betriebe für die Ausweitung von Verlustvorträgen aus sowie eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, eine Weiterführung der Kurzarbeiter-Regelung auch nach Ende des Lockdowns sowie eine Beschleunigung der staatlichen Impfprogramme. „Die Situation ist dramatisch und in der Nachkriegszeit ohne Beispiel“, konstatiert DBB-Hauptgeschäftsführer Holger Eichele.
Einige Brauer helfen ihren Gastronomiepartnern auch aus eigener Initiative: Veltins beispielsweise verspricht seinen Kunden, dass sie zusätzlich zu den bereits im vergangenen Jahr temporär ausgesetzten Darlehensrückzahlungen über das gesamte erste Quartal nochmals eine Erleichterung erhalten. Analog zum ersten Hilfspaket werden die Finanzierungsrückzahlungen bis zum Ende des ersten Quartals gestundet. „Wir wissen um die Sorgen und Existenznöte unserer Gastronomiekunden im zweiten Lockdown und helfen dabei, die finanziellen Belastungen der Betriebe zu mindern“, sagt Huber.
Viele Brauer betonen, dass sie sich in dieser Zeit mit Investitionen und Neuheiten nicht zurückhalten wollen. So plant Warsteiner, vor allem sein neues und erfolgreiches alkoholfreies Segment und Spezialitäten wie „Brewers Gold“ weiter voranzutreiben. Christian Gieselmann, Sprecher der Geschäftsführung: „Warsteiner hat auch in diesem außerordentlich schwierigen Jahr gezeigt, dass wir marktprägende Produkteinführungen realisieren können.“ Dieser Erfolg soll jetzt fortgesetzt und sogar internationalisiert werden. Ab dem zweiten Quartal erwartet die Warsteiner Brauerei zudem positive Effekte durch verbesserte Bedingungen für die Gastronomie und Veranstaltungen – wenn auch mit angepassten Zuschauer-Konzepten – wie die Fußball-EM oder die Festivals Rock am Ring/Rock im Park, bei denen die Marke als Hauptsponsor auftritt.
Auch die Verantwortlichen bei Veltins wollen im Angesicht der Pandemie nicht in Schockstarre verfallen. „Gerade jetzt brauchen wir keine Schwarzmalerei, sondern unternehmerischen Mut, um die eigene Zuversicht zu beweisen“, sagte Michael Huber. So werde die Belegschaft noch 2021 um ein Dutzend Mitarbeiter erhöht, sodass man zum Jahresende die Zahl von mehr als 700 Beschäftigten erreichen werde. Seit der Jahrtausendwende ist die Belegschaft von Veltins um rund 200 Personen gewachsen und stieg damit um rund 34 Prozent an. Genauso unverdrossen treibt die Brauerei ihr Investitionstempo voran. Schon im Frühjahr geht das neue Logistiklager mit einem Gesamt-Projektvolumen von 30 Millionen Euro ans Netz, zugleich befindet sich das neue Abfüllzentrum im Bau. Es gehört ebenfalls zur mehrjährigen Investitionsoffensive von 420 Millionen Euro, die 2024 abgeschlossen sein soll.