Weideschuss Tierschutz im Glas

Die großen Schlachthöfe sind durch die Corona-Krise stark in die Kritik geraten. Schlechte Arbeitsbedingungen und stressige Massenabfertigung der Tiere müssen aber nicht sein. Bei der Tötung durch den „Weideschuss“ entfällt der Transport. Es gibt keine Massenabfertigung und damit auch keinen Stress.

Freitag, 22. Oktober 2021 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Tierschutz im Glas
Bildquelle: Weideschuss Bio GmbH

In Deutschland wurden im letzten Jahr rund 3,4 Millionen Rinder geschlachtet. In vielen Fällen erweist sich der Transport zum Schlachthof als Tierquälerei: Trennung von der Herde, eine strapaziöse Fahrt, eine fremde, beängstigende Umgebung und ein häufig grausames Ende: Langzeituntersuchungen im Kreis Darmstadt haben gezeigt, dass 48,9 Prozent der Rinder bei ihrer Schlachtung nicht ausreichend betäubt waren. Seit 2011 dürfen Rinder, die ganzjährig auf der Weide leben, direkt am landwirtschaftlichen Betrieb betäubt und anschließend getötet werden. Nach der europäischen Verordnung (EG) Nr. 853/2004 müssen die Schlachttiere zwar grundsätzlich lebend in einen zugelassenen Schlachthof transportiert werden, es gelten aber Ausnahmen für einzelne Betriebe. Rinder in ganzjähriger Weidehaltung dürfen nur mit einer gesonderten Genehmigung im Haltungsbetrieb geschlachtet oder für den menschlichen Fleischverzehr getötet werden. Bei dieser Methode wird ein Rind inmitten seiner Herde – und damit unter größtmöglicher Vermeidung von Stress und Angst – durch einen gezielten Kugelschuss in den Kopf betäubt und durch Blutentzug getötet.

Weideschuss Bio GmbH: Bio-regionales und faires Tierwohl
Den Weideschuss wenden auch die Gesellschafter der Weideschuss Bio GmbH an. Seit mehr als zehn Jahren engagieren sich die vier Gesellschafter, die Landwirte Franz Berchtold, Günther Rauch und Herbert Siegel sowie der Bio-Koch Alfred Fahr, für ein stressfreies Schlachten auf der Weide. „Alle Tiere sollen das Recht haben, würdevoll behandelt zu werden und in Ruhe zu sterben“, sagt Landwirt Herbert Siegel. Er setzt innerhalb der Weideschuss Bio GmbH auf den Einsatz von mobilen Schlachtboxen – „unsere Rinder können somit bis zum Schluss in der gewohnten Umgebung und in ihrem Herdenverbund bleiben“. Er ergänzt: „Wir geben uns große Mühe, die Lebenszeit unserer Tiere so artgerecht und würdevoll wie möglich zu gestalten. Deshalb setzen wir auf biologische Haltung und bieten unseren Rindern darüber hinaus sogar noch mehr.“ Für die vier Gesellschafter hört der Tierwohlgedanke nämlich nicht bei der Schlachtung auf: Die Weideschuss Bio GmbH steht für eine regionale Wertschöpfungskette für Bio-Kälber und -Rinder. „Die Tiere werden kuhgebunden aufgezogen. Später werden sie auf der Weide geschossen, dann verarbeitet und vermarktet“, sagt Herbert Siegel, der seinen Rindern bis zum Schluss ein gutes Leben ermöglichen will. Dazu gehört auch, dass seine Kühe Hörner tragen und die Stierkälber nicht kastriert werden.

Ganzes Leben auf der Weide
Bei den Landwirten Franz Berchtold, Günther Rauch und Herbert Siegel verbringen die Rinder ihr ganzes Leben auf der Weide. Sie werden dort geboren, und sie werden dort auch getötet. Herbert Siegel ist einer der wenigen Landwirte in Deutschland, der seine Tiere direkt auf der Wiese schießt. „Wir gehen respektvoll mit ihnen um. Das ist ein wichtiger Punkt für mich. Deshalb kann es mir nicht egal sein, wie meine Tiere geschlachtet werden. Das Einladen in den Hänger, die Fahrt zum Schlachthof, das Ausladen, die fremde Umgebung, der Geruch von Blut – das alles gibt es bei dem Weideschuss nicht.“ Er ergänzt: „Damit wird dem Tier der ganze Stress vor dem Schlachten erspart. Für mich kommt nichts anderes als der Weideschuss infrage. Es ist das Beste für das Tier.“

Der Weideschuss erfolgt immer auf der heimatlichen Weide aus der Herde des Tieres heraus. „Die Idee ist es dabei, dem Tier den Stress eines langen Transports zu ersparen. Die Motivation ist also primär der Tierschutz und sekundär die Fleischqualität.“ Das Tier stirbt in seiner gewohnten Umgebung, völlig ohne Stress, die Arbeitssicherheit des Menschen ist gewährleistet, und ein hochwertiges Lebensmittel kann erzeugt werden, so der Landwirt.

Kritiker einer herkömmlichen Schlachtung monieren, dass der Stress bereits beginne, wenn die Rinder aus ihrer Herde herausgerissen und im Viehwagen zum Schlachthof transportiert werden. Dort angekommen, im sogenannten Treibgang, hörten sie die Schreie der anderen Tiere und würden ihr Blut riechen. Die Schlachtmethode ist auch ein Vorteil für die Fleischqualität: Das stressfreie Töten hat erheblichen Einfluss auf die Fleischqualität. Dies wirkt sich vor allem auf den pH-Wert, die Zartheit, Farbe und das Wasserhaltevermögen aus. „Durch die Stressfaktoren beim normalen Schlachten kann die Qualität des Fleisches stark gemindert werden“, sagt Siegel.

Gewehr mit Schalldämpfer
Wenn es wieder mal so weit ist, nimmt Siegel sein Jagdgewehr und geht zu der Herde. Wenn die Position des anvisierten Rindes stimmt, fällt der Schuss und trifft das Tier in den Kopf. „Das Tier sackt sofort zusammen“, sagt Siegel. Mit dem Schalldämpfer am Gewehr ist der Schuss nicht allzu laut. Die anderen Tiere der Herde erschreckten sich dadurch nicht. „Sie schauen ein bisschen, weil ein Tier umgefallen ist, fressen dann aber weiter.“ Für Siegel ist es die „ethisch vertretbarste Methode“ der Schlachtung. „Die Tiere sterben in Würde dort, wo sie gelebt haben – in der Herde.“

Langer Kampf für die Erlaubnis
Siegel kämpfte jahrelang dafür, dass die Rinder mit einem Gewehrschuss auf der Weide getötet werden dürfen. Als ihm die Behörden 2016 grünes Licht für die Weideschlachtung – jeweils im Beisein eines amtlichen Tierarztes – gaben, schaffte er mit den befreundeten Bio-Bauern Berchtold und Rauch eine sogenannte mobile Schlachtbox an. Darin blutet das erlegte Rind aus, ehe es ins nahe gelegene Schlachthaus gefahren wird. Dort wird das Rind dann ausgenommen, enthäutet und halbiert gekühlt. Es entsteht hochwertiges Premiumfleisch. Bio-Koch Alfred Fahr übernimmt dann die handwerkliche Verarbeitung zu küchenfertigen Gerichten wie Gulasch oder Rouladen, die in Gläser – die „Glasschätzle“ – abgefüllt werden. Dabei wird darauf geachtet, das komplette Rind zu verarbeiten. Alfred Fahr: „Artgerechte Tierhaltung macht sich in der Qualität und dem reinen und intensiven Geschmack des Bio-Fleisches bemerkbar – gutes Essen fängt bei gutem Fleisch an.“ Laut Landwirt Siegel haben die Produkte einen höheren Preis, der durch den höheren Aufwand absolut gerechtfertigt sei. Siegel: „Für die Landwirte ist dies häufig eine kostenintensive Schlachtlösung, die sich in Verbraucherpreisen widerspiegeln muss“. Nach Angaben von Siegel kalkuliert die Weideschuss Bio GmbH gegenüber vergleichbarem Bio-Fleisch mit einem Euro mehr pro Kilogramm. Abnehmer sind der Bio-Fachhandel, die gehobene Gastronomie, Hotellerie und ausgewählte Filialen des LEH.

Der Bundesrat setzt sich für den Weideschuss ein
Auch der Bundesrat setzt sich jetzt dafür ein, dass Landwirte ihre Tiere vermehrt direkt auf der Weide schlachten dürfen. Bisher geht das nur in Betrieben mit einer Ausnahmegenehmigung bei Rindern, die das ganze Jahr über draußen leben. Auf einen Vorschlag aus Bayern hin, den die Länderkammer Anfang Juni annahm, soll die Weideschlachtung ausgeweitet werden. Dann soll sie auch für Rinder und Schweine gelten, die etwa nur im Sommer im Freien gehalten werden. Landwirt Herbert Siegel weiß aber auch, dass der Weideschuss nicht für jeden Betrieb infrage kommt. „Das geht nur, wenn der Erzeuger nur wenige Tiere hat und ein mobiles oder eigenes Schlachthaus.“

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