Herr Beringmeier, hat Sie der Vorstoß des Discounters Aldi, bis 2030 Frischfleisch auf die Haltungsstufe 3 und 4 umzustellen, überrascht?
Beringmeier: Ja. Wir waren mehr als irritiert. Damit hatten wir so nicht gerechnet.
Der Discounter Aldi macht so etwas nicht unvorbereitet. Können Sie sich vorstellen, dass Aldi dies ohne Absicherung in die Lieferkette gemacht hat, um einen Anstoß zu geben. Wie beurteilen Sie das?
Mir ist nicht bekannt, dass Aldi sich vorher erkundigt hat, ob dies überhaupt möglich, ob überhaupt die Ware verfügbar ist. Für unsere Erzeuger ist es zurzeit gar nicht möglich, diese Vorgabe von Aldi zu erfüllen. Nach derzeitigem Baurecht bekommen viele Landwirte überhaupt keine Genehmigung, ihre Ställe umzubauen. Vieles ist unklar: Wie lassen sich künftig Umweltstandards sowie Außenklima und Auslauf vereinbaren? Ist die Finanzierung überhaupt langfristig gesichert?
Was will Ihrer Meinung nach Aldi erreichen?
Der Discounter hat nur angekündigt, dass er bis Ende 2030 umstellen will, aber nicht, was er dafür bezahlen will. Für uns als Landwirte ist klar: Höhere Standards müssen den Bauern auch bezahlt werden – und zwar nicht von den Bauern selbst.
Was fordern Sie von Aldi bzw. vom LEH ganz konkret?
Wir fordern vom gesamten deutschen LEH ein klares Bekenntnis zu Fleisch aus deutscher Herkunft. Unsere Tierhalter brauchen Planungssicherheit. Und dass Aldi darauf hinweist auch international einkaufen zu können, wenn bis 2030 die deutschen Mengen nicht reichen sollten, zeigt doch, um was es dem Unternehmen wirklich geht. Unsere Verbraucher wollen Tierwohl-Ware aus regionaler Erzeugung.
So wie sie das Thema beschreiben, klingt der Vorstoß von Aldi unrealistisch.
Ja, genauso ist es. Er ist unrealistisch, denn die Mengen an Frischfleisch, die Aldi aus den Haltungsstufen 3 und 4 haben will, sind im Moment und auf absehbare Zeit am Markt nicht verfügbar. Das sind zurzeit eher Nischenprodukte. Aldi hat bisher auch nur von Frischfleisch gesprochen. Wir brauchen auch eine Lösung für Verarbeitungsware.
Und wenn Aldi nicht auf Ihre Kritik eingeht?
Wir wollen den Dialog und eine gemeinsame Linie finden, um die große gesamtgesellschaftliche Herausforderung „Umbau der Nutztierhaltung“ zu bewältigen. Ich gehe davon aus, dass Aldi sich hier nicht entziehen kann und will. Im Moment müssen wir zuerst einmal Ruhe in die Diskussion bringen.
Ist Aldi der Politik einen großen Schritt voraus?
Aldi macht der Politik vor, was diese jahrelang nicht hinbekommen hat. Aldi und die anderen Lebensmitteleinzelhändler und Discounter zeigen, wie man Projekte vorantreibt und legen damit die politischen Versäumnisse auf Bundesebene offen.
Führt Aldi die Politik vor?
Die Ankündigung von Aldi, künftig nur noch Fleisch aus tiergerechterer Haltung zu verkaufen, erhöht den Druck auf die Fleischwirtschaft und die Politik. Denn die Produktion so umzustellen, dass die von Discountern und Händlern benötigten Fleischmengen aus den Haltungsformen 3 und 4 zur Verfügung stehen, erfordert hohe Investitionen. Ohne eine solide Finanzierung, ohne sichere vertragliche Bindungen und ohne einen stabilen politischen Rahmen können die Bauern den Umbau nicht stemmen.
Das Ziel von Aldi ist, Bewegung in den Markt zu bringen. Die Mitbewerber wie Kaufland und Rewe haben reagiert. Aldi hat es geschafft, den Markt unter Druck zu setzen. Die Erzeuger auch?
Ja, aber auch wir Tierhalter sind bereit, höhere Tierwohlstandards in unseren Ställen umzusetzen, erwarten aber natürlich, dass diese auch angemessen bezahlt werden. Positiv am Vorgehen von Aldi ist, dass dadurch zusätzlich Druck in Richtung Politik entsteht, die Pläne der Borchert-Kommission umzusetzen. Nur wenn diese Pläne umgesetzt werden, haben wir eine tragfähige Basis für die Zukunft unserer Nutztierhaltung. An dieser Stelle erwarte ich von Aldi, dass sich die dort Verantwortlichen hinter die Borchert-Kommission stellen und deren Empfehlungen unterstützen.
Was ist die andere Seite des Vorstoßes?
Innerhalb der Landwirtschaft führt die Initiative von Aldi zu einer riesigen Verunsicherung. Uns wird etwas abverlangt, was wir aktuell weder rechtlich noch finanziell umsetzen können. Es kann nicht umgebaut werden, weil das Bau- und Umweltrecht in vielen Fällen im Weg steht.
Ist es nicht auch eine Chance, dass Fleisch von dem Image „Billigfleisch“ wegkommt?
Den Ausdruck „Billigfleisch“ mag ich überhaupt nicht. Ich denke, dass wir dadurch alles, was wir heute haben, komplett abwerten. Wir haben eine gute Tierhaltung – ich bin als Landwirt mit der Art unserer heutigen Tierhaltung zufrieden. Wir haben diese über Jahrzehnte weiterentwickelt und optimiert. Jetzt stellen wir fest, dass die Ansprüche noch mehr in Richtung Tierwohl tendieren. Hier verweigern wir uns auch nicht. Wir haben beispielsweise die Initiative Tierwohl massiv unterstützt, weil wir gesagt haben, dass dies der richtige Weg ist.
Wie geht es weiter?
Die Politik muss die Frage beantworten, wer die in Zukunft notwendigerweise höheren Fleischpreise zahlen soll und wie dies konkret umgesetzt werden soll. Klar ist, unsere Betriebe brauchen höhere Einnahmen, sonst gibt es für die Tierhalter und die Nutztierhaltung in Deutschland keine Zukunft. Am Ende muss Fleisch teurer werden.
Was muss die Politik leisten?
Der erste Schritt ist, dass die Politik sich klar dazu bekennt, dass der Umbau der Landwirtschaft eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und die damit verbundenen Kosten auch von der ganzen Gesellschaft geschultert werden müssen. So steht es auch im Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft, der Anfang des Monats an Bundeskanzlerin Merkel übergeben worden ist. Konkrete Schritte sind erst von der neuen Bundesregierung nach der Bundestagswahl zu erwarten. Dann müsste beispielsweise das Baurecht so geändert werden, dass wir die Ställe umbauen können.
Wo soll das Geld für den Umbau herkommen?
Das hat die Politik zu entscheiden. Es sind verschiedene Modelle in der Diskussion. Klar ist: Die Schweinehalter haben das Geld für die notwendigen Umbaumaßnahmen nicht. Sie haben ein hartes Jahr hinter sich: Lockdown, Schlachthofschließungen, Schweinestau und ASP. Die Erzeugerpreise sind im Moment nicht einmal kostendeckend. Außerdem brauchen die Landwirte eine langfristige Abnahmegarantie, dass sie ihre Tiere künftig auch für einen deutlich höheren Preis verkaufen können.
Wird jeder Schweinehalter, der umbauen muss oder will, auch eine Genehmigung bekommen?
Dafür setzen wir uns ein. Gerade bei den jüngeren Landwirten spüre ich ein hohes Verständnis dafür, dass die Ställe, die sie heute für die nächsten 20 Jahre bauen, anders aussehen müssen als die Ställe, die ihre Väter vor 20 Jahren gebaut haben.
Stehen Borchert und die Initiative Tierwohl durch den Vorstoß des LEH jetzt zur Disposition?
Nein, im Gegenteil. Beide Strukturen geben wertvolle Hinweise, wie ein neues System funktionieren kann.
Haben Sie Reaktionen von weiteren Marktteilnehmern bekommen?
Wir führen regelmäßig Gespräche mit den Großen der Branche. Wir merken, dass jetzt einige Händler besonnener an das Thema herangehen und auch bewusst das Gespräch mit uns suchen.
Wird der Handel auf ihre Forderungen eingehen?
Das wäre klug. Wir sind in einer Zeit, wo vieles im Umbruch ist. Es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse des Handels, auf uns zuzukommen und dass wir am Ende die Verträge hinbekommen.
Wie haben eigentlich ihre Mitglieder/Bauern reagiert?
Der unabgestimmte Vorstoß von Aldi hat in der Landwirtschaft für eine große Verunsicherung gesorgt. Es herrscht – auch aufgrund der wirtschaftlich aktuell schwierigen Situation - eine Mischung Frust, Wut, in Teilen auch ein wenig Resignation. Viele Landwirte stellen sich die Frage, wie soll ich das finanzieren?
Wie würde sich der Vorstoß von Aldi auf den Preis auswirken? Können sich Fleisch dann bald nur noch die Besserverdienenden leisten?
Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat vorgeschlagen, höhere Fleischpreise durch Transfers für einkommensschwächere Personen zu kompensieren. Wir reden hier aber nur über kleinere Beträge. Es ist nicht so, dass Fleisch künftig zu einem Luxusgut wird.
Wir haben bald Bundestagswahl, die Karten werden neu gemischt. Was erwarten Sie von einer kommenden Regierung?
Ich erwarte die Erarbeitung und Umsetzung eines schlüssigen Konzepts zur Weiterentwicklung unserer Branche. Wir reden hier über Änderungen im Baurecht, im Umweltrecht und über eine sichere Finanzierung. Wir brauchen Planungssicherheit für die Landwirtschaft.
Wie denken Sie über die Freiwilligkeit des Handels, die gestiegenen Kosten zu vergüten?
Das kann ich mir schwer vorstellen. Wir brauchen deshalb unbedingt einen gesetzlichen Rahmen. Wenn wir uns mit dem Handel zusammensetzen, wird das nicht funktionieren. Die Einkäufer des LEH kaufen meist nur nach dem besten Preis ein. Hier brauchen wir andere Lösungen.
Wenn Sie die Landwirtschaft allein gestalten könnten, wie müsste sie dann aussehen….
Ich würde zunächst eine offene und ehrliche Debatte mit allen sogenannten Anspruchsgruppen über die Weiterentwicklung der Landwirtschaft führen. Am Ende der Debatte wünschte ich mir eine Landwirtschaft, die ihre höheren Leistungen im Umweltbereich, beim Klimaschutz oder beim Thema Tierwohl angemessen bezahlt bekommt.
Und was noch…
Ich wünsche ich mir noch mehr Regionalität und einen stärkeren Kontakt zwischen Verbrauchern und Erzeugern. Die Landwirtschaft der Zukunft wird sich ökonomisch noch breiter aufstellen. Ich wünsche mir auch, dass wir kreativer werden und so Nischen für uns entdecken und insgesamt der Landwirtschaft ein neues, positives Gesicht geben.