Wie schätzen Sie die Entwicklung des veganen Lifestyles bis 2030 in der Gesellschaft ein?
Michael Hähnel: Wir beobachten, dass Vegetarisch/Vegan in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Die Geschwindigkeit, in der Veggie unsere Gesellschaft erobert hat, ist faszinierend. Ich stelle fest, dass der Verbraucher gern Alternativen zum Fleischgenuss möchte. Wir bieten diese Alternativen an. Der Veggie-Bereich ist etwas, was durch die Bevölkerungsentwicklung getrieben wird. Interessant ist, dass Sie in der Bevölkerungsschicht zwischen 15 und 29 Jahren doppelt so viele Veggie-Befürworter finden. Wir können uns darauf einrichten, dass die sogenannten „Millennials“ weiter den Markt und auch uns verändern werden. Im Veggie-Bereich wird sich noch viel tun. Die Rohstoffe werden sich weiterentwickeln, und es wird noch weitere exzellente Fleischalternativen geben. Der Veggie-Bereich hat noch viel Potenzial für die Zukunft.
Wird Veggie weiter boomen?
Im Bereich der pflanzlichen Proteine rechnen wir in den kommenden Jahren mit einem dynamischen Wachstum. Zu allen Produkten aus Fleisch wird es in Zukunft pflanzliche Alternativen geben.
Wie hoch schätzen Sie den künftigen Marktanteil bei veganen/vegetarischen Produkten?
Das kann ich nicht präzise beziffern. Aber die Potenziale macht am besten folgendes Beispiel klar: Der gesamte Konsumgütermarkt in Deutschland erzielte im Jahr 2020 einen Umsatz von 132 Milliarden Euro. Hierbei liegt der Bereich SB-Wurst bei nur 7,5 Milliarden Euro Umsatz. Der Veggie-Bereich erzielte im gleichen Zeitraum 452 Millionen Euro Umsatz, das sind 0,3 Prozent des Umsatzes des Konsumgütermarkts. Hier wird es weiterhin eine Explosion geben. Das wird auch die nächsten Jahre so bleiben. Weiterhin bleibt der Wurstmarkt stabil. Uns ist es deshalb wichtig, dass wir beide Segmente ordentlich bearbeiten. Die Verbraucher wollen selbst entscheiden, ob sie Produkte mit tierischen oder mit pflanzlichen Proteinen genießen. Es ist deshalb unsere Aufgabe, die Alternativen weiterhin anzubieten.
Planen Sie, noch mehr vegane Produkte ins Sortiment aufzunehmen oder die vegetarischen Produkte zu veganisieren?
Wir arbeiten ständig an unseren Rezepturen. Vegan ist ein Riesenthema, aber das alles Entscheidende ist der Geschmack. Wir produzieren die Produkte nicht aus moralischen oder missionarischen Gründen. Wir stellen die Produkte nur um, wenn der Geschmack zu 100 Prozent „bombig“ ist. Der Geschmack muss uns überzeugen, sonst würden wir nie ein Produkt umstellen. Denn Geschmack – das wissen wir von der Marktforschung – ist das, was die Verbraucher haben wollen.
Wie sehen Sie die vegetarische und vegane Schiene in Bezug zu Ihrem Kerngeschäft?
Wir lieben beide Segmente. Und wir stehen zu beiden Segmenten. Unser Kerngeschäft ist nach wie vor ein gesundes Standbein. Und wir haben hier zwei Beine. Auf einem Bein kann man nur humpeln. Beide Geschäftsfelder werden sich in ihrer Größe verschieben. Das heißt aber nicht, dass wir einen wichtigen und einen unwichtigen Bereich haben. Sie sind gleichwertig, und wir arbeiten mit großer Leidenschaft in beiden Bereichen.
Im Moment haben Sie mit Veggie-Artikeln aber schon die Stelle über der 50-Prozent-Hürde geknackt. Können Sie eine Prognose wagen?
Ich möchte mich nicht so weit festlegen. Die Verbraucher werden in 10 bis 20 Jahren beide Bereiche immer noch schätzen. Als Marke und als Branche müssen wir uns deshalb immer weiterentwickeln.
Welchen Herausforderungen müssen Sie sich stellen?
Wir haben das einmal als Wachstumsschmerzen bezeichnet. Das kann ich am besten an unserer Mitarbeiterzahl erläutern. Im vergangenen Jahr hatten wir 740 Mitarbeiter, und in diesem Jahr liegen wir schon bei 855 Mitarbeitern. Anhand der wachsenden Mitarbeiterzahl lässt sich erahnen, welche Herausforderungen und Komplexität das wachsende Geschäft so mit sich bringt. Wir haben 13,5 Millionen Euro in unseren Standort investiert. Wir suchen dringend Ausbauflächen und schauen jetzt, wo wir schnell weitere Kapazitäten herbekommen.
Wie steht es mit dem Rohstoffangebot?
Das Thema Rohstoffe hat für uns eine Top-Priorität. In der Zukunft werden wir eine unglaublich angespannte Situation bezüglich der Rohstoffe haben. Es ist gewaltig, was am Rohstoffmarkt passiert. Regionales Sourcing der Proteine wird immer herausfordernder. Der internationale Wettbewerb führt dazu, dass man sich Rohstoffe langfristig sichern muss. Es zahlt sich aus, dass wir bereits einige strategische Partnerschaften geschlossen haben. Unseren Sojaanbau weiten wir aus. Wir lernen dadurch viel über den Prozess der Veredelung und über die Anwendung der Isolate und Texturate. Ein weites Thema sind Landwirtschaft und Politik und regionale Strukturen. Wir haben uns gefragt: Was können wir hier selber anbauen, was müssen wir anbauen, und wie können wir die Landwirte überzeugen? Wichtig sind hierbei heimische Proteinquellen wie Lupinen, Kartoffeln, Weizen – also alles, was wir vor der Haustür haben.
Sie haben auch zwei eigene Sojafelder in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen …
Ja, wir setzen auf Soja made in Germany. Wir haben uns gerade entschieden, die Hektargröße der Felder zu verdoppeln. Soja muss nach der Ernte auch veredelt werden – das ist ein schwieriger Prozess. Der Veredelungsprozess für vegetarische Produkte hat einen anderen Anspruch als die Herstellung von Fleisch- und Wurstprodukten. Diese ist über viele Generationen gelernt. Im Bereich der pflanzlichen Proteinquellen sind wir immer noch im Lernprozess. Im Moment fokussieren wir uns auf Soja. Die Frage ist: Was kommt nach Soja? Wie können wir andere Rohstoffe anbauen? Das zeigt, dass die Herstellung von Veggie-Produkten viel komplexer ist als die Herstellung von Fleisch.
Warum haben Sie Felder in Deutschland?
Der heimische Sojaanbau verspricht für uns nicht nur die beste Produktqualität, sondern auch die Nähe zu Lieferanten, Erzeugern und Endverbrauchern. Die Anbauregion der Sojabohnen hat Einfluss auf Geschmack und Farbe des Rohstoffs.
Sind die vegetarischen Produkte im Vergleich zu Fleischprodukten günstiger in der Herstellung?
Nein – allein durch die Rohstoffverknappung ist es teurer. In der Fleischverarbeitung können wir auf das Wissen von Generationen zurückgreifen. Bei der Veggie-Produktion erarbeiten wir uns gerade das Wissen. Die Entwicklung von vegetarischen Produkten ist wesentlich aufwendiger, was Konsistenz, Geschmack, Farbe und Haltbarkeit betrifft – das ist eine deutlich höhere Komplexität als bei der Herstellung von Fleischprodukten. Ein weiterer Aspekt: Die Preisgestaltung obliegt allein dem Handel.
Wie viel investieren Sie in die Forschung?
Ich möchte dazu keine Zahlen nennen. Forschung und Entwicklung haben einen sehr deutlichen Anteil an den Kosten.
Woran forscht die Rügenwalder Mühle gerade?
Wir sind im Bereich der pflanzlichen Proteine sehr aktiv und nutzen neben Soja weitere Alternativen wie Weizen und Erbsen. Zudem forscht unsere Entwicklungsabteilung an heimischen Proteinquellen.
Wie genau muss man dem Verbraucher erklären, was in den Veggie-Produkten enthalten ist?
Die Verbraucher schätzen uns für unsere große Transparenz. Eine ehrliche und offene Kommunikation, auch in Bezug auf die Zutaten, ist für uns selbstverständlich. Vor allem auch, weil die Konsumenten sich immer stärker mit ihren Lebensmitteln und deren Herkunft auseinandersetzen.
Können Sie sich Insekten oder In-vitro-Produkte für die Zukunft vorstellen?
Die Produkte gibt es schon auf dem Markt zu kaufen – der deutsche Verbraucher wird aber noch länger brauchen, ehe er diese Produkte regelmäßig in seinen Einkaufskorb legt. Der Markt ist noch nicht so weit für diese Produkte. Als Firma beobachten wir allerdings aufmerksam die Entwicklung.
Wie wollen Sie das Geschäft mit SB-Wurst aus Fleisch wiederbeleben?
Damit sind wir nicht zufrieden. Allerdings haben wir auch einige Produkte aus dem Sortiment genommen, um Kapazitäten für Veggie frei zu machen. Hier wollen wir wieder gegensteuern und uns marktadäquat entwickeln. Für uns ist das ein relevantes Geschäftsfeld. Wir werden auch über Innovationen daran arbeiten. Der Verbraucher nimmt wahr, dass im Veggie-Bereich sehr viele Entwicklungen stattfinden. Die Konsumenten spiegeln uns klar wider, dass sie sich im klassischen Fleischsortiment die gleiche Innovationsfreude wie im Veggie-Bereich wünschen. Wir sind hier als Marke gefordert, dort genauso mit Neuprodukten aufzuwarten.
Wie wirkt sich bei Ihnen die deutliche Verknappung bei den Verpackungsmaterialien aus?
Auch in der Fleisch- und Wurstbranche ist der Mangel an Verpackungen spürbar. Insbesondere im Kunststoffsegment ist dies deutlich erkennbar. Wir müssen manche Teile schon bis zu einem halben Jahr ordern, sonst bekommen wir nichts. Vor allem längere Lieferzeiten der Verpackungslieferanten wirken sich auf unseren Produktionsprozess aus, den wir bisher aber gut an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen konnten. Ich hoffe, dass es sich bis Ende des Jahres beruhigt …