Tube auf, Creme auf die Zahnbürste und zwei Minuten schrubben: Zähneputzen ist ein automatisiertes Ritual, über das wir erst nachdenken, wenn ein neu getestetes Produkt ungewohnt schmeckt oder sich anders verhält. Oder wenn wir am Regal bewusst nach Alternativen suchen. Zahnputztabletten sprechen Verbraucher an, die sich an der Plastiktube stören oder für Urlaub und Festival nach praktischen Lösungen suchen.
Tablette zerbeißen, die Brösel mit Speichel im Mund zu einer Paste vermischen und ohne den gewohnten Schaum die Zähne polieren: Wenn es nach Axel Kaiser, Gründer der Marke Denttabs, geht, wird dies zur neuen, plastikfreien Normalität des Zähneputzens. Neu ist seine Vision nicht. Seit rund 20 Jahren gibt es die Marke bereits. Doch erst mit der Welle der Unverpackt-Läden erhielten die kleinen weißen „Tabs“ mehr Aufmerksamkeit und Kunden. Mittlerweile gibt es die Produkte von mehreren Anbietern auch im Lebensmittelhandel und in Drogeriemärkten.
Von 200.000 Euro Jahresumsatz im Jahr 2015 auf 3,5 Millionen Euro steigerte sich allein Kaisers Geschäft bis zu Beginn der Corona-Pandemie. Aktuell exportiert er in rund 20 Länder und lässt für 15 unterschiedliche Hersteller- und Handelsmarken produzieren. Je nach Markt zum Beispiel in Minz-, Erdbeer- oder Zimtgeschmack, sowohl mit als auch ohne Fluorid. Auch für die Handelsmarke Dontodent von dm Drogeriemarkt und die Berliner Naturkosmetikmarke i+m wird abgefüllt.
Unverpackt-Trend als Treiber weggefallen
Mittlerweile ist die Nachfrage jedoch rückläufig. Die One-Stop-Shopping-Strategie der Verbraucher während Corona und der schrumpfende Kanal der Unverpackt-Läden seien Gründe dafür, sagt Kaiser. Mit Einbrechen des Marktes rutschte Denttabs in die roten Zahlen. Auch Fehlentscheidungen im operativen Geschäft hätten dazu beigetragen, gibt der Unternehmenschef zu. 2023 erwirtschaftete Denttabs noch 1,5 Millionen Euro. Zwei Drittel davon steuert das Geschäft unter der eigenen Marke bei. Altlasten bestünden aus einer Crowdfunding-Kampagne, aber: „Bis Ende des Jahres wollen wir den Turnaround schaffen“, sagt Kaiser.
Erreichen will er dies über Publicity und zusätzliche Listungen. Aktuell sind Denttabs in rund 7.000 Outlets erhältlich. Verhandlungen mit weiteren Handelskonzernen seien kurz vor dem Abschluss, die Nachfrage steige. Edeka und Rewe, aber auch der Discount sind Kaisers Ziel. Zudem will Kaiser den klassischen Wettbewerb im Markt für Zahnpflege, die „Big Player“, überzeugen. Aus Industriesicht seien die Produkte ein Traum: leicht zu produzieren, leicht zu transportieren und aktuell die Alternative zu Plastikzahnpastatuben. Von ihnen wurden allein in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten (Quelle: NIQ; Stand 2. Juni 2024) rund 372 Millionen Stück über den Lebensmittelhandel und Drogeriemärkte verkauft.
Branche in Wartestellung
Bei Partner Rossmann stehen Denttabs in verschiedenen Varianten online zur Auswahl, Tabs der Marke Outdoor Freakz sind zudem im Regal zu finden, vor allem aufgrund ihres guten Preis-Leistungs-Verhältnisses, erklärt der Drogist. 99 Prozent der Rossmann-Kunden entschieden sich in den letzten zwei Jahren für eine „flüssige“ Variante. Die Nachfrage nach den Tabs habe sich von 2020 auf 2022 verdoppelt. Nach stagnierender Nachfrage im Jahr 2023 sei diese im ersten Halbjahr 2024 im „unteren zweistelligen Prozentbereich“ gesunken. Während die gesamte Kategorie der Mundhygiene-Produkte bei Rossmann in den ersten sechs Monaten prozentual zweistellig gewachsen ist. Wachstumstreiber waren Mundspülungen, medizinische Zahnpasten, elektrische Zahnpflege und Interdentalprodukte. Als Sortimentsergänzung hält der Händler dennoch an den Tabs fest.
Der Konkurrent verzeichnet eine stabile und „für uns zufriedenstellende Nachfrage“ nach Zahnputztabletten, die erfahrungsgemäß zur Feriensaison auf ein Hoch komme, berichtet Alexander Strehlau, dm-Geschäftsbereichsverantwortlicher Sortimentsmanagement im Ressort Marketing und Beschaffung. Zahnputztabletten ergänzten das bestehende Sortiment, ließen einen großen Nachfrageschub jedoch nicht erwarten.
Auch die „Big Player“ im Geschäft der Zahnpflege beißen derzeit noch nicht an. Zwar hat sich Colgate Palmolive mit dem Kauf von Hello Products im Jahr 2020 einen Zugang zu dem Segment gesichert und Zahnputztabletten auch unter dem Label Colgate Anywhere auf den Markt gebracht. Die Produkte sind online noch zu finden, aber nicht mehr erhältlich. Bübchen Oral Care (Katjes International) kündigt gegenüber der LP zwar Innovationen für die übernommenen Mundhygiene-Marken wie Theramed für den Herbst an. Das Unternehmen will sich dabei aber weiter auf flüssige Produkte fokussieren.
Naturkosmetikhersteller Laverana (Lavera) ist nach eigenen Angaben offen für die festen Produkte und behält die weitere Entwicklung des Nischensegments im Blick. Aktuell zeigten Rückmeldungen von Verbrauchern jedoch fehlende Offenheit und Verständnis für den Einsatz von Zahnputztabletten sowie Zweifel an der Wirksamkeit. Laverana sieht sich mit dem aktuellen Produktsortiment gut aufgestellt und decke „sowohl die gesundheitlichen als auch die Umweltaspekte, die mit Zahncreme-Tabs einhergehen, bereits größtenteils ab“, sagt Sprecherin Sara Honerkamp. Die eigenen Zahnpflegeprodukte verzichteten auf Mikroplastik sowie künstliche Duft-, Farb- und Konservierungsstoffe und kritische Inhaltsstoffe wie Titandioxid. Die Tuben bestehen inklusive des Verschlusses aus 50 Prozent Recyclingmaterial. „Sollten wir den Bedarf zukünftig sehen, würden wir auch in Betracht ziehen, an entsprechenden Produkten zu arbeiten und diese anzubieten“, so das Unternehmen.
Denttabs-Gründer Kaiser will künftig mehr aufklären und Kunden mit der cleanen Rezeptur und Argumenten für eine bessere Mundhygiene überzeugen – auch, weil das Thema Nachhaltigkeit aktuell weniger zieht. Mit einem Anteil von 70 Prozent ist Zellulose der Hauptbestandteil der Denttabs. Damit würden die Zähne so glatt poliert, dass keine Bakterien anhaften könnten, erklärt Kaiser. Im Gegensatz zu wasserhaltigen Zahncremes würden in den Tabs keine Stabilisatoren oder Konservierungsstoffe oder andere kritische Inhaltsstoffe benötigt. Ob die Produkte damit gesünder sind, dazu fehlen bisher jedoch Studien, gibt der Gründer zu, die Kosten seien bisher nicht zu stemmen.
Wirksamkeit mit Fluorid gegeben
Professorin Cornelia Frese, Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin, erklärt, die Entwicklung leistungsfähiger Zahnpasten habe sich in einem jahrzehntelangen Prozess ständiger Optimierung vollzogen und die Forschung hierzu sei ausgewiesen hoch: „Für Zahnputztabletten hingegen ist dies nicht äquivalent zu werten, und es existieren bislang nur wenige klinische Studien hierzu.“ Fluorid sei der wichtigste kariespräventive Inhaltsstoff, für Kinder ab sechs Jahre und Erwachsene müsse eine Konzentration von 1.450 ppm (parts per million) verwendet werden. Die Anwendung fluoridfreier Zahnputztabletten ist daher ihrer Ansicht nach kein adäquater Ersatz für Zahnpasta, „Zahnputztabletten mit Fluorid sind hingegen in ersten Studien einer Zahnpasta nicht unterlegen, jedoch waren die Beobachtungszeiträume relativ kurz.“
Eine weitere Hürde dürfte Verbrauchern zu Zeiten von Inflation aufstoßen: der hohe Preis im Vergleich zur klassischen Paste. 62 Tabletten werden im Drogeriemarkt für 2,45 Euro verkauft, also 4 Cent pro Portion. Der Denttabs-Wettbewerber Natch verkauft 85 Tabs online für bis zu 14,90 Euro, während klassische Zahncreme im Discount schon ab 65 Cent pro 125-Milliliter-Tube erhältlich ist. Um die Zahnputztabletten in diesem Punkt wettbewerbsfähig zu machen, muss die Skalierung gelingen, weiß Kaiser. Er lässt aktuell die Kapazitäten in der Denttabs-Produktion hochfahren. Die nötigen Rohstoffe, vor allem Zellulose, seien „in Unmengen“ verfügbar.