Es war spürbar Druck im Kessel beim Round-Table-Gespräch auf Einladung der Lebensmittel Praxis. Hohe Rohstoffkosten, hohe Produktionskosten: Klar, sie belasten und beschäftigen die süße Branche intensiv. Was die Runde allerdings wirklich auf die Palme bringt, ist der Kostentreiber Bürokratie. Egal ob es deutsche Vorschriften oder solche der Europäischen Union (EU) sind. Den Wirtschaftsstandort Deutschland sehen alle in größter Gefahr. Durch den Würgegriff zu vieler Regulierungen, Vorschriften und aufwendiger Dokumentationspflichten. „Die Bürokratiekosten in Deutschland liegen laut einer aktuellen Studie des Münchner Ifo-Institutes bei 6 Prozent des Umsatzes der Unternehmen. Wie sollen wir als Mittelständler da international wettbewerbsfähig bleiben?“, beklagte Ulrich Zuenelli, geschäftsführender Gesellschafter von Loacker. „Was ich von der Politik fordere? Fünf Jahre lang keine neuen Gesetze, stattdessen jedes Jahr 100 bestehende abbauen“, sagte Fabian Meiberg, Head of Business Development, Sales & Marketing bei Kuchenmeister. „Es ist wichtig für eine erfolgreiche Zukunft, das Unternehmertum wieder stärker zu respektieren und zu fördern“, forderte Holger Krätz, Vertriebsdirektor bei Trolli.
„Ich wünsche mir, dass die Politiker ihre Wahlversprechen nach der Wahl auch einhalten“, sagte Dr. Jürgen Brandstetter, Geschäftsführer Gottfried Wicklein. Zur Runde gehörten zudem Benno Mauerhan, Managing Director DACH Ritter Sport, und Josef Stollenwerk, Vertriebsleiter Deutschland von Manner. „Wir erleben nun das dritte Jahr in Folge Stagnation oder Rezession, während die Weltwirtschaft wächst. Das zeigt, dass Deutschland und andere europäische Länder nicht mehr vom globalen Wirtschaftswachstum profitieren können“, sagte Ulrich Zuenelli. Der Grund dafür sei der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. „Wir müssen gesellschaftlich klarstellen, dass unser Wohlfahrtsstaat nur funktioniert, wenn die Wirtschaft gesund ist und in die Systeme einzahlt.“ Er zitierte den ehemaligen SPD- Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der für Europa wieder eine „Economy-First“-Politik gefordert hat. Dafür gab es breite Zustimmung in der Runde. Dass die Wirtschaft in einer neuen Bundesregierung wieder Kernthema wird, darauf hoffen alle, die in Köln miteinander sprachen.
Doch was kann jetzt ganz konkret getan werden? Holger Krätz (Trolli): „Es ist wichtig für eine erfolgreiche Zukunft, das Unternehmertum wieder stärker zu respektieren und zu fördern. Der Begriff Unternehmertum muss in Gesellschaft und Politik wieder positiver wahrgenommen werden.“ Dazu gehöre es auch, „unseren eigenen Mitarbeitern zu zeigen, dass gemeinsame Anstrengung nicht nur notwendig ist, sondern auch Spaß machen kann“. Krätz appelliert gleichzeitig an die Runde: „Wir als Unternehmen sollten auch selbst aktiv werden, um unsere Positionen in Politik und Gesellschaft stärker zu vertreten.“ Er nennt die Mitarbeit in übergreifenden Institutionen wie etwa Sweets Global Network und dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie BDSI, aber auch Kontaktaufbau und -pflege zu nationalen und regionalen Vertretern der Politik, um die Anliegen, Wünsche und Erwartungen in persönlichen Gesprächen deutlich zu machen und erklären zu können: „Ich denke, das ist der Weg, auf dem wir uns alle ein Stück weit neu erfinden können. Wir müssen aufwachen und aktiv werden.“
ihres Umsatzes geben deutsche Unternehmen im Durchschnitt für Bürokratiekosten aus.
Quelle: Ifo-Institut
nahm 2024 der für die Süßwarenbranche wichtige Export gegenüber dem
Vorjahr ab. Er sank damit erstmals seit 1945 in zwei Jahren hinter einander. Quelle: Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie BDSI
Verbraucher mit ins Boot holen
Fabian Meiberg (Kuchenmeister) will noch einen anderen wichtigen „Verbündeten“ mitnehmen: „Ich glaube, vielen Verbrauchern ist gar nicht klar, was dieser Bürokratie-Wahnsinn mit seinem Papierkram wirklich bedeutet. Es ist nicht transparent, was die Industrie alles leisten muss.“ Als Beispiel nannte er die Entwaldungsverordnung. Denn Kosten entstehen selbst dann, wenn man wie Großbäcker Kuchenmeister von dieser Regelung gar nicht selbst betroffen ist: „Aber unsere Partner und Lieferanten in der Branche müssen sich darauf einstellen. Es gibt viele weitere Gesetze, die viel Arbeit verursachen und am Ende möglicherweise nicht den gewünschten Effekt haben. Letztlich wird das Geschäft dadurch teurer, weil wir nicht nur mit steigenden Rohstoffpreisen konfrontiert sind, sondern auch zusätzliches Personal benötigen, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten.“ Diese zusätzlichen Kosten führten letztlich zu teureren Produkten. „Das liegt nicht nur an den Rohstoffproblemen oder Krisen, die wir erleben, sondern auch an der zunehmenden Bürokratie.“
Benno Mauerhan (Ritter Sport) bemängelt gerade bei dieser Vorschrift die mangelnde Planbarkeit. Die Unklarheit über das Inkrafttreten – das von Ende 2024 auf Ende 2025 verschoben wurde – habe die Arbeit nicht erleichtert. Da das Unternehmen sich über Kooperationen den Rohstoff Kakao sichere, sei das Sammeln der Daten an sich keine hohe Hürde: „Allerdings ist der administrative Aufwand durch die Dokumentationspflichten enorm und steht im Widerspruch zum eigentlichen Nutzen der Gesetzesinitiative. So ehrenwert der Grundgedanke auch ist, die Umsetzung ist in der Praxis ziemlich schwierig.“
Vertreibt EU-Bürokratie die Kakaobauern?
Dabei droht durch die „Regulierungsfreude“ der EU beim Kakao möglicherweise noch eine andere Gefahr: Immer wieder gibt es Berichte, dass Kleinbauern in den Anbauländern statt in die EU nach China oder in die USA exportieren, weil viele Dokumentationspflichten entfallen. Was bedeutet das für den Markt? Und wie können sich Unternehmen schützen? Ritter Sport setzt nicht nur auf langfristige Partnerschaften. „Wir zahlen einen Preisaufschlag über den Marktpreis hinaus, um den Kakaobauern einen Anreiz zu bieten, weiterhin an uns zu verkaufen“, sagt Mauerhan. Solange die Partner in den Anbauländern genug Kakao ernteten, um Ritter Sports Bedarf zu decken, sei man gut aufgestellt. „Aber wenn das nicht mehr ausreicht und wir auch zukaufen müssen, oder wenn Umweltkatastrophenbedingungen die Rohstoffverfügbarkeit beeinträchtigen – was wir selbst schon erlebt haben –, kann es schnell schwierig werden, die benötigte Qualität zu sichern. Dann wird es auch für den Markt eng.“ Manner in Österreich bezieht den Kakao fast ausschließlich von Fairtrade, „wir glauben, dass eine faire und vernünftige Arbeit im Ursprung entscheidend ist. Wir sind optimistisch, dass wir gut versorgt bleiben“, sagt Josef Stollenwerk, Vertriebsleiter Deutschland. Ein weiterer bürokratischer Hemmschuh für die Wettbewerbsfähigkeit ist für Dr. Jürgen Brandstetter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: „Ich hoffe wirklich, dass man hier nachjustiert. Das Ziel ist zwar ehrenwert, aber wenn es Deutschland als Ganzes nicht gelingt, die Arbeitsbedingungen in Afrika zu verbessern, wie soll das dann ein mittelständisches Unternehmen wie unseres schaffen?“ Er listet Kostenfaktoren auf: „Wir müssen Personal nur dafür einstellen, die Dokumentation sicherzustellen. Zudem sind Besuche vor Ort nötig, um sich zu vergewissern, dass keine Kinderarbeit stattfindet – was wir auch zuvor schon gemacht haben.“ Sein Fazit: „Für ein Unternehmen unserer Größe ist das eine enorme Herausforderung. Das ist nicht angemessen und steht in keinem Verhältnis.“
Für Vertriebsdirektor Holger Krätz (Trolli) ist die grundsätzliche Absicht vieler Regelungen oft nachzuvollziehen: „Aber der Formalismus aus Brüssel und Berlin ist wenig pragmatisch und sehr bürokratisch.“ Der Fruchtgummispezialist macht mehr als etwa 70 Prozent seiner Umsätze außerhalb Deutschlands und hat Werke außerhalb Europas. Krätz sieht die Entwicklung daher nicht nur durch die europäische Brille: „Wir merken, dass Deutschland und Europa an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Bürokratie hat daran einen großen Anteil.“ Hinzu kämen hohe Energie- und Produktionskosten in Deutschland. „Wenn man dann in internationalen Märkten konkurriert, wie etwa der Türkei oder Mexiko, wo es oft staatliche Subventionen gibt, wird es herausfordernd. Wir hatten Kunden in Kanada und den USA, wo wir als europäischer Anbieter wettbewerbsfähig waren. Jetzt sind wir preislich bis zu 25 Prozent von dem entfernt, was aus Mexiko kommt. Das kann sich natürlich ändern, aber im Moment ist das die Lage.“
Nürnberger Lebkuchen darf, um sich so nennen zu können, nur in Nürnberg hergestellt werden. Das ist Segen und Fluch zugleich für Brandstetter: „Es garantiert einen gewissen Qualitätsstandard, andererseits sind wir an den Standort gebunden.“ Das Unternehmen exportiert auch in die USA. Dort gebe es zwar keine direkten Mitwettbewerber. Aber die Kosten bleiben eine Herausforderung: „In Deutschland will der Kunde zu Weihnachten nicht auf Lebkuchen verzichten. In den USA ist es eher ein nettes Extra im Supermarkt, nicht unbedingt ein Muss. Wenn wir dort die Preise erhöhen müssen, sei es wegen Bürokratie oder anderer Unwägbarkeiten, könnte das die Nachfrage beeinträchtigen. Dann kauft der Kunde halt keinen Lebkuchen mehr aus Deutschland. Einem amerikanischen Verbraucher ist das Merkmal ,Nürnberg‘ im Zweifel nicht so wichtig.“
Es geht an die Volumen
Neben Kakao sind auch Butter oder Eier Preistreiber für die Unternehmen, und „das zwingt uns derzeit, unsere Kalkulationen zu überarbeiten und mit dem Handel darüber zu sprechen“, wie es Fabian Meiberg formuliert. „Unsere größte Sorge ist, wie sich die Absätze entwickeln werden, wenn ein Produkt, das vor zwei oder drei Jahren noch die Hälfte gekostet hat, in der nächsten Saison deutlich teurer wird. Besonders im Saisongeschäft spielen Verpackungen und Rohstoffverträge eine große Rolle. Unser Ziel ist es natürlich, die bisherigen Volumen zu halten, aber es ist wahrscheinlicher, dass es weniger wird. Jetzt müssen wir im Dialog mit unseren Kunden klären, wie wir das vertraglich regeln können, um am Ende nicht auf großen Mengen an Verpackungsmaterial sitzen zu bleiben.“
Vorschrift nicht zu Ende gedacht
Josef Stollenwerk (Manner) wirft den Namen Einwegkunststoff-Fondsgesetz in die Runde. Das Problem für die Unternehmen: „Hier zeigt sich, dass die Politik sich nicht ausreichend mit den praktischen Auswirkungen auseinandergesetzt hat. Wir zahlen Lizenzgebühren für die normale Entsorgung und sollen zusätzlich für die Entsorgung im öffentlichen Raum aufkommen, und das für Produkte bis 400 Gramm. Als österreichisches Unternehmen haben wir auch da einen direkten Vergleich: In Deutschland sind die Kosten fast viermal so hoch wie in Österreich.“ Die Unsicherheit darüber, in welcher Höhe und für welche Produkte am Ende wirklich gezahlt werden müsse, sei belastend, „vor allem weil wir kalkulatorisch wissen müssen, wo wir stehen“. Letztlich aber müsse das alles der Endverbraucher zahlen, „was die Preisschwellen und Probleme, über die wir gesprochen haben, weiter verschärft“. Fabian Meiberg kann da nur ergänzen: „Aktuell wissen wir noch nicht einmal, ob wir von dem Gesetz betroffen sein werden. Wir müssen im März zahlen. Aber wir wissen nicht, wie viel.“
„Die Politik muss endlich aufwachen“
Ulrich Zuenelli berichtet von Gesprächen mit den Mitgliedern des Sweet Global Networks: „Wir hören oft, dass Investitionen in Europa, insbesondere in Deutschland, unter den aktuellen Rahmenbedingungen keinen Sinn mehr machen.“ Würden diese Themen nicht angegangen, ginge die schleichende Erosion der industriellen Basis in Europa weiter. „Das ist der Prozess, auf den wir aufmerksam machen müssen. Wenn wir das einfach laufen lassen, wird es uns um die Ohren fliegen. Die Politik muss endlich aufwachen, Führung übernehmen und die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Wirtschaft schaffen.“ Laut Benno Mauerhan gebe es zwei Denkschulen derzeit: Die eine setze auf staatliche Subventionen und bürokratische Rahmenbedingungen, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Die andere argumentiere, dass es Unternehmen gut gehen müsse, damit sie Arbeitsplätze schafften, Gewerbesteuern zahlten und so die Infrastruktur stärkten. „Wenn die Arbeitslosigkeit niedrig ist, sinken die Sozialausgaben, es bleibt mehr Geld für Bildung und Infrastruktur. Aus unternehmerischer Sicht ist klar, welches Modell sinnvoller ist.“ Holger Krätz blickt über Europa hinaus: „Die Konkurrenz weltweit wartet nicht auf uns. Deutschland genießt immer noch viel Respekt, sowohl in China, den USA und auch größtenteils weltweit. Dieser Respekt basiert jedoch auf vergangenen Leistungen. Die Herausforderung ist, wie wir es schaffen, dass dieser Respekt auch durch aktuelle Leistungen erneuert wird.“