Round Table Süßwaren „Schmecken muss es halt!“

Süßwaren und Snacks werden nachhaltiger und nutzwertiger. Das Round-Table-Gespräch der LP zum süßen und salzigen Sortiment spannt den Bogen von Innovationen und neuen Verpackungen über die Verankerung nachhaltigen Wirtschaftens in der DNA der Unternehmen bis hin zu aktuellen Marketingtrends.

Montag, 30. März 2020 - Süßwaren
Andrea Kurtz
Artikelbild „Schmecken muss es halt!“
Bildquelle: Getty Images

Was ist für Sie produktseitig der Trend schlechthin?
Arnould Schippers: Wir sehen vor allem, dass die Konsumenten gesundheitsorientierter sind und Produkte mit weniger Fett, ohne Palmöl und zu viele Zusatzstoffe kaufen wollen. Dafür steht Eiweiß hoch im Kurs ebenso wie die Suche nach neuen Texturen. In erster Linie möchten sie aber Vielseitigkeit und im Regal etwas anderes finden als nur Nüsse oder Chips. Reissnacks sind in Holland bereits ein großes Thema, weil der Kunde sie mit Asien, mit Würzigkeit und mit gesunder Lebensweise verbindet. Das wollen wir nach Deutschland transportieren.
Kai Tischoff: Wir sehen in erster Linie, dass sich Produkte mit dem Zusatz von Protein interessant gestalten, ebenso wie Low-Carb- oder Low-Fat-Produkte. Zucker ist plötzlich „böse“, egal ob Frucht-, Milch- oder kristalliner Zucker. Protein ist ein gesunder Gegenspieler, der alles wieder „gut“ macht. Davon lässt sich der Verbraucher gern leiten.

Welche anderen Wege gibt es noch?
Daniel Bloch: Wir wollen Genuss und Werte vermitteln. Als die Diskussion um Zuckerreduktion aufkam, habe ich mit meiner Entwicklungsabteilung begonnen, mit den Haselnüssen zu experimentieren, denn Schokolade ist ja eigentlich nicht bitter. Und dann kamen wir auf die Idee, eine dragierte Nuss in die Schokolade zu integrieren. Das hat sogar zu guten Gesprächen mit dem Schweizer Handel geführt – und das ist ja nicht immer lustig.
Dirk Goerzen: Die Diskussion um weniger Zucker, mehr Protein oder ähnliches geht für mich jedenfalls am Kunden vorbei. Denn dieser weiß doch, dass in Süßwaren oder Getränken Zucker ist, viel Zucker oft – und er greift trotzdem zu. Wir Händler sind doch nur die Dealer, die das Gewünschte vorhalten. Der Kunde ist doch erwachsen.

Was verkaufen Sie denn derzeit am liebsten?
Goerzen: Ich experimentiere ja gern mit Start-up-Produkten, muss aber zugeben, wirklich Geld verdient habe ich damit noch nicht. Von elf solcher neuen Produkte bleiben zehn im Regal liegen. Aber trotzdem machen kreative und echte Produktinnovationen am meisten Spaß. Und der Kunde lechzt nach Innovationen – und nach Genuss.
Michael Seidl: Ich kann beides bestätigen – den Trend zur Natürlichkeit, aber auch reine Produkttrends wie Proteinzusatz. Persönlich verstehe ich das zwar nicht, weil zu viel Protein soll ja auch schädlich sein, und in der normalen Ernährung ist man über Käse und Fleisch ausreichend versorgt.

Wie kommt dabei die Nachhaltigkeit ins Spiel?
Jürgen Brandstetter: Nachhaltigkeit geht über Trends wie Protein oder Zuckerreduktion weit hinaus. Sie ist die Basis allen unseren Wirtschaftens und wird alle Aktivitäten künftig bestimmen. Das Produkt – das haben wir in vielen Kundenbefragungen zu hören bekommen – muss aber immer noch so schmecken wie in der Kindheit. Die Art und Weise der Produktion oder der Verpackung oder die Herkunft der Rohstoffe wie Fairtrade zum Beispiel verändern sich.
Alfred Schrott: Ein Kunde möchte das Richtige tun, sich nachhaltig, ökologisch und korrekt verhalten. Es darf bloß nicht so viel kosten.

Wer nachhaltige Produkte kauft, achtet auch auf nachhaltige Verpackung. Stimmen Sie dem zu?
Lennart Schumann: Auf jeden Fall. Wir reduzieren derzeit Zucker und stellen unsere nachhaltige Verpackung – Dosen oder Gläser – in den Mittelpunkt. Damit treffen wir den Nerv nicht nur der jungen Generation.
Gloria Blumhofer: Bei Katjes steckt Nachhaltigkeit in unserer Unternehmens-DNA, und dadurch sind wir hier sehr glaubwürdig. Wir drehen Schritt für Schritt an allen uns möglichen Stellschrauben, um nachhaltiger zu sein. Aber an einer Produktverpackung aus Kunststoff sind wir auch noch nicht vorbeigekommen – siehe Produktschutz und Materialkreislauf. Unsere Kartons aber haben wir auf zu 100 Prozent recyceltes Material umgestellt.
Schrott: Gerade auf dem deutschen Markt sehen wir, dass uns das Thema Verpackung nicht mehr loslassen wird. Auch auf unserem Heimatmarkt sitzen wir bereits in einem Gremium mit der Verpackungsindustrie an einem Tisch und arbeiten an künftigen Lösungen. Denn natürlich können wir über neue Materialien nachdenken, müssen aber klären, ob es dafür bessere Recycling-Kreisläufe oder Verwertungsmöglichkeiten gibt als für die herkömmlichen Verpackungen. Aber einstweilen ist unsere oberste Maßgabe der Produktschutz.

Kommentieren Kunden in Ihren Geschäften das Verpackungsthema?
Goerzen: Oh ja. Ein Beispiel sind die Chips-Tüten. 100-Gramm-Tüten sind gelernt, 75-Gramm-Tüten werden akzeptiert, weil viele Kunden ja weniger naschen möchten, aber die 4-mal-50-Gramm-Tüten in einer Verpackungen werden nicht geschätzt. Ähnliches gilt für die oft zwar kreativen, aber letztendlich leereren Verpackungen von Saisonartikeln der großen Markenartikler. Da bekommen wir oft den Vorwurf ab, „Ihr verkauft ja mehr Verpackung als Ware“. Auf der anderen Seite sehen wir aber ganz deutlich: Mehr bezahlen für eine nachhaltige Verpackung möchte der Kunde nicht.

Deswegen arbeitet der Handel an Abteilungen mit loser Ware …
Seidl: … genau, wir haben zehn laufende Meter mit Müsli, Haferflocken oder Nüssen und lassen einfach die Ware wirken …
Joachim Mann: … für mich aber eine große Überraschung, denn uns kommuniziert der Konsument immer, dass die Herkunft der Artikel immens wichtig sei. In den „unverpackt Abteilungen“ spielt das dann offenbar keine Rolle mehr.
Seidl: Gelegentlich fragt ein Kunde, aber die breite Masse interessiert das nicht. Schmecken muss es halt.
Brandstetter: Deswegen wäre für uns ein loser Verkauf durchaus denkbar …
Blumhofer: … ja klar, für uns auch. Bei unseren Fruchtgummis wirkt ja das Produkt auch lose – und Artikel wie das Wunderland-Einhorn oder die Rainbow-Edition sind wiedererkennbar.

Sollten nachhaltige Aktivitäten gesiegelt werden?
Mann: Das kann man so pauschal nicht beantworten. Wir haben bisher darauf verzichtet, weil wir glauben, eine vermeintliche Sicherheit dadurch kann man auch anders bedienen. Aktuell aber statten wir rund die Hälfte unserer Verpackungen mit unserem eigenen Label „For a better planet“ aus. Unter dieser Bezeichnung fassen wir alle unsere Nachhaltigkeitsaktivitäten zusammen. Zusätzlich verwenden wir dünnere und recyclingfähige Folie. Unser Ziel ist, dass unsere Partner in den Ursprungsländern auf ihrem Land auch weiterhin Produkte für uns anbauen können.

Ist Bio weiterhin ein Wachstumsfeld? Oder ist der Boom vorbei?
Goerzen: Bio marschiert. Wir haben, weil viele Bio-Artikel inzwischen günstiger geworden sind, diese oft aus dem Bio-Regal genommen und neben die konventionellen Produkte gestellt. Auf gleichem Niveau verkaufen sie sich hervorragend.
Brandstetter: Bei Lebkuchen sind Bio und vegan die Trendsortimente, die uns ein erfreuliches Wachstum beschert haben. Das bauen wir aus – auch in der Kommunikation.

Der Preis spielt bei Bio dann keine Rolle mehr?
Goerzen: Allerdings sehen wir bei der Ausgabebereitschaft weiter eine krasse Kluft zwischen den Absichtserklärungen der Verbraucher und dem, was diese dann tatsächlich kaufen. Ich muss oft schmunzeln, wenn ich Kunden, die bei mir billig kaufen, später in der Presse oder im Fernsehen erklären höre, dass sie natürlich gern mehr Geld ausgeben würden für Bio-Qualität oder Produkte mit Tierwohl-Qualität.

Kann ein kleines Unternehmen gegen große Markenartikler bestehen und trotzdem seinen Markt machen?
Schippers: Ganz klares Ja. Wir sind ein kleines Unternehmen mit unseren Nischenprodukten, sehen aber, wie wir gut vorankommen – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich oder Großbritannien zum Beispiel. Dazu nutzen wir auch eher Marketing-Kanäle wie Instagram.
Goerzen: Deswegen suche ich ständig nach Innovationen, denn die sucht der Kunde auch bei mir …
Seidl: … genau, ich bin auch Fan von Start-ups – auch wenn ich weiß, dass diese oft die Qualität nicht halten oder der Preis nicht stimmt. Aber der Kunde ist neugierig und will Abwechslung.

Klingt nach Umbruch: Was machen Markenartikler denn falsch?
Bloch: Ich schaue mir nicht jede Statistik an, aber die letzten Nielsen-Zahlen für die Schweiz haben gezeigt, dass die großen Markenartikler stagnieren, kleinere Player – so wie wir – aber wachsen können. Für mich rührt das daher, dass der Konsument bei den Großen zu wenig Sinn erkennen kann, zu wenig Grund sieht, einen Markenartikel zu kaufen. Das macht der Kunde nicht mehr mit. Die Geschichten der Großen berühren den Kunden nicht mehr.
Mann: Hier kommt auch wieder eine nachhaltige Grundhaltung ins Spiel. Diese können Mittelständler wie wir sicher auch überzeugender darstellen – über Social Media oder unsere Webseite oder unser Produkt. Dass derlei in unserer DNA steckt, glaubt man uns sicher eher als den Großen. Wir sind in unseren 175 Jahren nicht jeden Trend mitgegangen und damit immer gut gefahren.
Tischoff: Ich denke, es heißt hier, die Schnellen fressen die Langsamen, statt die Großen fressen die Kleinen. Deswegen sind Start-ups ja gerade so stark! Sie machen einfach, ohne lange zu testen. Ein Mittelständler kann aber gerade das oft nicht leisten, denn der muss stets ausgewogen, verantwortungsvoll und wirtschaftlich gesund handeln.

Wie kann ich denn die Konsumenten heute noch berühren?
Schrott: Authentizität, das ist für mich das Stichwort. Danach suchen die Menschen, auch in der Werbung, sie suchen Ehrlichkeit, Echtheit, Verlässlichkeit. Außerdem wollen sie sich ja gut verhalten und ihr Gewissen entlasten. Wenn es uns gelingt, dem Verbraucher das leicht zu machen, zum Beispiel durch die Verwendung von fairer Schokolade in den Produkten und einen Verkauf zu einem erschwinglichen Preis, dann bleiben sie treu.
Blumhofer: Ich glaube an die Macht der Bilder, auf Plakat wie im TV. Unser Katjes Chocjes TV-Spot hat letztes Jahr für unglaublich viel Aufmerksamkeit gesorgt. Und das in einer Zeit, in der Fernsehwerbung ja vermeintlich nicht mehr so leicht ankommt. Warum: Weil wir ein Thema besetzten, das höchste Relevanz hat und einen Mehrwert bietet. Wenn der Inhalt dann noch bewegt, wird er online weiterverbreitet und erreicht so eine noch größere Zielgruppe.

Was empfehlen Sie denn den großen Markenherstellern?
Bloch: Ich möchte drei Stichworte dazu nennen: Markenerlebnis, Glaubwürdigkeit und Genuss. Wir haben ein Besucherzentrum eröffnet. Das ist Erlebnis. Glaubwürdigkeit haben wir wegen unserer Kompetenzen und der Beständigkeit in der Qualität. Unter Genuss verstehe ich, dass wir Produkte für den Konsumenten bieten, der auch ein bisschen sündigen will, der nicht perfekt ist. Wir wollen als Marke nicht abgehoben sein. Man darf eine Marke nicht evangelisieren.

Welche Maßnahmen sind es denn noch, die Erfolg bringen?
Schippers: Sampling und Probierenlassen sind das A & O. Damit hat man beim Endkunden meist sofort gewonnen.
Goerzen: Kann ich bestätigen. Wir hatten in einer Verkostungsaktion einmal einen neuen Proteinriegel mit einer hohen Spanne – und der hat sich super verkauft. Das zeigt: Wird ein neues Produkt richtig kommuniziert, geht vieles. Einen Fernsehspot, der die 15. Variante eines Riegels zeigt, brauchen wir dagegen nicht.
Seidl: Aber Achtung, diese Verkostungen müssen eine Menge leisten und gut erklären, wenn für ein Produkt beispielsweise weniger Zutaten eingesetzt werden oder ein besonderer Kakao. Die Damen und Herren, die die Verkostungen durchführen, müssen schon sehr gut geschult sein.

Welchen wichtigsten Wunsch haben Sie an den Handel?
Bloch: Ich wünsche mir vom Handel mehr unternehmerisches Denken. Wir liegen doch eigentlich im selben Bett und haben vielleicht nur ein bisschen unterschiedliche Träume. Wir sind zu sehr in unseren Bezugssystemen gefangen – wenn ich mit dem Handel rede, kann ich doch nur über Konditionen sprechen.
Seidl: Nun, die Preisverhandlungen in der Zentrale finden ja auch ohne uns statt, deswegen wünschen wir uns vor Ort aber genauso den Dialog mit Ihnen. Wir machen die besten Geschäften mit unseren langjährigen Partnern aus der Industrie.
Goerzen: Absolut d’accord. Die besten Aktionen setze ich mit Außendienstlern um, die seit Jahren zu mir kommen, mein Geschäft kennen und mit denen ich im Austausch gute Ideen entwickeln kann. Der persönliche Kontakt macht es hier.
Anne Schumacher: Menschen machen Geschäfte mit Menschen. Das ist immer noch der Kern aller Beziehungen. Für eine Messe wie die ISM, aber auch für die Anuga, gilt das genauso. Allerdings geht es immer weniger um das reine Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage. Die Orders werden heutzutage längst woanders gemacht, direkt mit dem Außendienstler vor Ort oder von der Zentrale vorgegeben. Wir versuchen eher, die richtigen Menschen zusammenzubringen, auch mit den Zulieferern oder den Maschinenbauern.

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