Harry-Brot-CEO im Interview „Frische, Qualität und Auswahl der Backstationen haben deutlich zugenommen"

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Die Expansion des norddeutschen Großbäckers Harry-Brot gewinnt durch eine Vereinbarung mit der Rewe deutlich an Dynamik. Dynamik gibt es auch beim Thema CO2-Einsparungen.

Mittwoch, 26. Februar 2025, 06:40 Uhr
Susanne Klopsch
Frank Kleiner ist Geschäftsführer Marketing & Vertrieb bei Harry-Brot. Bildquelle: Harry-Brot

Es ist ein Paukenschlag. Die Rewe-Group steigt perspektivisch aus dem Eigenmarkengeschäft mit Brot und Backwaren aus. Die Glockenbrot-Produktionsstätte in Frankfurt am Main wird geschlossen, die Großbäckerei in Bergkirchen bei München an Großbäcker Harry-Brot verkauft. Harry-Brot kann auf einem Rewe-Gelände eine hochmoderne Großbäckerei errichten – mit der Rewe-Group als Kunden. Mit dem Glockenbrot-Aus nimmt die Expansion der Schenefelder in den Süden Deutschlands richtig Fahrt auf. Was sonst noch ansteht bei Großbäcker Harry-Brot, dazu Frank Kleiner, Geschäftsführer Marketing & Vertrieb, im Interview.

Welche Marktentwicklungen haben Sie veranlasst, von der Rewe-Group die 
Glockenbrot-Bäckerei in München zu übernehmen und bei Hanau eine komplett neue Großbäckerei zu bauen, selbstverständlich sofern das Bundeskartellamt keine Bedenken gegen die Vereinbarung hat?
Frank Kleiner: Wir sind im Laufe unserer 335-jährigen Firmengeschichte von Hamburg aus gewachsen. Daher ist Harry-Brot historisch und lokal bedingt vor allem im Norden und der Mitte Deutschlands stark verankert. Hier liegt unser bisheriges Stammgebiet. Im Süden sind wir im Vergleich zum Rest von Deutschland bisher unterrepräsentiert. Gleichzeitig fragen immer mehr Verbraucher in Süddeutschland unsere Produkte nach. Wir planen daher seit Langem, die Präsenz von Harry-Brot in Süddeutschland zu erhöhen. Erstmals waren Harry-Produkte im Jahr 2017 in einzelnen süddeutschen Filialen erhältlich. 2022 folgte dann ein neues Logistikkonzept. 2024 haben wir unseren bestehenden Standort Troisdorf erweitert. Mit der geplanten Übernahme des Werks bei München und dem Neubau bei Hanau gehen wir als Marktführer im Brot- und Backwarensegment nun den nächsten konsequenten Schritt.

Die Frischdienst-Flotte soll also auch im Süden die Märkte beliefern?
Wir planen, unser derzeitiges Frische-Konzept, die tägliche direkte Belieferung der Märkte, mit entsprechender Logistik auszuweiten.

Welche Investitionen planen Sie ein?
Hierzu können wir keine Angaben machen.

Die Übernahme der Großbäckerei in Bergkirchen ist schon für 2025 geplant: Was steht für Sie dort als Erstes auf der Agenda?
Harry-Brot steht als traditionsreiches Familienunternehmen für eine lange, synergiereiche und partnerschaftliche Zusammenarbeit, die wir mit den engagierten Mitarbeitenden am Standort Bergkirchen fortsetzen wollen. Uns ist es nun wichtig, gemeinsam mit dem bestehenden Team neue Möglichkeiten auszuloten und Entwicklungen voranzutreiben. Der Fokus liegt auf einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit, wir wollen Synergien nutzen und ausbauen.

Die bürokratischen Mühlen in Deutschland mahlen langsam: Was lässt Sie hoffen, dass die neue Großbäckerei bei Hanau auch 2028 in Betrieb gehen kann?
Wir sind optimistisch und gehen weiterhin davon aus, dass die Genehmigungsverfahren zügig laufen können, da für das geplante Bauvorhaben der Rewe bereits einige Voranfragen abgeschlossen waren. Sobald die Zustimmung des Kartellamtes vorliegt, werden wir entsprechende Anträge stellen, die dem Ziel einer Inbetriebnahme für 2028 nicht im Wege stehen werden.

Sie sprachen schon das Werk in Troisdorf an: Wie läuft es da derzeit?
Troisdorf war ursprünglich ein Tiefkühlstandort. Jetzt haben wir dort zusätzlich ein Frischbrotwerk errichtet. Das bedeutet, dass wir dort auch verpackte Backwaren produzieren. Der Bau solcher Anlagen erfordert eine gewisse Vorlaufzeit. In den letzten Wochen haben wir die Produktionslinien hochgefahren, aber es ist noch nicht voll ausgelastet. Jetzt müssen wir schauen, wie wir die Kompetenzen für das gesamte Sortiment dort optimal einsetzen. Welche Artikel produzieren wir dort? Da gibt es noch Optimierungsbedarf zwischen den Werken. Im Westen haben wir bereits zwei Frischbrotwerke in Ratingen und Witten, also haben wir jetzt ein Trio, das wir bestmöglich abstimmen werden.

2024 startete Harry-Brot gemeinsam mit Düngemittelhersteller Yara Deutschland und den Müllern von Bindewald & Gutting ein Projekt, das die Reduktion des CO2-Fußabdrucks über die gesamte Wertschöpfungskette zum Ziel hatte. Sind die Brote im Handel erhältlich?
Die Brote sind im Verkauf. Wir haben uns entschieden, dass wir auf den Verpackungen der mit „grünem“ Ammoniak produzierten Brote vorerst keinen Vermerk darüber platzieren werden. Das hat zwei Gründe: Zum einen handelte es sich um ein Pilotprojekt mit einer sehr geringen Menge Mehl bezogen auf unsere gesamte Produktionsmenge. Zum anderen gibt es aktuell noch keine verlässliche Vergleichsgrundlage.

Worin bestanden die Schwierigkeiten?
Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die beim Anbau des Getreides Einfluss auf den CO2-Gehalt haben und die wir auch innerhalb des Projektes nicht beeinflussen können: Ich nenne nur Wind und Wetter, Hitze oder Starkregen. Alles das hat unmittelbar Auswirkungen auf den Ernteertrag und damit auf den CO2-Gehalt des Brotes. Der CO₂-Fußabdruck des „Sammy’s Super Sandwich“ über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg reduzierte sich in diesem Pilotprojekt gegenüber dem Durchschnittswert in Deutschland um 17 Prozent. Gegenüber den von den Vertragslandwirten bewirtschafteten Vergleichsfeldern waren es 8 Prozent. Das ist ein durchweg positives Ergebnis, auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick nicht sonderlich groß erscheinen.

Wie geht es mit dem Projekt nun weiter?
Für alle Beteiligten war dieses Projekt sehr wichtig und lehrreich. Wir alle müssen uns um nachhaltiges Wirtschaften bemühen. Deswegen freue ich mich sehr, dass es gelungen ist, das Thema CO2-Einsparung, CO2-Fußabdruck und Verbesserungen im Scope-3-Bereich auf eine sehr viel breitere Datenbasis stellen zu können. Nun ist es aber wichtig, weitere Akteure miteinzubeziehen. Am 4. und 5. Juni trifft sich die backende Branche aus einigen Ländern Europas, von Müllern über Landwirte bis zu Saatgut- und Düngemittelherstellern, im niederländischen Utrecht, um über genau diese Themen zu sprechen. Der Titel lautet „Regenerative Landwirtschaft“.

Damit wird das Thema erstmals über 
Ländergrenzen hinweg angegangen?
Ja. Wobei die Beteiligten in den jeweiligen Staaten selbst auch bereits aktiv sind. Wir sehen viele Ansätze, und der Austausch ist nun entscheidend. Mein Kollege Norbert Lötz, der Geschäftsführer Produktion und Technik, ist in vielen Gremien aktiv, und wir beziehen andere Bäcker, den Verband der Großbäcker und internationale Partner in die Gespräche mit ein. Auch die Politik, insbesondere das Landwirtschaftsministerium, wird hoffentlich unterstützen. Wichtig ist nun, alle Initiativen zusammenzuführen, denn es wird nur funktionieren, wenn die großen Player zusammenarbeiten. Die Lieferkette ist einfach zu lang, um sie allein zu bewältigen.

Wie hat sich das Unternehmen 2024 
wirtschaftlich geschlagen?
Wirtschaftlich gesehen haben wir im letzten Jahr eine Seitwärtsbewegung erlebt, mit einem leichten Wachstum. Die Zahlen spiegeln das allerdings nicht vollständig wider.

Das müssen Sie bitte erklären.
In erster Linie konnten wir im Bereich der Produktionsmenge zulegen. Wobei wir bei Prebake vorsichtig sein müssen: Im ersten Halbjahr 2024 hatten wir ein starkes Wachstum. Wir betrachten das immer im Kontext des Kalenderjahres, was es etwas kompliziert macht. Nach Corona brauchte die Prebake-Station im ersten Halbjahr 2023 erst eine Weile, um wieder an Attraktivität zu gewinnen. Aber ab dem zweiten Halbjahr 2023 ging es dann wieder richtig los. Deshalb hatten wir im ersten Halbjahr 2024 ein starkes Wachstum, weil wir von einer niedrigeren Basis starteten. Im zweiten Halbjahr 2024 mussten wir uns dann mit dem hohen Niveau des Vorjahres messen. Das Wachstum für 2024 wurde also hauptsächlich vom ersten Halbjahr getrieben. Positiv ist allerdings, dass wir jetzt eine neue Basis haben.

Was verkaufte sich besonders gut?
Besonders spannend finde ich, dass in den Backstationen sowohl einfache als auch hochwertige Produkte gut laufen. Das zeigt, dass wir mehr Verbraucher ansprechen, sowohl diejenigen, die preisbewusst einkaufen, als auch die, die bereit sind, mehr für Brot auszugeben. Es bleibt spannend zu sehen, woher diese Verbraucher kommen.

Vermutlich sind dies ehemalige Kunden von Filial- oder Handwerksbäckern?
Ein Aspekt, den man heutzutage wirklich beachten muss, ist die Veränderung der Öffnungszeiten. Das betrifft nicht nur die Handwerksbäcker, sondern auch andere Verkaufsstellen. In vielen Bereichen sieht man, dass Bäckereien nur von 7 bis 14 Uhr geöffnet haben – und das an Wochentagen, nicht nur am Wochenende. Das hat natürlich Auswirkungen. Wenn die Leute von der Arbeit kommen, suchen sie vielleicht zuerst die Backstationen im Handel auf. Dabei stellen sie fest: Wow, die Qualität und die Preise sind gut. So binden wir für die Backstation neue Kunden an uns. Unsere Marktforschung zeigt klar, dass Frische, Qualität und Auswahl der Backstationen in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. Das ist erfreulich.

Welche Erwartungen haben Sie an eine neue Bundesregierung?
Wir sollten den Unternehmen wieder mehr Vertrauen in ihre Innovationskraft entgegenbringen, anstatt alles bis ins Detail zu reglementieren. Das betrifft nicht nur die Backwarenbranche, sondern viele andere Sektoren. Die Bürokratie neigt dazu, alles vorschreiben zu wollen, sogar wie sich die Menschen ernähren sollen.

Haben Sie ein Beispiel?
Wir haben uns ja aus dem Nutri-Score verabschiedet, weil die Bewertung von Salz und Ballaststoffen geändert wurde, was unsere Produkte schlechter dastehen ließ. Aus unseren mit A und damit am besten bewerteten Broten wurden über Nacht C-Brote. Dabei lieben viele Deutsche ihr Brot, vermissen es, wenn sie im Ausland sind, wo das Brot oft weniger Salz enthält. Wollen wir wirklich, dass unser Brot so wird? Es ist wichtig, dass die Menschen die Wahl haben und nicht alles vorgeschrieben bekommen.

Was ist Ihr Weg?
Wir möchten den Verbraucher nicht bevormunden, sondern Alternativen anbieten. Wir setzen uns intensiv mit dem Thema unterschiedlicher Ernährungsweisen auseinander. So zum Beispiel für unsere neue Brioche-Linie, die wir entwickelt haben. Die Produkte enthalten Vollei und Butter. Es gibt Menschen, die sagen, sie möchten keinen Standard-Burger, sondern einen Brioche-Burger, weil dieser aromatischer ist. Natürlich müssen wir solche Produkte anbieten und können nicht einfach entscheiden, dass sie in Deutschland nicht mehr verkauft werden dürfen, nur weil sie mehr Kalorien enthalten. Das ist der Weg, den wir meiner Meinung nach wieder einschlagen sollten.

Was gibt Ihnen Hoffnung für 2025?
Unsere Mitarbeiter: Ich sehe so viele großartige Kollegen, die nicht einfach stehen bleiben wollen. Stillstand ist für sie keine Option. Das gibt mir Hoffnung. Auch unsere Kunden wollen vorwärtskommen. Es gibt eine Menge Initiativen, die nicht ausgebremst werden dürfen.

Zur Person

Frank Kleiner ist seit fast sieben Jahren Geschäftsführer Vertrieb & Marketing bei Harry-Brot. Der backenden Branche ist er seit vielen Jahren eng verbunden: Er war mehr als vier Jahre bei Aryzta sowie rund neun Jahre bei der Lieken AG tätig, zuletzt als Vorstand LEH.