Comeback der Handelsgastronomie Wie Supermärkte mit Cafés und Restaurants konkurrieren

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Gastronomie auf der eigenen Fläche wird für Händler immer wichtiger. Wie Kaufleute Treffpunkte für die Kunden schaffen. Wie sich die Handelsgastronomie entwickelt.

Mittwoch, 18. Dezember 2024, 06:40 Uhr
Heidrun Mittler
Handelsgastronomie im Aufschwung: Schmidts Markt in Bad Säckingen
Gastronomie und Handel kombiniert: Schmidts Markt in Bad Säckingen. Bildquelle: Horesco

Donnerstagmorgen, kurz nach neun, in Stadthagen: Monika, Gabi und Inge treffen sich zum Frühstück im Café Novecento. Das Café im WEZ-Markt von Edekaner Karl Preuß ist ihr wöchentlicher Treffpunkt: modern, aber gemütlich eingerichtet. Der Duft frisch gebackener Brötchen macht Appetit. Hinzu kommt der günstige Preis, der den zwei Hausfrauen und der Frührentnerin in die Karten spielt: Das „Starterfrühstück“ mit einem Pott Kaffee, zwei Brötchen und frischem, leckerem Belag kostet 5,10 Euro. Da bleibt den dreien noch ausreichend Geld für die Yogastunde am späteren Vormittag übrig.

Tatsächlich ist das „Starterfrühstück“ das meistverkaufte Angebot im Café Novecento, bestätigt Stephanie Albers, Einkaufs- und Marketingleiterin bei den WEZ-Märkten. Mehr als 200 Gäste ordern es pro Woche. Hinzu kommen Varianten mit einer üppigeren Auswahl, aber auch die Kombination von einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen beziehungsweise einem belegten Brötchen für 3,50 Euro. WEZ liefert Qualität: Der Kaffee wird im Haus selbst geröstet, die Backwaren frisch vor Ort produziert.

Viele Händler bauen ihr gastronomisches Angebot künftig aus und wollen in diesen Bereich investieren. Dabei hat der Handel die traditionelle Gastronomie in Deutschland in Teilen bereits überholt. Er punktet mit guten Qualitäten, frischen Zutaten, oftmals direkt von der Verkaufsfläche, und (aus Kundensicht) angemessenen Preisen. Die Zahlen spiegeln das wider: Die Handelsgastronomie verzeichnet ein Umsatzplus von 16 Prozent im Jahr 2023 gegenüber Vorjahr, wie eine aktuelle Studie des EHI Retail-Instituts belegt. Insgesamt beziffert die Studie den Umsatz auf gut 12 Milliarden Euro.

Ganz anders die Situation bei traditionellen Speisegaststätten, Kneipen, Bistros oder Cafés: „Die Lage der Gastronomie ist und bleibt angespannt“, heißt es beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Das Umsatzminus beträgt noch immer 15 Prozent gegenüber 2019, also der Zeit vor der Corona-Pandemie. „Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7 auf 19 Prozent zum 1. Januar 2024 hat die Situation der Betriebe weiter verschärft“, beklagt der Verband und spricht von einer „massiven Benachteiligung“ gegenüber Lieferdiensten und dem Lebensmittelhandel. Corona hat die Branche durchgeschüttelt, etwa 48.000 Betriebe haben in der Folge aufgegeben. Das Sterben geht weiter: 2023 hat etwa jedes zehnte Gastronomieunternehmen kapituliert. Eine Lücke, in die der Lebensmittelhandel gestoßen ist.

Mittagessen wird wichtiger

Wo liegen die Wachstumstreiber für die Handelsgastronomie? Zum einen im Ausbau von Artikeln „auf die Hand“, etwa aus der Heißen Theke. Diese To-go-Convenience, wie sie im Marketingsprech heißt, verzehrt der hungrige Konsument unterwegs, zu Hause oder im Büro. Typische Beispiele sind Schnitzelbrötchen oder heiße Frikadellen. Aber auch frisch geschnittene Salate, bereits fertig abgepackt, eventuell ergänzt durch Gabel und Serviette.

Ein weiterer wichtiger Hebel ist der Ausbau des Mittagessens vor Ort, belegt die Studie. Bestes Beispiel ist „Lieblingsplatz bei Jakobi“. So heißt das Gastro-Konzept, welches Ulrike und Marco Jakobi, Inhaber des Edeka-Marktes Jakobi in Bensheim und Lautertal, etabliert haben. Sie offerieren täglich wechselnde Gerichte sowohl mit als auch ohne Fleisch. „Eine günstige und praktische Alternative zum Selberkochen“, sagt Marco Jakobi. Die Preise sind mit 6,90 Euro für eine Gulaschsuppe und 10,90 Euro für eine Rinderroulade mit Kartoffelklößen und Rotkohl für die Gäste erschwinglich und bieten ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Viele dieser Gäste nutzen die Gelegenheit, vor oder nach dem Essen im Markt einzukaufen. Marco Jakobi fasst zusammen: „Diese Symbiose zwischen Gastronomie und Einzelhandel fördert nicht nur das Image des Marktes, sondern steigert Kundenfrequenz und Umsatz.“ Hinzu kommt: Durch die Küche, die in der Metzgerei der Märkte installiert ist, können die Abläufe gut organisiert und die Speisen kostengünstig zubereitet werden. Für das kommende Jahr planen die Jakobis einen weiteren Markt, ebenfalls mit einem „Lieblingsplatz“.

Chancen im ländlichen Raum

Christian Lamboley ist Fan der Handelsgas­trono­mie: „Unglaublich, welche Synergien in der Kombination Supermarkt und Gastronomie freigesetzt werden!“ Der Vertriebsleiter bei Edeka Kunzler mit Sitz im saarländischen Überherrn ist nicht nur ausgewiesener Fleischexperte, sondern hat sein ganzes Berufsleben im Handel verbracht. Er ist überzeugt, dass der Gastro-Bereich in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen wird. Einfach deshalb, weil es gerade in ländlichen Regionen kaum noch Gaststätten gibt. So sei es zum Beispiel oft schwierig, einen Gastraum zu finden, etwa wenn man einen Beerdigungskaffee organisieren muss. Viel netter ist es natürlich, wenn es um eine Taufe oder Kommunion geht. Aber in allen Fällen bietet sich die Handelsgastronomie als Treffpunkt an.

Diesem Gedanken schließt sich auch Stephanie Albers, WEZ, an. Im Obergeschoss des Stadthagener Marktes befindet sich eine Eventlocation mit knapp 40 Sitzplätzen, perfekt ausgestattet mit Küchengeräten, einem Konvektomaten und einer Siebträger-Kaffeemaschine. Im „Eventi“ veranstaltet das WEZ- Team Tastings, Kochkurse oder ein „Pizza-Karussell“ mit acht verschiedenen Pizza-Varianten zum Sattessen. Schon jetzt sind die Veranstaltungen fürs nächste Jahr so gut wie ausgebucht. Außerdem bekommt die Marketingleiterin Anfragen von Privatleuten und Firmen auf den Tisch, die das „Eventi“ mieten möchten. Gefragt ist der Raum vor allem, wenn Menschen zusammen kochen möchten.

Profilierung über aromatischen Kaffee

Ein unbedingtes Muss für einen Treffpunkt: guter Kaffee! Für die EHI-Studie, die mit den Kooperationspartnern GfK/CPS durchgeführt worden ist, wurden Händler befragt, in welchen Punkten sie ihre Mitarbeiter fortbilden möchten. Ganz oben auf der Liste stehen Kaffee- und Barista-Schulungen. Bei den geplanten Investitio­nen nehmen Kaffeemaschinen ebenfalls einen Spitzenplatz ein. In diesem Punkt ist Edekaner Sebastian Cramer (Foto oben) bereits bestens ausgestattet. Der Preisträger „Supermarkt des Jahres 2024“ schenkt in seinem Markt in Langenhagen eine spezielle Mischung aus: Der „Pang Khon Blend“ wird in den Bergdörfern Nordthailands angebaut und geerntet. Die Hannoversche Kaffeemanufaktur röstet ihn schonend, das macht ihn bekömmlich. Sein Café nennt Cramer „Kaffeezeit“, er gönnt sich hier selbst gern eine kleine Pause.

Digitalisierung gegen Personalmangel

Auch wenn die Vorzeichen für die Handelsgastrono­mie positiv sind, so haben die Händler doch mit einer Schwierigkeit zu kämpfen: Personalmangel. In diesem Punkt geht es ihnen nicht anders als den Betreibern der Eckkneipe oder des gut bürgerlichen Restaurants. Entsprechend verwundert es nicht, dass die Händler laut der EHI-Studie ihre Prozesse in der Handelsgastronomie digitalisieren wollen. An oberster Stelle im Maßnahmenkatalog steht der Bezahlprozess. Ein schneller Check-out stellt auch die Kunden zufrieden.

3 Fragen an

Paulina Ullrich, EHI-Projektleiterin, zu den Knackpunkten in der Handels­gastronomie.

Sie können in Ihrer Studie nachweisen, dass Mehrweg nur schlecht funktioniert. Was muss sich ändern?
Paulina Ullrich: Das Problem sind die uneinheitlichen Systeme. Der Kunde leiht bei einem Händler einen Mehrweg-Behälter, kann ihn aber bei einem anderen Händler nicht abgeben. Mal braucht er eine App zur Ausleihe, mal reicht das Scannen eines QR-Codes. Auf jeden Fall muss er immer wieder seine Daten hinterlegen.

Junge Menschen besuchen kaum die Handelsgastronomie. Was raten Sie Händlern, die diese Zielgruppe erschließen wollen?
Seit Jahren wird die Handelsgastro­nomie durch die Heiße Theke geprägt. Leberkäsbrötchen und Frikadellen aber halten viele junge Menschen nicht mehr für zeitgemäß. Sie suchen ein modernes Foodangebot, wie Sushi oder Bowls. Und Digitalisierung, etwa um Essen vorzubestellen. Daraus ergibt sich für Händler eine Chance, Fremdanbieter mit modernen Konzepten in ihre Flächen zu integrieren.

Welche Trends beobachten Sie im internationalen Vergleich?
Wir haben gerade eine Händler-Tour durch London gemacht. Dabei ist mir die Schnelligkeit und Frische einiger Konzepte aufgefallen, etwa bei den Shops von Pure oder der Sandwichkette Pret a Manger. Interessant finde ich das Verschmelzen verschiedener Küchen. Etwa wenn ein Taco aus der mexikanischen Küche mit hochwertigem Lobster gefüllt wird. Warum nicht eine Bowl einmal mit Leberkäse anbieten?