Lehmann Natur ist Importeur und Erzeuger von Obst und Gemüse in Bio- und Demeter-Qualität sowie Anbauer nach Permakultur-Richtlinien. Das Unternehmen erzielte im Jahr 2023 einen Umsatz von rund 120 Millionen Euro. 95 Prozent der frischen Bio-Produkte werden in Deutschland vermarktet, davon rund 70 Prozent im LEH und 30 Prozent im Bio-Fachhandel. Die LP sprach mit dem Geschäftsführer Raphael Kennerknecht. Er war von 2016 bis 2021 Geschäftsführer bei Lehmann Natur und ist seit November 2023 in dieser Position wieder an Bord.
Warum sind Sie zurückgekehrt?
Raphael Kennerknecht: Auch in der Zeit meiner Abwesenheit bestand weiterhin eine enge Verbindung zum Unternehmen, hier habe ich meine beruflichen Wurzeln. Das Thema „Bio, das weitergeht“, für das Lehmann Natur einsteht, hat mich nie ganz losgelassen. Umso mehr habe ich mich gefreut, als sich die Möglichkeit ergab, unter neuen Voraussetzungen wieder dort anzuknüpfen. Mit viel Herzblut versuchen wir Bio jeden Tag ein Stück weiter in die Welt zu tragen.
Hat Lehmann Natur eine neue Mission?
Nein, wir setzen uns weiter weltweit für mehr ökologischen Anbau und Nachhaltigkeit ein. Vor allem kleinere landwirtschaftliche Betriebe brauchen Händler, um ihre Produkte zu vermarkten. Wir verstehen uns als Bündler dieser Produzenten sowie als Vermittler zwischen ihnen und dem Handel. Mittlerweile kooperieren wir mit 200 Produzentengruppen, manche von ihnen bestehen nur aus wenigen Kleinbauern. Den Bauern garantieren wir feste Preise und schaffen Arbeitsplätze im ländlichen Raum.
Was ist der USP von Lehmann Natur?
Wir haben in Korschenbroich ein Lager mit einer eigenen Bio-Packstation. Zudem werden die Container aus der ganzen Welt erst in unserem Lager verzollt. Eine vorherige Umladung im Hafen findet nicht statt. Die Bio-Früchte verpacken wir nach den individuellen Wünschen unserer Handelspartner. Bei Bedarf können wir Ingwer, Avocados und Mangos lasern und entwickeln auch Eigenmarken.
Welche Bio-Ware steht im Fokus?
Neben klassischen Bio-Produkten wie Bananen, Tomaten, Gurken und Paprika konzentrieren wir uns auf das Angebot von ökologisch erzeugten B-Artikeln, also Produkte mit einem geringeren Umsatzanteil im LEH und im Bio-Fachhandel.
Die da wären?
Durch unser Bio-Limetten-Projekt in Kolumbien mit 60 Kleinbauern und einer Gesamtfläche von 400 Hektar sind wir Europas größter Bio-Limetten-Importeur. Lehmann Natur ist auch einer der größten Bio-Ingwer-Importeure und -Vermarkter in Europa. Jede Woche erreichen uns vier Container Ingwer aus China, Peru und Brasilien. Hinzu kommen wöchentlich ganze Container mit Bio-Avocados und -Kurkuma.
Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?
Wir wollen mit unserem Sortiment und unseren Vermarktungslösungen Impulsgeber sowie Innovationstreiber sein. Zudem wollen wir dem Handel ganzjährig frisches Bio-Obst und -Gemüse anbieten, müssen aber aufgrund der Wetterkapriolen die Risiken für Lieferengpässe minimieren. Deshalb werden wir die Warenbeschaffung aus Übersee, Marokko und der Türkei ausbauen. Wir kümmern uns auch darum, dass die Bauern das nötige Know-how bekommen.
Welche Rolle spielt der Preis für Bio-Ware?
Bio-Produkte dürfen 15 bis 20 Prozent mehr kosten als konventionelle Ware. Dann ist der Kunde bereit zuzugreifen. Wir empfehlen Händlern, B-Artikel wie Ingwer, Limetten, Physalis oder gelegte Orangen ausschließlich in Bio-Qualität anzubieten.
Wie begründen Sie das?
Zum einen ist der Anbau beispielsweise von Ingwer in Bio-Qualität ohne großen Mehraufwand möglich. Zum anderen stehen B-Artikel nicht im Preisfokus der Kunden. Verbraucher haben hier auch keinen Preisvergleich zwischen Bio- und konventioneller Ware. Der Handel kann somit Bio-Ware anbieten und eine gute Marge erzielen. Und er braucht keine Verpackung als Unterscheidungsmerkmal.
Bio-Ware wird zur Unterscheidung oft in Plastik verpackt. Wie ist Ihre Meinung?
Ein Beispiel: Ein Kilogramm Ingwer kostet lose zwischen 4,90 und 6,90 Euro. Eine 200-Gramm-Schale kostet bei Kaufland im Handel 2 Euro. Der Kilopreis beträgt somit 10 Euro. Abgesehen vom Verpackungsmüll verteuern wir Bio. Um Kaufanreize zu schaffen, sollten zumindest B-Artikel nur als lose Ware angeboten werden.
Wie kann der Handel Bio-Ware pushen?
Manche Händler bestellen Bio-Gurken in Sechser-Kisten, was die Ware verteuert. Größere Gebinde wären zumindest bei Schnelldrehern sinnvoll. Der Handel sollte hier mutiger agieren und den Verbrauchern die Bio-Ware bewusst bevorzugt präsentieren. Gerade bei Bio-Produkten, zu denen die Verbraucher bereits eine Produktbindung aufgebaut haben, sollte ein Out-of-Stock vermieden werden. Bei Bio-Bananen sehen wir dies besonders kritisch, weil viele Kunden, die Bio kaufen wollen, dann überhaupt keine Bananen kaufen.
Wie gehen Sie mit Überproduktionen um?
Bei einem großen Warenangebot sind Werbeaktionen mit günstigeren Preisen ein Instrument. Der Handel terminiert die Aktionen aber oft nach eigenem Ermessen. Ich wünsche mir, dass der Handel das Timing der Aktionen möglichst mit uns abspricht, um so auf die Produktionsmenge besser reagieren zu können. Kommen keine Werbeaktionen infrage, werden die Produkte industriell verarbeitet.
Sind 30 Prozent Bio bis 2030 möglich?
Ja, unter folgenden Bedingungen: Erstens sollte Bio nur noch lose verkauft werden. Zweitens sollten B-Artikel wie Ingwer, Knoblauch und Physalis nur noch in Bio angeboten werden. Drittens sollte die Außer-Haus-Verpflegung auf Bio umgestellt werden. Wir sind für diese Maßnahmen startklar und volumenfähig.
Sie sind Partner eines EU-Projektes, das Lebensmittelabfälle entlang der Lieferkette eindämmen will. Was ist Ihre Aufgabe?
In dem Breadcrumb-Projekt geht es generell um landwirtschaftliche Erzeugnisse. Für Obst und Gemüse erheben wir zunächst Daten, und zwar für Limetten, Paprika und Gurken: Wir fragen Erzeuger und Händler, wie viele Früchte nicht vermarktet wurden, welche Gründe vorlagen und wie viel weggeworfen wurde. Basierend auf den Daten erarbeiten die Projektbeteiligten eine Empfehlung, ob die Vermarktungsnormen angepasst werden sollten, ob Zweitverwertungen für nicht vermarktungsfähige Ware möglich sind und wie der Handel Überproduktionen intelligent vermarkten kann. An dem dreijährigen EU-Projekt sind 22 Firmen, NGOs und Beratungsfirmen beteiligt.