Milchbranche Zu viel Staat in der Milch

Wer bestimmt das Essen: Bürger oder Politik? Die Milchbranche diskutierte in Berlin von Nutri-Score bis Lieferkette über aktuelle und zukünftige Eingriffe des Staates in ihren Arbeitsalltag.

Freitag, 02. Februar 2024 - Sortimente
Markus Wörmann
Artikelbild Zu viel Staat in der Milch
Bildquelle: Milchindustrie-Verband

Der Milchindustrie-Verban­d (MIV) verschickte seine Einladung zum alljährlichen „Milchpolitischen Frühschoppen“ bereits Anfang November, noch nicht ahnend, wie aktuell die Fragestellung „Wer bestimmt das Essen: Bürger oder Politik?“ sein würde. Bauernpro­tes­te, Tierwohlabgabe, Ernährungs- und Reduktionsstrategie oder auch der Bürgerrat für Ernährung lieferten bis zum Termin am 23. Januar in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin genug Gesprächsstoff. Vielleicht war auch deshalb kein Politiker aus Regierungskrei­sen auf dem Podium zu finden. Dr. Margareta Büning-Fesel übernahm diesen Part. Sie ist Präsi­dentin der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, also einer nachgeordneten Behörde des Ministeriums von Cem Özdemir. Büning-Fesel stellte zu Beginn die These auf, dass in Deutschland im Vergleich die staatlichen Eingriffe in die Ernährung gering seien. Insbe­son­dere der Einfluss zuckergesüßter Getränke auf die Gesundheit der Bevölkerung sei aber nicht mehr zu leugnen, so die Behördenchefin.

Den Ball zur weiteren, vermeintlich staatlich verordneten Reduktion von Inhaltsstoffen nahm Dr. Kathrin Lehmann, Referentin für Ernäh­rungsfragen beim MIV, auf. Der Verband habe bereits ganz zu Anfang der Diskussion eine freiwillige Branchenvereinbarung abgegeben – „eine weitere Reduktion von Zucker und Salz könnte die Akzeptanz der Verbraucher deutlich verringern“, so Lehmann. Dem konnte auch Dr. Margareta Büning-Fesel zustimmen: „Alles, was nicht schmeckt, ist keine Lösung.“ Dazu warf Hans Holtorf von den Frischli Milchwerken ein, was von den Zuhörern viel Zuspruch erhielt. „Wir fühlen uns in dieser Diskussion nicht ernst genommen“, erklärte der stellvertretende MIV-Vorsitzende.

Gleiches gelte für den Nutri-Score. Die Einstufung von Milch und Milchmischgetränken als Getränk statt wie bisher als Lebensmittel führte zu einer Abwertung. Es gelten somit dieselben Kriterien wie für alle anderen Getränke, etwa Fruchtsaft, -schorle oder Limonade. Aus Sicht des MIV sei das aufgrund der vielen ernährungsphysiologisch hochwer­tigen Inhaltsstoffe wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Die Behördenchefin hielt dagegen: „Der Nutri-Score ist nicht dazu da, einzelne Produkte zu bewerten, sondern ähnliche vergleichbar zu machen.“ Dennoch blieb die Frage im Raum, ob die Politik einen Nutri-Score vorgeben darf, der auf einem Ver­einfach­ungsprinzip beruht.

Politik und Wirklichkeit
Im Rahmen des Milchpolitischen Frühschoppens verdeutlichte MIV-Vorsitzender Peter Stahl die aktuelle Lage am Beispiel der Biomilch: „Politische Wunschvorstellungen und die Realität auf dem Markt klaffen auseinander, denn die Verbraucher wollen günstige Lebensmittel. Marken und Programme mit Zusatznutzen haben es weiterhin schwer, Handelsmarken sind die heimlichen Gewinner.“ Die Verbraucher versuchten ihre Haushaltskosten zu minimieren, das sei in Zeiten von Inflation und drohenden Nachforderungen bei den Heizkosten auch verständlich. Politische Forderungen an die Milchbranche passten allerdings nicht mit dieser Zahlungsbereitschaft zusammen. „Wir sind mit rund 4 Prozent Biomilch-Anteil am Markt weit entfernt von den 30 Prozent, die das Landwirtschaftsministerium bis 2030 fordert. Das ist schade, aber Realität“, erklärte Stahl auf der anschließenden Pressekonferenz.

Molkereien müssen auf der anderen Seite massiv in Personal und Strukturen investieren, um beispielsweise dem Liefer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­gesetz zu entsprechen – und dabei sind Teile der Verordnungsflut noch in der Pipeline, beklagt der MIV. Dazu kämen Anforderun­gen der EU-Taxonomie im Sinne einer ökolo­gisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit sowie zur EU-Verpackungsverordnung PPWR. Im Bereich Verpackung kumulierten Bürokratie und doppelte Kosten für Verpackungslizenzierung, Kunststofffonds, Kunststoffsteuer sowie das neu eingeführte Pfand auf Milchflaschen aus Kunststoff. Ein Bürokratiemonster drohe auch beim Thema entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR). Für die in der Verordnung genannten Produkte wie Rinder, Soja, Kaffee oder Kakao sind Sorgfaltspflich­ten ab 2025 entlang der gesamten Lieferkette geknüpft. Für die WTO-Konformität gelten die Bedingungen aber auch für alle Produzenten in der EU. In Zukunft müsse jeder Milcher­zeu­ger daher eine Referenznummer haben und Stand heute Geokoordinaten seiner Stallungen und Flächen in ein eigenes System einpflegen.

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