Klimawandel Den Kaffeepflanzen wird es zu heiß

Kaffee könnte ein rares Gut werden. Fairtrade unterstützt Kleinbauern weltweit bei der Anpassung an den Klimawandel. Ein Besuch bei Kaffee-Kooperativen in Minas Gerais, Brasilien.

Sonntag, 24. September 2023 - Sortimente
Santiago Engelhardt
Artikelbild  Den Kaffeepflanzen wird es zu heiß
Bildquelle: Santiago Engelhardt

Wer zum Ursprung des Kaffees will, muss hoch hinaus: Vier Stunden Autofahrt nördlich der brasilianischen Industriemetropole São Paulo liegt das größte Arabica-Anbaugebiet der Welt. Seit dem 18. Jahrhundert wird im Bundesstaat Minas Gerais Kaffee angepflanzt – und zwar auf Höhenlagen, die diese empfindliche Pflanze mag. Hier im Südosten Brasiliens, in der verschlafenen Kleinstadt Boa Esperança, ist der Kaffeebauer Eliezer Reis Jorge zu Hause. Im Alter von acht Jahren lernte er von seinem Vater, ebenfalls Kaffeebauer, wie man mit der empfindlichen Pflanze umgeht. Heute ist der 39-Jährige einer von 196 Mitgliedern der Fairtrade-zertifizierten Kaffee-Kooperative Dos Costas und ihr Präsident.

Der studierte Agronom sagt der Lebensmittel Praxis, man könne viel am Boden optimieren, aber das Klima könne man eben nicht steuern. Geringe Temperaturunterschiede würden bereits zu einer höheren Anfälligkeit von Pilzkrankheiten führen und die Blüteperioden durcheinanderbringen. Früher hätte es in der Region alle 30 Jahre Frost gegeben. Jetzt komme das in Brasilien so seltene Wetterphänomen gleich zweimal hintereinander. Erst letztes Jahr verloren 30 Prozent der Mitglieder der Kaffee-Kooperative ihre gesamte Ernte durch den Frost. Die beliebte Arabica-Bohne ist anfälliger für Schäden durch Kälteeinbrüche, Dürre, Schädlingsbefall oder Pilzkrank‧heiten wie Kaffeerost.

Um die 170 Liter Kaffee trinkt der deutsche Verbraucher pro Jahr. 60 Prozent davon werden aus den milderen Arabica-Bohnen gebrüht, die aber vom Klimawandel besonders bedroht sind. Laut einer neuen Studie aus der Schweiz könnte das beliebte Getränk in Zukunft ein rares Gut werden. Denn die Klimaerwärmung wirkt sich negativ auf die Anbaugebiete der beliebten Bohne aus. Der Forschungsgruppe Geography of Food an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zufolge, wird ihre Fläche bis 2050 um bis zu 60 Prozent schrumpfen.

Die Kooperative Dos Costas, die seit 2008 Fairtrade-zertifiziert ist, hat im Jahr 2015 einen Fond für solche Fälle gegründet, der von der Fairtrade-Prämie finanziert wird. Die Kleinbauern haben somit die Möglichkeit, zinslose Kredite in Anspruch zu nehmen, die es ihnen ermöglichen, solche Krisen zu überstehen. Darüber hinaus muss ein Viertel der Fairtrade-Prämie in Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel investiert werden. Eine davon ist die Gründung einer Modellfarm, auf der neue Methoden der Landwirtschaft ausprobiert werden. Unter anderem erprobt man, welche Baumart den meisten Schatten spendet, wenn sie inmitten der Kaffeesträucher gepflanzt wird.

Sorge um Kostensteigerungen
Der Klimawandel ist aber längst nicht die einzige Herausforderung für die Kaffeeproduzenten. Die Preise für Treibstoff und Dünger sind genauso massiv gestiegen wie die Lebenshaltungskosten. Dazu kommen Kosten für den Verwaltungsaufwand, den die neuen europäischen Gesetzgebungen wie das Entwaldungsgesetz verursachen. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereitet dem Präsidenten der Kooperative Dos Costas wenig Kummer. Gelassen erklärt er: „Wäre es ein paar Jahre früher gekommen, hätte es mir große Kopfschmerzen bereitet, aber seitdem die Kooperative Teil von Fairtrade ist, kann sie die europäischen Vorgaben problemlos erfüllen.“ Auch die Umstellung mancher Mitglieder auf die Bio-Produktion sei recht unkompliziert gewesen, da man ohnehin schon recht ökologisch produziert habe. Somit fällt es den Fairtrade-Kooperativen leichter, sich an die strenge brasilianische Umweltgesetzgebung zu halten und dem europäischen Entwaldungsgesetz nachzukommen. Ein klarer Wettbewerbs- vorteil für eine Branche, die seit Jahrhunderten einen Großteil ihrer Produktion nach Europa liefert.
Die enorme Nachfrage der Europäer und Nordamerikaner in der Mitte des 19. Jahrhunderts kurbelte die brasilianische Kaffeeproduktion an und machte das Land zum größten Kaffee-Exporteur der Welt. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Die größten Kunden bleiben die USA und Deutschland, gefolgt von Italien. 2022 importierte die Bundesrepublik 422.000 Tonnen Kaffee im Wert von 1,54 Milliarden Euro aus Brasilien. Fast die doppelte Menge, die aus Vietnam importiert wurde (248.000 Tonnen Kaffee).

Prämie ermöglicht Maßnahmen
Hundert Kilometer südlich von Boa Esperança, in den malerischen Bergen um die Stadt Poço Fundo, befindet sich die Kaffeefarm von Ana Cristina de Lima. Die 37-Jährige bewirtschaftet gemeinsam mit ihrem Mann José Messias eine acht Hektar große Kaffeeplantage und ist kürzlich auf Bio-Anbau umgestiegen. Mithilfe eines zinslosen Kredites der Fairtrade-zertifizierten Kooperative Coopfam überbrückte die Familie die drei kostenintensiveren Übergangsjahre. Die Kooperative finanziert den Fond, aus dem die Familie das Geld bekam, sowie Biogas-Anlagen und Sickergruben aus der Fairtrade-Prämie.

Ana Cristina de Lima erzählt, wie ihre Kaffeesträucher durch zu viel Regen und immer höhere Temperaturen aus dem Gleichgewicht geraten und dadurch immer häufiger krank werden. „Früher wusste man, dass im September die Regenzeit anfangen würde, deshalb säte man aus. Jetzt weiß man nicht mehr, ob El Niño oder La Niña zuschlagen werden. Es wird immer schwerer für uns.“ Deshalb probieren auch die Limas neue Techniken wie das Ausstreuen organischen Düngers aus Heu und Kuhmist aus, der die Feuchtigkeit im Boden halten und diesen mit Mikroorganismen versorgen soll. Auch Bäume wurden inmitten der Kaffeesträucher angepflanzt, um diesen Schatten zu spenden. Am Rande der Plantagen stehen nun Maisfelder, um den Kaffeesträuchern Schutz vor den starken Winden zu geben.

Bedrohliche Prognose
Die Autoren der Schweizer Studie vermuten, dass Vietnam, Indonesien und Kolumbien ebenfalls einen erheblichen Rückgang der Anbaugebiete verzeichnen werden, aber Brasilien, den größten Produzenten, werde es am härtesten treffen: Dort könnten 97 Prozent der aktuellen Anbauflächen bis 2050 nicht mehr geeignet sein. Sicher ist, dass bei fortlaufender Entwicklung der Kaffee knapper wird und somit auch deutlich teurer. Erst im vergangenen Jahr erreichten die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt ein neues Rekordhoch.

Von den weltweit 12,5 Millionen Kaffeefarmen setzen immer mehr auf die Robusta-Sorte, die, wie der Name schon sagt, robuster ist. Aber Kaffeeanbau ist Handarbeit, die vor allem von Kleinbauern geleistet wird. Damit sich der Anbau für sie weiterhin lohnt, sind nicht nur faire Löhne, sondern auch Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels unerlässlich.

Um den Kaffeebauern im globalen Süden mehr Investitions- und Planungssicherheit zu geben und sie besser gegen solche Krisen zu wappnen, hat Fairtrade im August 2023 den Mindestpreis für Arabica-Kaffee um 29 Prozent und den Preis für Robusta um 19 Prozent erhöht.

Die Frage, ob sie und ihr Mann wollten, dass auch ihre Tochter ins Kaffeegeschäft einsteigt, bejaht die stolze Kaffeebäuerin eindrücklich: „Als ich noch Kind war, gab es vonseiten der Stadtbevölkerung große Vorurteile gegenüber den Bauern. Meine Tochter hingegen ist stolz darauf, aus einer Familie von Kaffeebauern zu kommen.“

Neue Produkte

Viel gelesen in Hersteller

HIT Produkte 2023

Im Gespräch - Hersteller