Veggie Ist die Zeit jetzt reif?

Der LP-Wettbewerb „Supermarkt des Jahres“ hat es gezeigt: ein funktionierendes Veggie-Angebot bringt Wettbewerbsvorteile. Und wie steht es um die veganen Bedientheken? Die LP hat sich erneut umgehört.

Montag, 12. Juni 2023 - Sortimente
Bettina Röttig und Hedda Thielking
Artikelbild Ist die Zeit jetzt reif?
Bildquelle: Mirco Moskopp

Wenn vegane Bedientheken ein Selbstläufer wären, hätten sie sich längst bei den Vollsortimentern etabliert. Haben sie aber nicht. Als die Edeka vor acht Jahren in 70 Märkten die Vegithek eingeführt hatte, gaben viele Händler sie wieder auf. Der Zeitpunkt für dieses Projekt war damals noch zu früh, vermutete man. Ist die Zeit jetzt reif für eine vegane Bedientheke? Immerhin wagen sich die Handelsriesen Edeka und Rewe (wieder) aufs Parkett. Die Edeka Rhein-Ruhr hat von Rasting, dem Fleischwerk der Edeka Rhein-Ruhr, zwar einige vegane Fleisch- und Wurstalternativen für die Theke im Sortiment. Sie sieht die vegane Theke jedoch noch in der Pilotierungsphase und möchte dazu derzeit keine Stellung nehmen.

Die Rewe startete im Herbst vergangenen Jahres einen bundesweiten Test mit 53 veganen Bedientheken. Ein erster Test der Lebensmittel Praxis (LP 17/2022) zeigte damals, dass die Märkte mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hatten – vor allem in Sachen Beratungskompetenz. Und wie läuft es nun, rund acht Monate nach Testbeginn? Die Rewe hält sich noch bedeckt, Zwischenergebnisse möchte man derzeit nicht kommunizieren.

Inkognito-Besuche in einigen Testfilialen der Rewe zeigten, dass die veganen Thekenbereiche teils sehr schnell schrumpften und das Angebot deutlich ausgedünnt wurde. Erste Theken wurden bereits vor Wochen eingestampft. „Nicht gelaufen“, heißt es in einem Markt in Rheinland-Pfalz, der noch immer am SB-Regal für die Theke wirbt, die nicht mehr existiert. In einem anderen Markt wird erklärt: „In den ersten Wochen haben sie uns die Bude eingerannt, dann wurde es immer weniger. Die Abschriften waren zu hoch.“ Selbst in den Millionenmetropolen Berlin und München ist die Theke noch kein Selbstläufer. Sie werde derzeit eher als Service und weniger als Umsatzbringer gesehen, heißt es.

Der Markt für Fleischersatz 2022

6,5

Prozent mehr Fleischersatzprodukte wurden in Deutschland produziert als im Jahr 2021.

104

Tausend Tonnen betrug die Produktionsmenge (Vorjahr: rund 98 Tausend Tonnen).

17,3

Prozent betrug das Umsatzplus im Vergleich zum Vorjahr.

51

Unternehmen in Deutschland produzieren Fleischersatzprodukte (Vorjahr: 44).

Quelle: Destatis Mai 2023

Kaufzurückhaltung an den Theken
Was zu berücksichtigen ist: Die generelle Kaufzurückhaltung kommt dem gesamten Thekengeschäft nicht gerade zupass. „Und Flexitarier schieben den lange geplanten Probierkauf eines pflanzlichen Produkts dann doch noch mal auf“, stellt man bei Happy Cheeze, Hersteller der Käsealternativen der Marke Dr. Mannah’s, fest. Hinzu kommt: „Die Discounter drängen im SB-Bereich mit einem großen preisaggressiven Angebot auf den Markt“, sagt Andreas Heimann, Verkaufsleiter LEH beim Käsegroßhändler Ruwisch & Zuck. Inflation hin, Wettbewerb her, viele Märkte tun sich grundsätzlich schwer mit der veganen Bedientheke. „Kardinalfehler Nummer eins ist die Platzierung eines veganen Blocks zwischen der Fleisch-/Wurst- und Käsetheke“, weiß Andreas Heimann. „,Echte‘ Veganer gehen an einer veganen Bedientheke, die an Fleisch und Wurst anschließt, vorbei. Wenn überhaupt, fühlen sich hier eher Flexitarier angesprochen, die hin und wieder pflanzliche Alternativen kaufen.“ Und diese große Gruppe der Flexitarier gilt es zu gewinnen. So sieht Heimann in den veganen Bedientheken Potenzial – sofern sie professionell betrieben werden.

Wie es doch gehen kann
Die Rewe Ackerhalle in Berlin präsentiert pflanzliche Käse-, Wurst- und Fleischalternativen auf 1,25 Metern in Bedienung. Schmeckmuster und aktives Verkaufen über die Sortimentskategorien sollen mehr Kunden überzeugen. Dazu wurde das Team speziell geschult. In den Kundenkommentaren, die im Rahmen des LP-Wettbewerbs. „Supermarkt des Jahres 2023“ zu dem hierfür nominierten Markt erhoben wurden, stand das vegane Angebot in Bedienung besonders im Fokus und wurde positiv bewertet. Rewe-Kaufmann Stefan Lamke in Dresden-Mitte hat ein in der Vegan-Szene bekanntes Influencer-Paar gewonnen, welches das Thekenteam bei der Kreation von eigenen pflanzlichen „Frischkäsecremes“ unterstützt und über Social-Media-Posts Kunden anzieht.

Mit gutem Beispiel voran
Wie es auch funktionieren kann, zeigt Edeka Schulz in Unna. Als die Regalfläche für SB-Veggie-Produkte wegen sehr großer Nachfrage zu klein geworden war, führte der Markt im Januar eine vegane Bedientheke ein. Gleichzeitig wollte der Markt damit einen weiteren Service bieten. „Hier bekommen die Verbraucher auch kleinere Portionen, wenn sie bestimmte Produkte einfach mal testen möchten, ohne gleich eine ganze SB-Packung kaufen zu müssen“, nennt Silvia Wittler, Abteilungsleiterin für die Bedienungstheken, einen Vorteil. Und der Verkauf? „Läuft“, freut sie sich. Was dem Markt dabei in die Hände spielt: Die Käsetheke befindet sich gegenüber der Fleisch- und Wursttheke. Beide Bereiche sind also räumlich voneinander getrennt. „So haben wir von der Käsetheke 1,25 Meter abgezwackt und einen veganen Block eingerichtet, der durch eine Glasscheibe vom Käse getrennt ist“, berichtet Silvia Wittler. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist das motivierte Personal. Sie betont: „Eine vegane Theke funktioniert nur, wenn der Markt und das Verkaufspersonal hundertprozentig dahinterstehen sowie Zeit und Muße darin investieren.“

Vielfältiges Sortiment
Zum Sortiment gehören bei Edeka Schulz rund 50 Produkte, davon 35 Fleisch- und Wurst- sowie sieben Käsealternativen. Beliefert wird der Markt von Rasting sowie Ruwisch & Zuck. Die Kunden finden hier beispielsweise Aufschnitt auf Basis von Erbsen, pflanzenbasierte Schnitzel, Nuggets und Feinkostsalate. Hinzu kommen Schnittkäse auf Basis von Cashewkernen mit Kräutern, Knoblauch oder Bockshornklee vom Odenwälder Käsekeller und diverse Aufstriche. Das Thekenteam dekoriert den Block mit frischem Gemüse, damit er optisch mehr ins Auge fällt. Damit nicht genug: Fachliches Know-how ist laut Silvia Wittler unverzichtbar.

So hat eine Käsefachverkäuferin an einer Schulung von Rasting zum Thema Vegane Theke teilgenommen und gibt das Wissen nun an ihre Kollegen weiter. „Das Thekenpersonal sollte wissen, auf welcher pflanzlichen Basis die Produkte hergestellt werden, ob Zusatzstoffe enthalten sind, welche das gegebenenfalls sind und wie beispielsweise Fleischalternativen zubereitet werden“, berichtet Silvia Wittler. Informationen darüber erhält das Thekenteam von den Lieferanten. Auch die Organisation Proveg, die unter anderem den Rewe-Test unterstützt, bestätigt, dass Thekenmitarbeiter den veganen Produkten deutlich aufgeschlossener gegenüberstehen, wenn sie geschult und mit der ausgelegten Ware vertraut sind.

Eigenproduktionen sind Pflicht
Besonders wichtig sind zudem Schmeckmuster. „Frischkäsealternativen reichen wir zum Beispiel auf Crackern über die Theke. Viele Kunden, die die Produkte probieren, kaufen sie dann auch. Dankbar sind die Kunden für Rezepttipps, die an der Theke ausliegen“, berichtet die Abteilungsleiterin. Um Kunden immer wieder an die Theke zu locken, muss man im Sortiment ständig für Abwechslung sorgen. Dazu gehören neben neuen Produkten auch Eigenproduktionen. Rezeptvorschläge und Grundzutaten dafür bekommt der Markt ebenfalls von Rasting. „Ofenspezialitäten, wie mit Bulgur oder Gemüse-Tatar gefüllte Zucchini, Champignons und Spitzpaprika, muss der Kunde nur noch im Backofen garen. Zur Grillsaison bieten wir Grillspieße an. Gut laufen auch selbst gemachter Walnussfrischkäse mit Ahornsirup oder Rote-Zwiebel-Frischkäse.“ Viel Spaß bereitet dem Thekenteam die Kreation eigener Rezepturen, wie die vegane Quiche.

Preise und Werbung
Preislich kann das vegane Thekensortiment mit den Produkten in den anderen Bedientheken weitgehend mithalten. Vegane Frischwurst ist mit 1,49 Euro je 100 Gramm sogar etwas preiswerter als klassische Fleischwurst für 1,79 Euro. Der Preis für Geschnetzeltes auf pflanzlicher Basis liegt mit 14,90 Euro je Kilogramm nur knapp über dem Preis von Schweine-Geschnetzeltem, das 13,90 Euro kostet.

In Zeitungsanzeigen und Social-Media-Kanälen macht der Markt auf das Angebot aufmerksam. „Das zeigt Wirkung, denn es kommen sogar Kunden extra aus Münster zu uns“, ist Silvia Wittler stolz. Der Umsatz lasse sich nicht genau beziffern, da er zurzeit noch über die Kasse in der Käsetheke laufe. Das werde sich voraussichtlich bald ändern.

Käseersatz & Geschmack Andreas Heimann, Verkaufsleiter LEH, Ruwisch & Zuck
Andreas Heimann
 
Beim Blick in vegane Bedientheken fällt auf: Es gibt hier in der Regel mehr Alternativen zu Fleisch und Wurst als zu Käse. Einen Grund dafür nennt Andreas Heimann, Verkaufsleiter LEH beim Käsegroßhändler Ruwisch & Zuck: „Veganer wollen zwar keinen Käse essen, auf den authentischen Geschmack möchten sie allerdings doch nicht verzichten. Der Käsegeschmack lässt sich allerdings nur schwer nachahmen, vor allem für pflanzlichen Weichkäse und Camembert.“ So ist auch Heimann immer wieder auf der Suche nach neuen Produkten, die er den Händlern anbieten kann. Ruwisch & Zuck ist vor anderthalb Jahren in das Thekengeschäft von pflanzlichen Käsealternativen in den Edeka-Regionen Minden-Hannover und Rhein-Ruhr eingestiegen und bietet hier bis zu zwölf Käsealternativen an. Dazu zählen Schnittkäse-Alternativen von Vega Star und Wilmersburger, pflanzliche Frischkäsevariationen in den Sorten Natur, Schnittlauch und Sweet-Pepper von Petri sowie ein Parmesanersatz von Parma Food.
Seiner Ansicht nach werden sich im Bereich Käseersatz an der Theke Frisch- und Schnittkäse-Alternativen mit Zutaten stärker durchsetzen als Schnittkäse-Alternativen ohne Zutaten und Weichkäse auf Pflanzenbasis, da sie aktuell am ehesten den Geschmack und die Konsistenz der herkömmlichen Produkte treffen. Und darauf legen die Verbraucher großen Wert.

Heimann wünscht sich, dass der Handel die veganen Thekenprodukte noch stärker in den Fokus stellt, um sich vom Discounter abzuheben: „Ich empfehle Händlern, die vegane Bedientheken führen, in Handzetteln mit Aktionspreisen auf die veganen Thekenprodukte aufmerksam zu machen, um die Neugier der (Erst-)Kunden zu wecken und sie zum Kauf zu motivieren.“

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