Vegan „Wir müssen einen lebensqualitativen Fortschritt bieten“

Spitzenkoch, Kabarettist und Lebensmittel-Produzent Tobias Sudhoff will einen aktiven Beitrag zur Nahrungsmittelwende beitragen. Er will Menschen mit überragendem Geschmack zum veganen Genuss verführen.

Freitag, 26. Mai 2023 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild „Wir müssen einen lebensqualitativen Fortschritt bieten“
Bildquelle: Ethicline

Du beschäftigst dich intensiv mit der Transformation unserer Ernährung hin zu einer ökologisch-sozialeren Lebensmittelproduktion? Gab es einen Auslöser?
Ich komme vom Land, bin aufgewachsen zwischen Kartoffeln und Blumenkohl, Junge Union, Schweinemast und Parties der katholischen Landjugend. Meine Jugend durfte ich halb im Emsland, halb in Amsterdam verbringen, was meinen Horizont erweitert hat. Zum Kochen kam ich schon mit sieben oder acht Jahren. Dass die Natur viel mit unserer Ernährung zu tun hat, war mir damals schon klar. Wir hatten im Emsland viele Moore, eine sehr hohe Artendiversität, bis die Moore zugunsten landwirtschaftlicher Nutzflächen trockengelegt wurden. Auch war das Grillen im April/Mai unmöglich, weil der Bauer schon die Gülle aufs Feld gekippt hat. In der Schule gab es Sunkist, was fürchterlich schmeckte, das Trinkwasser war Nitrat verseucht. Es gab also keinen Kipppunkt, es war eine ganz natürliche Entwicklung.

Warum hast du dich dazu entschieden, Produkte auf den Markt zu bringen, die zur Ernährungswende beitragen sollen?
Den Begriff Nahrungsmittelwende habe ich mir vor mittlerweile über 13 Jahren ausgedacht, inspiriert von der Energiewende, die es schon gab. In einem Kochbuch, das ich auf den Markt gebracht habe und in meinen Kabarett-Shows thematisiere ich unsere Ernährung und die Lebensmittelindustrie. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich immer nur aus der Perspektive des Kritisierenden argumentiere und mir gedacht, ich muss selbst mal in die Rolle des Produzenten schlüpfen und vormachen, wie es geht. Zu dem Zeitpunkt war ich schon anderthalb Jahre Küchenchef eines Sterne-Restaurants und hatte dort die Happy Foie, also ungestopfte Foie Gras eingeführt, weil ich den Vorgang des Stopfens moralisch so verwerflich finde.

Dein erstes Produkt, die ungestopfte Foie Gras, wurde also zunächst nicht für den freien Markt entwickelt?
Ich bin bei den Oecotrophologen der Fachhochschule Münster im Food Lab, hab dort eine Zeit lang unterrichtet und dieses Produkt gezielt für den Einsatz im Sterne-Restaurant entwickelt. Ein Freund von mir sagte dann: Mensch, da muss man was draus machen. Dann kam Corona, was bedeutete Tobias Sudhoff fällt von einem Tag auf den anderen von einem guten Einkommen auf fast nichts. Und ich hatte Zeit. Also habe ich Gas gegeben, das Produkt Happy Foie auf den Markt gebracht, das in sehr kurzer Zeit eine hohe mediale Aufmerksamkeit bekommen hat.

Worauf legst du Wert in der Auswahl deiner Lieferanten und Rohstoffe?
Wir setzen zu 100 Prozent auf ökologische Rohstoffe. Aber bio ist nicht gleich bio. Wir schauen uns die Lieferanten und Bauernhöfe persönlich an, gucken, ob die Tiere dort wirklich vernünftig behandelt werden. Die Leber der Bio-Gänse, die wir verwenden, würde normalerweise in Tierfutter gehen oder entsorgt werden. Wir tragen mit Happy Foie zur Ganztierverarbeitung bei. Auch verarbeiten wir zum Beispiel in anderen Produkten einen kleinen Anteil Schokolade, diese kaufe ich von Original Beans, weil ich weiß, dass deren Projekte sinnvoll sind.

Du willst das Ende der Massentierhaltung. Dennoch ist dein erstes Produkt ein tierisches. Ist das nicht widersprüchlich?
Stimmt. Nachhaltigkeit bedeutet nicht, weiter in der Fleischindustrie zu rühren, auch wenn wir positive ökologische und ethische Aspekte reingebracht haben. Ich bin aber keiner von denen, die sagen, wir dürfen gar kein Fleisch mehr essen. Ich halte das für einen Teil der Kultur. Es gibt auch gute ökologische Argumente für die Artenvielfalt. Aber wir brauchen vegetarisch-vegane Alternativen.

Noch immer wird darüber diskutiert, ob vegetarische und vegane Produkte sich unbedingt an tierischen orientieren, diese nachahmen sollen…
2050 wird es 10 Milliarden Menschen auf dem Planeten geben, die alle gut ernährt werden wollen. Das heißt, in dem Transformationsprozess haben wir gar keine andere Wahl, als wirklich alles, was an Veganem und Vegetarischem auf dem Tisch liegt, zu nutzen - dazu gehören auch die Ersatzprodukte, Extrusions-Produkte und Insekten als Proteinquelle. Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir sind von unserer Evolution her getriggert auf bestimmte Umami- und Kokumi-Aromen, die im Fleisch stecken und uns leicht verdauliches, hochwertiges Protein signalisieren. Das finden wir evolutionär gut, auch als Veganer und Vegetarier. Im Kabarett-Programm erkläre ich das in einer Szene so: Wenn du nachts um 3 Uhr von der Party nach Hause kommst, richtig schön betrunken, und hast eine Heißhungerattacke, dann reißt kein Mensch den Kühlschrank auf mit den Worten „Boa jetzt so ne geile Möhre“. Stattdessen willst du richtig was auf die Zunge kriegen. Das heißt, wir müssen diese Geschmacksqualität in vegane Produkte bekommen. Mit Mohrrüben und Salat alleine werden die Leute nicht glücklich, weil wir eben tatsächlich diesen Trigger haben. Genau das kann man auch mit pflanzlichen Proteinen erreichen. Man muss nur wissen, wie.

Und wie gehst du in der Entwicklung vor?
Wir haben uns an der Fachhochschule viel damit beschäftigt, wo sich ein hohes Maß an Umami-evozierenden Molekülen finden lässt. Wenn man das dann mit Kochkompetenz zusammenbringt, dann kann man tatsächlich aus rein pflanzlichen beziehungsweise aus vegetarischen Rohstoffen tolle Alternativen kreieren.

Welche pflanzlichen Stoffe bringen die gewünschten Aromen mit?
Mit Pilzen und Hefe zum Beispiel haben wir vegane Möglichkeiten, um die gewünschten Aromastoffe wie Glutaminsäure oder Nucleotide zu erzeugen. Mittlerweile Standard in der Produktion von Fleischimitaten ist die Nachahmung von Aromen von Blut. Dieses löst auf der Zunge einen Effekt aus, den du mit dem Saft der Roten Bete ebenfalls erzeugen kannst.

Wie sieht eure Arbeit im Labor konkret aus?
Wir haben einen Gaschromatographen an der Hochschule und sind zum Beispiel gerade dabei, aromaspezifische Moleküle, die Leber ausmachen, zu definieren. Wenn wir die kennen, dann können wir gucken, ob wir wiederum ein pflanzliches Äquivalent in der Natur finden und eine vegane Foie Gras entwickeln. Das ist das Ziel.  

Kannst du abschätzen, wann ihr auf der Zielgeraden seid?
Wir sprechen nicht von Monaten, sondern eher von zwei Jahren.  

Schon weiter seid ihr bei fleischlosen Bratensaucen…
Genau, wird sind kurz vor dem Marktstart. In Doppelblindtests hat keiner gemerkt, dass es sich nicht um Fleischjus, sondern um eine vegetarische und eine vegane Jus handelt. In der Vegetarischen haben wir noch ein bisschen Käse drin.

Dein Ziel ist es, bio-vegane Produkte zu kreieren. Wie ersetzt du den Käse?
Ein ganz spannendes Thema. Ich sage jetzt nicht was es ist, aber ich habe etwas gefunden, was ein  intensives Käsearoma in Produkte bringt. Den ganzen veganen Produkten fehlt genau dieses Aroma. Du musst nur mal hin riechen und hin schmecken und dann weißt du, welche Rohstoffe man nehmen könnte.

Welche Produkte habt ihr noch in der Pipeline?
Wir haben Rubs für Gemüse entwickelt. Der Klassiker beim Grillen ist: die Veganer kriegen ihren schnöden Gemüsespieß. Das Gemüse mal im Mittelpunkt zu rücken, gerade beim Grillen, darum geht es uns mit den Rubs. Wir möchten diese Umami-Breite reinbringen, eine Geschmacksexplosion mit Gemüse erzielen. Das hat noch keiner gemacht.

Über welche Vertriebsschienen werden die Produkte vermarktet?
Alle Produkte sind so geplant, dass wir sie sowohl im Lebensmitteleinzelhandel als auch in die Gastronomie, als auch über Direktvermarktung in den Verkehr bringen. Bei der Gastronomie ist das für mich logisch. Ich komme ja aus der Szene und weiß zum Beispiel bei der Jus, wieviel Arbeit die Herstellung bedeutet. Wenn ich kein Sternerestaurant habe, sondern einen relativ hohen Durchlauf und ich brauche trotzdem ein gutes Produkt, dann sind die Jus natürlich goldrichtig. Auch als Endverbraucher spare ich mir doch lieber die Arbeit und gebe Geld für den richtigen Bums auf der Zunge aus. Die Produkte, die es bis jetzt im Handel gibt, finde - da bin ich ganz arrogant – keineswegs zu vergleichen, mit dem, was wir machen.

Du willst von der Spitzengastronomie aus die Ernährungswende beschleunigen. Erklär mir bitte mehr zu deiner Philosophie.
Top-Down-Revolution ist das Stichwort. Die gesellschaftlichen Transformationen werden wir nicht erreichen durch Gesetze und erhobenen Zeigefinger. Die Leute werden wir nur mitnehmen, und das gilt für jeden Bereich, wenn wir einen lebensqualitativen Fortschritt bieten. Ein Beispiel: Als Musiker und Kabarettist toure ich im Jahr im Schnitt 40.000 Kilometer. Das Gebrumme in einem Diesel über diese vielen Kilometer hinweg zu hören und dann abends trotzdem zu spielen, ist hartes Brot. Ein Elektroauto ist total leise - das ist lebensqualitativ ein gigantischer Unterschied. Genau so müssen wir bei der Nahrungsmittelwende die Leute mitnehmen, indem wir durch Geschmack überzeugen. Wer weiß am besten, was richtig geil schmeckt? Das sind die Spitzenköche. Es gab Ende der 70er Jahre diese Achse New York - Mumbai. Plötzlich kamen die Gewürze aus Südostasien in die Sterne-Gastronomie. Es dauerte keine fünf Jahre und plötzlich hatte jede Studenten-WG einen Wok. Das ist ein Beispiel dafür, wie die Sterne-Gastronomie eine Revolution angezettelt hat. Frisches Gemüse hast du in den 50er- und 60er-Jahren allenfalls auf dem Markt oder bei dir selbst im Garten gehabt, in den Supermärkten gab es Konserven. Nachdem Eckart Witzigmann frisches Gemüse ins Zentrum gestellt hat, was er in Frankreich gelernt hatte, gab es dieses schnell auch in den Supermärkten. Diese großen gesellschaftlichen Transformationen funktionieren also als Top-Down-Revolution von den Spitzenköchen aus. Ohne dass sie mit Verantwortung übernehmen, bekommen wir die Revolution nicht hin.

Wie weit sind wir mit dieser Revolution?
Wir sind da noch ganz am Anfang. Was viel damit zu tun hat, dass es gerade in der Europäischen Union eine gefährliche Vermischung gibt von wirtschaftlichen Interessen und Lobbyarbeit, die dieser Transformation im Wege steht. Man sieht das ja, dass selbst so ein Typ wie Cem Özdemir offensichtlich in der Nestlé-Klöckner-Schule gelernt hat - das kannst du auch genauso aufschreiben. In meinem jetzigen Kabarett Programm versuche ich die mafiösen Strukturen zwischen der Agrarlobby, den Verbänden und der Politik in einem fünfminütigen Rap im Schnelldurchgang zusammenzufassen. Die Strukturen haben sich über Jahrzehnte ausgebildet, es wurde ein sich selbst erhaltendes System geschaffen. Die EU versucht gegenzusteuern, aber man sieht, wie stabil dieses selbsterhaltene System ist, sonst hätten wir diesen Sumpf längst trockengelegt.

Wie aufgeschlossen ist die Gastronomie, ihre Rolle zu spielen in der Transformation?
Da ist ein totaler Wandel zu sehen. Noch nicht überall, auf dem Land, zum Beispiel in Westfalen, gibt es weiterhin Schnitzel, die größer sind als das Gesicht des Bauern. Aber zumindest in den Städten ist zu sehen, wie klar diese Nachhaltigkeitsthematik der Gastronomie bewusst ist. Du kriegst in der Spitzengastronomie zum Beispiel gar kein Fleisch mehr aus Massentierhaltung.

Wie weit ist dieses Bewusstsein in die normale Gastronomie, den Imbiss oder die Kantine vorgedrungen?
Da muss sich noch viel tun. Gerade in der Systemgastronomie, weil die natürlich den ganzen Nestlé-Kram kaufen. Die Systemgastronomie ist der eigentliche Gamechanger. Wenn hier nach wie vor nur auf die Marge geschaut wird, wird das nichts.

Wie sieht deine Road Map aus? Wie arbeitest du weiter an der Nahrungsmittelwende?
Das ist eine Frage, die ich ganz schwer beantworten kann. Mein Leben hat sich von irgendwelchen Road Maps immer entfernt. Ich möchte weiter expandieren. Das soll das soll dazu führen, dass wir irgendwann wirklich nicht nur ein kleines regionales Beispiel sind für eine Veränderung, sondern dass wir mit an der Gestaltung der Transformation teilhaben können. Ich möchte mit all den Aktivitäten, mit dem Kabarett, dem Unternehmen, meinen Büchern und Vorträgen dazu beitragen, dass wir dieses große Rad in Richtung Nachhaltigkeit weiterdrehen. Ich will Leute begeistern. Denn Transformation wird nicht von Gesetzen, nicht von Politikern gestaltet, sondern von den Menschen. Das heißt, wir müssen sie mitnehmen.

Jetzt haben wir eine wirtschaftliche Lage, in der eher an Lebensmitteln als am Urlaub sparen…
Einer der Transformations-Bestandteile ist: Den Leuten muss klar sein, wenn sie nicht den Preis bezahlen, dann zahlt irgendjemand anders. Der erste Satz im letzten Lied meines aktuellen Programms lautet: „Das wäre doch was, wenn wir den Preis bezahlen und nicht jemand anders für unsere Preise zahlt.“ Entweder es zahlt die Natur oder wir unterstützen sozial miserable Umstände. Dies Bewusstsein müssen wir wecken.

Zur Person

Tobias Sudhoff ist Jazz-Musiker, Kabarettist, war Küchenchef des Sternerestaurants „Westfälische Stube“ (jetzt geschlossen), unterrichtet an der Fachhochschule Münster im Fach Oecotrophologie und ist Gründungsmitglied des Food-Lab Münster. Als Inhaber des Unternehmens Ethicline entwickelt und vermarktet er Alternativprodukte. 

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