EU-Öko-Verordnung Neues Grundgesetz für Bio

Seit dem 1. Januar 2022 gilt in Deutschland eine neue EU-Öko-Verordnung. Die Rechtsexpertin Tanja Barbian gibt im Interview Auskunft über die neue Rechtslage.

Freitag, 11. Februar 2022, 10:13 Uhr
Jens Hertling
Artikelbild Neues Grundgesetz für Bio
Bildquelle: Mirco Moskopp

Was steht in der EU-Öko-Verordnung und warum brauchen wir sie überhaupt?
Tanja Barbian: Die EU-Öko-Verordnung ist das Grundgesetz der ökologischen Lebensmittelwirtschaft. Seit 1991 legt das Bio-Recht fest, wie Bio-Lebensmittel produziert, kontrolliert, nach Europa importiert und gekennzeichnet werden. Die Öko-Verordnung sorgt für fairen Wettbewerb und schützt die Verbraucher vor Irreführung bei Bio-Produkten. Das Bio-Recht setzt den mit Abstand höchsten Standard der Land- und Lebensmittelwirtschaft.

Seit dem 1. Januar gilt das neue Bio-Recht: Warum wurde die Öko-Verordnung geändert?
Das Bio-Recht wird seit seiner Einführung Anfang der 1990er-Jahre kontinuierlich angepasst und verbessert. Ursprünglicher Anlass für diese grundsätzliche Überprüfung der EU-Öko-Verordnung war die Anpassung der Öko-Verordnung an den Vertrag von Lissabon sowie die Kritik des Europäischen Rechnungshofes an der Umsetzung der Kontrolle in manchen EU-Mitgliedsstaaten. Verstöße, etwa in Italien und Rumänien, zeigten die Schwächen im Kontrollsystem: Vor allem die europaweite Kommunikation und Zusammenarbeit von Behörden und der von ihnen überwachten Kontrollstellen in den betroffenen Mitgliedsstaaten sollten verbessert werden. Effektive Kontrollen forderte die Bio-Branche damals bereits selbst; wir hatten dazu auch schon konkrete Vorschläge erarbeitet.

Könnten Sie eine kurze Einschätzung dazu geben, ob die neue Verordnung geglückt ist?
Die neue Öko-Verordnung bleibt ihren Grundsätzen treu, das ist gut. Denn wo die Regeln bereits gut, bewährt und praxistauglich waren, werden sie auch fortgeschrieben. An allen Stellen, wo die Ernährungswirtschaft in der Breite nachhaltiger werden muss, sorgt das Bio-Recht dafür. Mit der Fortführung des Grundsatzes der Prozessqualität – auch in der Kontrolle. Die Bio-Kontrolle wird auch künftig mindestens einmal jährlich stattfinden, wird aber risikoorientierter gestaltet. Betriebe, die als risikoarm gelten, können in jedem zweiten Jahr aus der Ferne überprüft werden. Betriebe mit erhöhten Risiken müssen weiterhin mit einer höheren Zahl an zusätzlichen und unangekündigten Kontrollen vor Ort rechnen.

Worauf müssen sich die Händler jetzt einstellen?
Die größte Änderung betrifft die Kontrollpflicht, von der die Händler betroffen sind: Zwar sind Läden, die nur mit vorverpackten Bio-Waren handeln wie zum Beispiel Kioske, weiterhin von der Zertifizierung befreit. Für Läden, die auch mit unverpackten Bio-Lebensmitteln handeln, gelten künftig Obergrenzen: Ab jährlich 5.000 Kilogramm oder 20.000 Euro Umsatz mit unverpackten Bio-Lebensmitteln ist der Handel kontrollpflichtig. Auch die Palette dessen, was die Händler als Bio anbieten können, wird größer. Denn das neue Bio-Recht wurde um „landwirtschaftsnahe Produkte“ wie beispielsweise Mate, Bienenwachs oder pflanzliche Zubereitungen wie Heil-Tees erweitert.

Was sind die wichtigsten Änderungen für Lebensmittelunternehmer?
Bei der Öko-Herstellung setzt das Bio-Recht den Rahmen noch stärker auf ökologisch und wenig verarbeitet: Ab sofort gilt ein Nano-Verbot in Bio-Lebensmitteln. Weitreichend ist die Begrenzung konventioneller Aromen auf natürliche Aromaextrakte und natürliche Aromen aus dem namensgebenden Rohstoff. Ein Orangenaroma für Bio-Produkte muss also aus Orangen hergestellt sein. Gänzlich neu sind Vorgaben für Öko-Aromen. Ionenaustauscher und Absorber-Harze dürfen nur noch eingeschränkt verwendet werden: bei Baby- und Kleinkindnahrung und bei der Weinbereitung – auch in diesem Bereich gelten damit erstmals EU-einheitliche Regeln. Kleinere Anpassungen gibt es bei Zusatz- und Hilfsstoffen sowie Weinbehandlungsmitteln, die zum Beispiel bei den Hefen zu einer weiteren Ökologisierung führen. Grundsätzlich wird eingeschränkt, dass ab 2024 nur noch wenige konventionelle Zutaten in Bio-Lebensmitteln verwendet werden dürfen – mengenmäßig sind weiter maximal 5 Prozent in einem Bio-Lebensmittel zugelassen.

Wo liegen in Ihren Augen die größten Herausforderungen in der neuen Öko-Verordnung?
Weiterer Klärung mit den Bundesländern bedarf es etwa, was den Umgang mit Spurennachweisen von nicht zugelassenen Stoffen in Bio-Produkten angeht. Diese können ein Indiz für Betrug sein, weit häufiger aber auf konventionelle Landwirtschaftsbetriebe oder Umweltfaktoren zurückgeführt werden. Beides darf, da Abdrift von konventionellen Betrieben oder Umweltkontaminationen nicht im Einflussbereich der Bio-Betriebe liegen, nicht zur Warensperrung führen. Zieht aber jeder Minimalbefund umfangreiche Untersuchungen nach sich, blockiert das die Warenströme. Neu ist: Betriebe sind sowohl berechtigt als auch verpflichtet, die erste Prüfung durchzuführen – und können entscheiden, ob der Fund tatsächlich einen Verdacht anzeigt. Bei den Tieren machen Regeln zum Weidegang von Wiederkäuern Sorgen. Die bleiben zwar überwiegend gleich, sollen aber bei der Umsetzung verschärft werden, was für „Altbetriebe“, die nicht umrüsten können, kritisch werden kann. Bei einigen tierwohlrelevanten Regeln bleibt die Öko-Verordnung hinter nationalen Vorschriften zurück.

Können Sie bitte zum Schluss ein erstes kurzes Fazit ziehen?
Auch die neue Öko-Verordnung muss vom Gesetzgeber als lebendiges Recht verstanden werden, das an neue Anforderungen und Innovationen angepasst werden kann. Und: Sicherlich muss noch das eine oder andere in dem neuen Rechtsrahmen korrigiert und verbessert werden. Vor allem kommt es jedoch darauf an, dass die Regierenden Öko mehr unterstützen, wenn es um das Zusammenspiel des Bio-Rechts mit dem Fachrecht geht. Für mehr Bio in Deutschland und Europa braucht es fortschrittsfreundliche, verlässliche und praxistaugliche Rahmenbedingungen. Denn das neue Bio-Recht ebnet den Weg zu nachhaltiger Land- und Ernährungswirtschaft. Die strengen Regeln sorgen für ein System, das Umwelt-, Klima- und Tierschutz ganz praktisch auf die Äcker, in die Lebensmittelproduktion und in den Handel bringt. Und das braucht es auf dem geplanten Weg zu 30 Prozent Bio-Anteil in Deutschland bis 2030.

Neues Bio-Recht
Seit 1. Januar 2022 muss die neue EU-Öko-Verordnung angewendet werden. Allein in Deutschland müssen sich über 50.000 Unternehmen sowie Kontrollstellen und Kontrollbehörden auf die neuen gesetzlichen Vorschriften einstellen. In Europa und weltweit sind es Millionen Bauern sowie Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die direkt oder indirekt vom Gesetz-Update betroffen sind. Auch mit dem neuen Recht bleibt Bio der strengste und umfassendste gesetzliche Lebensmittelstandard. Die Kontrolle bleibt in staatlicher Hand und überwacht die gesetzlich geschützte Bio-Kennzeichnung: das sehr gut bekannte Bio-Siegel.