Wettbewerb Faire Partner Wenn der Verbraucher den Preis bestimmt

Faire Lebensmittel, die nicht zulasten von Tier, Mensch und Umwelt gehen – wer will das nicht? Den Preis „Faire Partner“ von top agrar und der Lebensmittel Praxis erhält die Initiative „Du bist hier der Chef“ in der Kategorie „Molkereiprodukte“.

Dienstag, 18. Mai 2021 - Sortimente
Jens Hertling
Artikelbild Wenn der Verbraucher den Preis bestimmt
Bildquelle: Matthias Drzezla

Die Idee ist einfach: Verbraucher stimmen online darüber ab, wie die Lebensmittel produziert und vermarktet werden sollen, die wir tagtäglich konsumieren. Die Initiative „Du bist hier der Chef“ macht’s möglich: Seit Ende des vergangenen Jahres kann der Verbraucher im ausgewählten Handel Bio-Milch kaufen, die genau nach diesen Wünschen hergestellt wurde. Knapp 10.000 Verbraucher haben für die nachhaltigen Produktionskriterien gevotet. Vorgegeben war nur der Mindestpreis: 0,73 Euro. Dann stand alles zur Abstimmung frei. Ein fairer Lohn für die Bauern? Sollten die Kühe frisches Gras und regionales Futter bekommen? Sollen sie für mindestens vier Monate auf die Weide? Bio? Mehr Tierwohl? Am Ende stand der Preis fest: 1,45 Euro für einen Liter Milch.

Das Vorbild ist die französische Initiative „C’est qui le patron?!“, die vor gut vier Jahren in dem Nachbarland an den Start ging. Einen „coup de foudre“ nennen es die Franzosen, wenn es Liebe auf den ersten Blick ist. Und das war es, als Nicolas Barthelmé von der Verbraucherinitiative in seinem Heimatland hörte. 2019 gründete der Betriebswirt im hessischen Eltville deshalb die deutsche Initiative „Du bist hier der Chef“. Im Vergleich zu den Franzosen seien die Deutschen bei Lebensmitteln zwar eher zu Schnäppchenjägern erzogen, räumt der studierte Betriebswirt ein. Doch die Rufe nach mehr Regionalität, Qualität und Transparenz würden auch hier lauter, so Barthelmé zu seinen Motivationsgründen.

58 Cent mehr pro Liter
Nach der Abstimmung suchte Nicolas Barthelmé Bauern, die mitmachen. Und er fand sie. Darunter war auch Sven Lorenz, der 2002 den Hof seiner Schwiegereltern übernommen hat. Ein konventioneller Hof, der Milch produzierte, die schon für etwa 70 Cent pro Liter angeboten wurde. „Davon kann man auf Dauer nicht überleben“, sagt Lorenz. Vor elf Jahren stellte er deshalb auf Bio um. Doch steigende Futterkosten machten ihm zu schaffen. Als Lieferant für „Du bist hier der Chef“ bekommt er jetzt elf Cent mehr als für den normalen Liter Bio-Milch. Entscheidend für Lorenz ist deshalb auch ein Satz auf der Verpackung der Milch: „Die Bauern erhalten pro Liter 58 Cent – mehr als üblich.“ Im Schnitt bekommen konventionelle Bauern derzeit 31 Cent pro Liter, 44 Cent halten sie aber erst für fair. Die Einkaufsmacht der großen Handelsketten, vor allem der Discounter, sei enorm, meint Lorenz. Die einzelnen Landwirte könnten dem wenig entgegensetzen. Bei der Initiative „Du bist hier der Chef“ sei alles anders. „Endlich können wir Landwirte Schulter an Schulter mit dem Verbraucher Produkte kreieren. Und zusammen zeigen, dass höhere Preise möglich sind“, sagt der Landwirt. Auf Handelsseite entschied sich der Vollsortimenter Rewe als erste Handelskette dafür, neue Ansprechpartner – die Konsumenten und Landwirte – am Verhandlungstisch zu akzeptieren und mit der Listung ein Zeichen für Fairness und Wertschätzung zu setzen. „Ich habe wirklich zum ersten Mal erlebt, dass der Verbraucher beim Listungsgespräch mit dem Handel Partei für uns Landwirte ergreift“, sagt Landwirt Lorenz. „Die Situation war für beide Seiten ungewohnt, in der Art und Zusammensetzung hatte es das vorher noch nie gegeben“, erinnert sich Nicolas Barthelmé. Hat Corona ein bisschen dabei geholfen, sich mehr dafür zu interessieren, wo und wie unsere Grundnahrungsmittel hergestellt werden? Das bejaht Barthelmé. Die Zeit sei reif dafür, dass die Verbraucher nicht nur eine Entscheidung darüber treffen können, was sie kaufen und was nicht. In Deutschland ist diese Vorgehensweise neu. Doch aus den neun Gründungsmitgliedern von Mitte Juni 2020 sind inzwischen über 1.000 geworden.

15 Betriebe produzieren die Milch
Die faire Bio-Weidemilch wird aktuell von 15 Betrieben aus Nordhessen produziert und von der Upländer Bauernmolkerei getrennt erfasst und verarbeitet. Seit Sommer 2020 ist sie bei fünf Handelsketten (Rewe, Alnatura, Hit, tegut und Wasgau) regional erhältlich. Eine fettarme Milch und eine H-Milch-Variante sollen folgen. „Die direkte Zusammenarbeit mit Verbrauchern war für uns als Molkerei neu und spannend. Auch mitzuerleben, wie der Schulterschluss zwischen Bauern und Konsumenten die Spielregeln der Zusammenarbeit mit dem Handel verändern konnte“, so Karin Artzt-Steinbrink, Geschäftsführerin der Upländer Bauernmolkerei. „Du bist hier der Chef“-Initiator Nicolas Barthelmé ergänzt: „Wenn wir Produkte aus der Region wünschen, müssen wir weg vom Gedanken, möglichst billig zu produzieren.“ Das nächste Produkt der Initiative werden Eier sein. Weitere Produkte sollen folgen, wie zum Beispiel Kartoffeln oder Mehl, die aktuell von der Community am stärksten nachgefragt werden. „Außerdem wollen wir nach und nach weitere Handelsketten und Partner für uns gewinnen, um unsere Produkte bundesweit verfügbar zu machen. Dafür brauchen wir weiterhin die Unterstützung vom Handel, der über die Listung hinaus vor allem in der Kommunikation gefragt ist“, so Nicolas Barthelmé.

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