Hafer und Kichererbsen statt Kuhmilch und Weizen: Das Angebot gluten- und laktosefreier Lebensmittel und Getränke scheint während der Pandemie mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben. Davon profitieren die Marken. „Der Markt ist 2020 zwischen 25 und 30 Prozent gewachsen“, sagt Stavroula Ekoutsidou, Leiterin Alnavit. Die Frei-von-Marke konnte ihren Umsatz im gleichen Maße steigern – trotz konsolidiertem Sortiment. Enorme Zuwachszahlen habe laktosefreie Milch erfahren, auch die Nachfrage nach glutenfreiem Brot, Mehl, Backmischungen und Zerealien explodierte nach Angaben der Managerin. Negativ hätten sich Produkte für den Unterwegsverzehr entwickelt wie Riegel und Kugeln.
Auch die Dr. Schär AG, Spezialist für glutenfreie Produkte, blickt auf ein erfolgreiches Jahr zurück. „In Deutschland kommt die Marke Schär auf einen Marktanteil von über 30 Prozent. 2020 ist der glutenfreie Markt in der DACH-Region überproportional zum Gesamtmarkt gewachsen und wir haben unseren Marktanteil ausbauen können“, sagt Philipp Schoeller, Dr. Schär AG (lesen Sie auch das Interview ab Seite 56).
Die Pandemie hat die Hersteller auch vor Herausforderungen gestellt. Mit dem enormen Run auf den Lebensmittelhandel im März und April 2020 sei der Druck, die Schär-Kernzielgruppe, Zöliakie-Betroffene, ausreichend versorgen zu können, entsprechend groß gewesen, so Schoeller. „Sie sind auf eine glutenfreie Ernährung angewiesen und haben sich natürlich auch bevorratet. Unsere Produktion und Logistik haben jedoch einen tollen Job gemacht. Out-of-Stocks stellten kein größeres Problem dar“, so Schoeller.
Die Corona-Pandemie hat den Relaunch der Marke Alnavit jedoch deutlich gebremst. „Wir hatten mit der Umstellung der Verpackungen Anfang 2020 begonnen, dann wurden unsere Pläne mit Beginn der Pandemie und ersten Hamsterkäufen erst einmal über Bord geworfen“, so Ekoutsidou. Vor dem Hintergrund der enormen Nachfrage musste schnell nachproduziert werden – im alten Design. Nun gilt es, die letzten Verpackungen abzuverkaufen. Bis Sommer soll die Umstellung abgeschlossen sein. Die Free-from-Regale werden damit um einiges bunter. Das Unternehmen hat mit einer Künstlerin an der neuen Gestaltung gearbeitet. Vor allem jedoch das Profil der Marke wurde mit dem Relaunch geschärft als Anbieter für Frei-von-Lebensmittel in Bio-Qualität – frei von allem Überflüssigen. Noch komme die Umstellung auf der Fläche nicht voll zur Geltung, dennoch zeige sich bereits, dass die Kunden häufiger zugreifen.
Mehr Emotionalität will auch Schär in die Frei-von-Regale bringen. „Essen ist Freude und die damit verbundene Emotionalität möchten wir auch künftig im Packaging deutlich machen“, sagt Schoeller. Künftig werde Schär „weniger medizinisch“ aussehen. Der Verpackungsrelaunch wurde bereits gestartet.
Noch Luft nach oben
Dass vor allem im Segment für glutenfreie Produkte noch Potenzial steckt, zeigt eine repräsentative Umfrage von Splendid Research aus dem Juni 2020. „Unabhängig von den tatsächlich mit Zöliakie diagnostizierten Personen ist weiterhin von einer Zunahme an trendgesteuertem Verzicht auf Gluten auszugehen. Zudem kann die Produktauswahl die aktuelle Nachfrage nach Alternativen nicht stillen“, so das Fazit der Marktforscher. Zentrale Erkenntnisse: 94 Prozent der Personen, die unter Zöliakie oder gesteigerter Sensitivität leiden, haben der Umfrage zufolge bereits ein Ersatzprodukt gekauft. Bei Personen ohne medizinischen Befund liegt die Quote bei 86 Prozent. 57 Prozent der Befragten kritisieren die Preisstruktur der Ersatzprodukte. Weitere 44 Prozent zeigen sich unzufrieden mit der aktuellen Auswahl an glutenfreien Alternativen. Mehr Variationen sind vor allem im Bereich Brot und Brötchen sowie Kuchen und Gebäck gewünscht. „Im Bereich der glutenfreien Artikel vermissen wir eine höhere Vielfalt bei den Snack-Artikeln“, ergänzt Edeka-Kauffrau Stefanie Brehm aus Berlin.
Ein Bereich, den die Marke Schär für sich bereits als Wachstumssegment ausgemacht hat. Im laufenden Jahr sollen „spannende“ neue Snack-Angebote eingeführt werden. Die Aussage der Befragten zur geringen Auswahl kratze ein wenig an der Ehre des Unternehmens, so Schoeller. Gemessen am konventionellen Sortiment sei die Sichtweise nachvollziehbar. Auch werde dem Free-from-Segment nicht in jedem Super- oder Drogeriemarkt viel Platz eingeräumt, gibt er Gründe. Der Manager kündigt an, die Sortimente unter der Marke Schär stärker auf die regionalen Ernährungsgewohnheiten auszurichten. Die Hintergründe der Preisstellung müssten sicher besser kommuniziert werden, meint er. „Das Klebereiweiß zu ersetzen und dennoch wohlschmeckendes Brot zu entwickeln ist eine enorme Herausforderung. Geschmack, Textur, Geruch und Haltbarkeit – all das muss stimmen. Dabei verwenden wir keinerlei Konservierungsmittel“, führt Schoeller aus.
Mehr als „ohne“
Auch in der Auslobung von Zusatzattributen sehen Hersteller Potenzial. So zieren eine Vielzahl an „Verzichtserklärungen“ die Verpackungen der Produkte. Häufig auf der „Minus-Liste“: Palmöl, zugesetzter Zucker, Süßstoff, Produkte tierischen Ursprungs, Geschmacks- und Zusatzstoffe. Aber auch Bonus-Aspekte kommen an. Edeka-Kauffrau Brehm: „Unserer Einschätzung nach achten die Kunden am meisten auf das Attribut Bio. Allgemein ist in den letzten Jahren zusätzlich das Interesse für regional beziehungsweise in Deutschland hergestellte Produkte gestiegen. Dies gilt dementsprechend auch für die Bereiche gluten- und laktosefrei.“
So hat Schär im vergangenen Jahr eine erste Produktlinie in Bio-Qualität auf den Markt gebracht, während die Marke Alnavit ihr Profil als Bio-Anbieter weiter geschärft hat. Alnavit-Produkte sollen ernährungsphysiologisch sinnvolle Rezepturen und besten Geschmack bieten, so wenig verarbeitet sein wie möglich und kurze Zutatenlisten aufweisen, so der Anspruch. Mit der neuen Positionierung soll eine breitere Käuferschaft angesprochen werden. Das Konzept kommt an. Ekoutsidou berichtet von Zuwachsraten von bis zu 40 Prozent.
Regionaler und nachhaltiger wird das glutenfreie Sortiment von Bio-Produzent Bauckhof. „Wir wollen nicht nur leckere, gelingsichere und gesunde Bio-Produkte herstellen, sondern gleichzeitig die Beschaffung nachhaltiger gestalten und möglichst hiesige Rohstoffe beziehen“, erklärt Ralf Hoppe, Vertriebsleiter der Bauck GmbH. Bereits in der neuen, glutenfreien Hafer-Crunchy-Serie hatte das Unternehmen heimischen Rübenzucker eingesetzt. Nun werden die glutenfreien Kuchenbackmischungen Obstkuchenrührteig, schneller Käsekuchen sowie der glutenfreie Grießpudding von Rohrohrzucker auf Rübenzucker aus der Region umgestellt, weitere Produkte folgen in den nächsten Monaten. Rübenzucker sei mit Rohrzucker nahezu identisch, durch den Austausch werden nun lange Transportwege aus tropischen Ländern wie Brasilien, Südafrika oder Kuba vermieden, zudem wird die heimische Öko-Landwirtschaft gestärkt.
Breiter und bunter wird auch das Angebot an Convenience-Produkten. Mit Zuva strebt eine neue, glutenfreie Marke in den Handel, die natürlich, fair und nachhaltig angebaute Lebensmittel aus Sambia, Uganda und Simbabwe bieten will. Hinter der Marke steht das Agrar- und Lebensmittelunternehmen Amatheon Agri, das in diesen Ländern über eigene Agrarflächen und international zertifizierte Verarbeitungs- und Lagerkapazitäten für die Lebensmittelproduktion verfügt. Das Portfolio von Zuva (der Name bedeutet „Sonne“ in der afrikanischen Shona-Sprache) umfasst Mono-Produkte wie Quinoa und Chia aus afrikanischem Anbau sowie je drei Sorten Porridges auf Basis von Teff und Quinoa-Lunchbowls. Die glutenfreien Teff-Frühstücksbowls und Quinoa-Gerichte sind in wenigen Minuten zubereitet. Die Geschmacksrichtungen „Chakalaka“, „Bobotie“ und „Chermoula“ sind inspiriert von afrikanischen Traditionsgerichten. Die Produkte sind vegan, glutenfrei und kommen ohne zusätzliche Aromen, Geschmacksverstärker oder Hefe-Extrakt aus.
Zum Interview mit CEO Philipp Schoeller: Schär:„Wir bieten Normalität“