Health-Claims-Verordnung Vorsicht Gesundheit

Mit nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angaben werden Eigenschaften eines Lebensmittels beworben. Um die Konsumenten vor Irreführung zu bewahren, sind diese in der EU geregelt. Anwältin Stefanie Greifeneder erläutert Vor- und Nachteile der Health-Claims-Verordnung.

Freitag, 29. Januar 2021 - Sortimente
Jens Hertling
Artikelbild Vorsicht Gesundheit
Bildquelle: Getty Images

Aktuell ist durch den Fall von Lemonaid und seiner Limonaden ohne „ausreichend“ Zucker das Thema der Rezepturen und damit zusammenhängend die Produktkennzeichnung wieder in aller Munde. Können Sie den Fall kurz schildern?
Stefanie Greifeneder: Im Kern geht es darum, dass Getränke, die als Limonaden bezeichnet werden, laut den Leitsätzen der Lebensmittelbuchkommission für Erfrischungsgetränke einen Gesamtzuckergehalt von mindestens sieben Gramm Zucker pro 100 ml aufweisen müssen. Die Sorte Maracuja von Lemonaid enthält aber nur 5,6 Gramm. Daher hat das Amt für Verbraucherschutz der Stadt Bonn kürzlich bemängelt, dass derartige Getränke nicht als Limonaden verkauft werden dürften. In Zeiten, in denen die Verringerung der Aufnahme von Zucker in aller Munde ist, erscheinen diese Leitsätze besonders antiquiert. Es ist zu hoffen, dass die Lebensmittelkommission zeitnah darauf reagiert und zeitgemäße Änderungen der Leitsätze vornimmt.

Was müssen Hersteller und Händler bezüglich der Health-Claims-Verordnung (HCVO) wissen?
Die HCVO legt europaweit einheitliche Anforderungen für die Verwendung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben auf Produktverpackungen und in der Werbung fest. Um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, dürfen derartige Angaben nur dann gemacht werden, wenn sie den Anforderungen der HCVO entsprechen. So sind nährwertbezogene Angaben nur zulässig, wenn sie je nach ihrem Aussagegehalt den dafür vorgesehenen Kriterien im verordnungseigenen Anhang entsprechen. Gesundheitsbezogene Angaben dürfen nur getätigt werden, sofern sie von der Europäischen Kommission in einer eigens erstellten Liste zugelassen worden sind.

Die Aufdrucke für besonders eiweißreiche Produkte sind in den Lebensmittelregalen im Handel nicht zu übersehen. Doch wann dürfen Hersteller mit „proteinreich“ werben?
Um die Bezeichnung „hoher Proteingehalt“ oder „proteinreich“ tragen zu dürfen, müssen mindestens 20 Prozent des Gesamtbrennwertes eines Lebensmittels auf den Proteinanteil entfallen. Sollte dieser Wert nicht erreicht werden, kann die Angabe, dass ein Lebensmittel eine „Proteinquelle“ sei, verwendet werden, wenn auf den Proteinanteil mindestens zwölf Prozent des Gesamtbrennwertes eines Lebensmittels entfallen.

Die HCVO spielt aktuell eine immer größere Rolle. Warum ist die HCVO so wichtig?
Die zunehmende Bedeutung der HCVO wird dadurch ausgelöst, dass die Nachfrage der Verbraucher nach „gesunden“ Lebensmitteln ungebremst steigt und die Hersteller dieses Bedürfnis befriedigen möchten. Um den gesunden Charakter eines Lebensmittels herauszustellen, verwenden die Hersteller daher die unterschiedlichsten Gesundheits-Angaben. Die Health-Claims-Verordnung ist dabei ein wichtiges Instrument, die Verbraucher vor irreführenden oder falschen Aussagen zu schützen.

Seit wann gibt es die HCVO und warum wurde sie geschaffen?
Die Health-Claims-Verordnung gilt seit dem 1. Juli 2007, also bereits weit über zehn Jahre. Einerseits ist die Health-Claims-Verordnung eine Verbraucherschutzvorschrift, die gewährleisten soll, dass Gesundheitsversprechen nur dann gemacht werden, wenn sie auch eingehalten werden. Andererseits wurde sie geschaffen, um durch eine europaweit einheitliche Regelung den freien Warenverkehr zu gewährleisten.

Was zeichnet die Regelungen der Claims-Verordnung aus?
Grundsätzlich bleiben bei Beachtung der Health-Claims-Verordnung durch die Hersteller und Händler zahlreiche Möglichkeiten der Kennzeichnung und Werbung von Lebensmitteln mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben. So ist beispielsweise die Verwendung einer unspezifischen gesundheitsbezogenen Angabe möglich, wenn sie im unmittelbaren visuellen Zusammenhang mit behördlich zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben steht. Bei einem unspezifischen Claim, der sich auf die Nerven bezieht, könnte z. B. bei einem Lebensmittel, das Vitamin B6 enthält, der für Vitamin B6 zugelassene Claim „trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems bei“ verwendet werden.

Was sind nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben?
Nährwertbezogene Angaben sind Aussagen oder Darstellungen auf einer Lebensmittelverpackung oder in der Werbung, die vermitteln, dass ein Produkt einen besonderen Nährwert besitzt. Vielfach wird ein hoher Nährstoffgehalt beworben, wie zum Beispiel „reich an Kalzium“ oder „Ballaststoffquelle“. Der Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe ist sehr weit gefasst. Es handelt sich dabei um jede Aussage, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. So fallen beispielsweise allgemein gehaltene Aussagen wie „steigert die Leistung“ oder „für die Nerven“ in diese Kategorie.

Welche Angaben werden denn überhaupt von der HCVO erfasst?
Zu beachten ist, dass durch die weiten Begriffsdefinitionen von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben ein sehr weiter Anwendungsbereich der Health-Claims-Verordnung gegeben ist. Alle auch nur mittelbaren Aussagen zu einer Gesundheitswirkung von Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln sind betroffen. Die Health-Claims-Verordnung gilt dagegen nicht für andere Produktkategorien wie Kosmetika, Arzneimittel oder Medizinprodukte.

Wer überwacht die Einhaltung?
Zunächst sind die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder für die Überwachung der Einhaltung der Health-Claims-Verordnung verantwortlich. Eine sehr hohe Praxisrelevanz haben daneben Abmahnungen von Wettbewerbern, Wettbewerbsverbänden oder Verbraucherschutzverbänden, die einen Verstoß gegen die HCVO über das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geltend machen können. Im Falle einer Abmahnung wegen einer unerlaubten nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angabe muss der Abgemahnte eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgeben, um die Gefahr einer einstweiligen Unterlassungsverfügung abzuwenden.

Was sind die Folgen für Verstöße? Wie teuer kann es werden?
Bei einer berechtigten Abmahnung muss der Abgemahnte die beim Abmahner entstandenen Abmahnkosten ersetzen. Dies bewegt sich bei Wettbewerbsverstößen gegen die HCVO regelmäßig in einem Rahmen von 1.000 bis 3.000 Euro. Wird der Wettbewerbsverstoß im Rahmen eines Gerichtsverfahrens geltend gemacht, summieren sich die Kosten, die dem Abgemahnten zu ersetzen sind, schnell auf mindestens 5.000 Euro. Zusätzlich fallen dann noch die eigenen Anwaltskosten an, sodass man sich insgesamt mindestens in einer Region um 10.000 Euro bewegt.

Können Sie bitte kurz auf aktuelle Fälle eingehen?
Bei einer EuGH-Entscheidung vom 30. Januar 2020 ging es um das Produkt „Doppelherz aktiv Ginkgo + B-Vitamine + Cholin“. Der Hersteller bewarb sein Nahrungsergänzungsmittel auf der Vorderseite damit, dass es gut „für Gehirn, Nerven, Konzentration und Gedächtnis“ sei. Auf welche Zutaten die ausgelobte Wirkung zurückzuführen ist, wurde erst auf der Rückseite erläutert. Auf der Vorderseite wurde lediglich allgemein auf B-Vitamine und Zink verwiesen. Laut EuGH genügt es nicht, wenn auf der Vorderseite der Umverpackung unspezifische Vorteile eines Bestandteils für die Gesundheit ausgelobt werden und die Erläuterungen dazu ausschließlich auf der Rückseite zu finden sind. Vielmehr dürfen allgemeine Gesundheitsvorteile grundsätzlich nur dann auf der Vorderseite der Verpackung eines Nahrungsergänzungsmittels beworben werden, wenn sie im unmittelbaren visuellen Zusammenhang mit behördlich zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben stehen. In Ausnahmefällen genügt aber ein Sternchenhinweis, der den Bezug zwischen den beiden Angaben auf der Vorder- und Rückseite der Verpackung herstellt.

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