Ulrich Rust kann seine Enttäuschung kaum verbergen. Der Technik-Geschäftsführer beim Gerolsteiner Brunnen möchte über Klimaneutralität sprechen. Doch die aktuell heißen Themen sind Migration und schwächelndes Wirtschaftswachstum. Noch mehr ärgert es den Manager, dass in den vergangenen Jahren keine verlässlichen Rahmenbedingungen geschaffen wurden, um klimaneutrale Ambitionen in der Wirtschaft zu fördern. Seit 2020 orientiert sich der größte deutsche Hersteller von Marken-Mineralwasser am 1,5-Grad-Ziel des UN-Klimaschutzabkommens. Größter Knackpunkt: die Logistik. „Alternative Antriebssysteme sollten gefördert und nicht bestraft werden“, fordert Rust.
Der Mineralbrunnen hatte vor einigen Jahren mit seinen Vertragsspediteuren beschlossen, die Lkw-Flotten teilweise auf nachhaltiges, emissionsarmes Bio-LNG (verflüssigtes Biomethan) umzurüsten. Während zum Zeitpunkt der Investitionen die Klimafreundlichkeit durch die Mautbefreiung honoriert wurde, werden diese Logistiker seit der neuen Mauterhebung im Dezember 2023 mit Mehrkosten belastet. Gerolsteiner selbst setzt inzwischen auf HVO 100 (Hydriertes Pflanzenöl) statt Diesel für die eigenen sechs Lkw.
Auch beim Transport von Waren auf der Schiene fühlt man sich in der Vulkaneifel von der Politik allein gelassen. Derzeit liefert Gerolsteiner einen Teil seiner Mineralwasser- und Limonaden-Kisten von Köln per Bahn nach Hamburg, was eine CO₂-Einsparung von 70 Prozent ermöglichen soll. Eine Ausweitung dieses Modells auf weitere Metropolregionen wie Berlin und München werde geprüft. Zur Umsetzung fehle aber eine verlässliche elektrifizierte Infrastruktur der Bahn rund um Gerolstein.
Eifelbahn keine Priorität
„Es ist wirklich schwierig, das emotionslos zu betrachten“, so Rust über den geplanten Ausbau der „Eifelstrecke“. Der Bahnabschnitt führt von der Peripherie der Stadt Trier bis nach Hürth-Kalscheuren und damit vor die Tore der Rheinmetropole Köln. Teile des Schienennetzes wurden beim Hochwasser 2021 erheblich zerstört. Gerolsteiner setzt sich gemeinsam mit einem Bündnis aus 20 weiteren Unternehmen für eine Elektrifizierung sowie einen teilweise zweigleisigen Ausbau ein. Die Eifelstrecke habe strategisch eine gute Lage für Gerolsteiner, sowohl für pendelnde Mitarbeiter als auch für den Güterverkehr. „Unsere Vision ist, die Produkte mit E-Lkw zum Verladeterminal zu transportieren, sie dann auf der Schiene in die Metropolen und unser Kerngebiet zu bringen und anschließend die sogenannte letzte Meile erneut per E-Lkw zu fahren“, so der Technik-Geschäftsführer.
„Es gibt derzeit keine politische Programmatik, die das Land als Lebens- und Wirtschaftsstandort adressiert.“
Der aktuelle Zeitplan der Landesregierung Rheinland-Pfalz sieht eine Fertigstellung bis 2030 vor. Die im Bündnis organisierten Unternehmen setzen auf zweigleisige Abschnitte der Bahnstrecke, damit diese nicht durch den Personenverkehr blockiert würde und dadurch wirtschaftlich nicht mehr attraktiv sei. „Es ist unsere größte Sorge, dass es die Politik versäumt, die zweigleisigen Bypässe gleich mitzubauen. Diese 12 Kilometer sind entscheidend“, betont Rust. Derzeit will die Landesregierung, dass alle Bahnstrecken, die reaktiviert oder ausgebaut werden sollen, zunächst einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden müssen. Erst dann könnten Mittel freigegeben werden. Nach echter Priorität klingt das nicht. Auch bei der Ladeinfrastruktur auf den Straßen sehen die Manager von Gerolsteiner Nachholbedarf. Elektro-Lkw haben laut Rust Nachteile, besonders in der Eifel, wo die Stromnetz-Anbindung nicht optimal sei. Zudem spiele die Nutzlast eine große Rolle. „Elektro-Lkw werden auch in naher Zukunft nur für ausgewählte Strecken Sinn machen“, weiß Gerolsteiner-Logistikchef Marcus Schumacher.
Plädoyer für ländlichen Raum
Damit Unternehmen abseits der großen Metropolen ihre Nachhaltigkeitsziele durchsetzen können, schlägt Rust ein Ministerium für den ländlichen Raum vor. Es gebe derzeit keine politische Programmatik, die das Land als „Lebens- und Wirtschaftsstandort“ adressiere. Dabei würden fast 50 Prozent der deutschen Wirtschaftskraft von hier kommen und rund 50 Prozent der Bevölkerung dort leben. Sein Credo lautet: „Wir glauben an den Standort und sein Potenzial. Eine eigene ministerielle Zuständigkeit würde sicherstellen, dass der Motor der deutschen Wirtschaft zukunftsfähig bleibt.“