Leergut-Chaos Wie Pfandbanden den Handel belasten

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Die Zahl der Pfandsammler steigt. Der Wettbewerb um Flaschen wird härter, denn immer weniger davon landen im Müll. Der Handel ärgert sich über gewerbsmäßig organisierte Gruppen.

Donnerstag, 26. September 2024, 06:00 Uhr
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Wie Pfandbanden den Handel belasten
Bildquelle: Jakob Nawka

Maria greift tief in den Mülleimer, fischt eine Fanta-Dose heraus und steckt sie in einen von zwei mäßig gefüllten Beuteln. „Früher habe ich das nicht gemacht. Man kann sich an Glasscherben oder anderem Zeug böse verletzen“, sagt die Pfandsammlerin aus Koblenz. Mittlerweile muss sie diese Hürde aber überwinden: „Wenn ich Flaschen abgreifen will, muss ich in die Eimer langen.“

Der Wettbewerb sei härter geworden. Es gebe mehr Menschen auf den Straßen, die sammeln. Die Verbraucher würden zudem weniger wegwerfen. „Bei denen sitzt das Geld auch nicht mehr so locker“, vermutet Maria (Name von der Redaktion geändert). Die Frage, ob sie obdachlos sei, wird verärgert verneint. Pfand sammle sie, weil ihre Rente kaum ausreiche. Mehr möchte sie auch nicht sagen. Sie zieht zielstrebig weiter, zum nächsten Mülleimer.

43%

der Pfandsammler haben Abitur oder Fachhochschulreife (Quelle: Yougov).

67%

sind nicht obdachlos und waren es auch nie (Quelle: Yougov).

6%

der Befragten leben ausschließlich von Pfandgeld (Quelle: Yougov).

Maria gehört zu den 1.191.700 aktiven Pfandsammlern in Deutschland. Das zumindest ist die Zahl, die das Meinungsforschungsinstitut Yougov kürzlich veröffentlicht hat. Die Gruppe der Menschen in Deutschland, die Flaschen und Dosen sammeln, ist laut den Ergebnissen in den letzten Jahren signifikant gewachsen (siehe Grafik).

Pfandsammler

Viele der vermeintlichen Klischees über Pfandsammler scheinen außerdem nicht haltbar. Wer beispielsweise meint, Pfandsammeln und Obdachlosigkeit gehörten zusammen, liegt laut Yougov falsch: Die Mehrheit der Befragten (67 Prozent) wohnt in den eigenen vier Wänden und hat auch noch nie auf der Straße gelebt.

Im Gegensatz dazu glauben jedoch 73 Prozent der allgemeinen Bevölkerung, dass einer der Gründe für das Pfandsammeln Obdachlosigkeit sei und die Betroffenen auf dieses Einkommen angewiesen seien. „Diese Gruppe ist immer noch mit vielen Vorurteilen belegt. Mit unserer Initiative ‚Pfand gehört daneben‘ setzen wir uns dafür ein, genau diese Klischees abzubauen“, erklärt Pascal Fromme, Nachhaltigkeitsmanager bei dem Hersteller Fritz-Kola, der auch die Pfandstudie in Auftrag gegeben hat.

"Wir wollen ein schweres Thema positiv
und optimistisch angehen."
Pascal Fromme, Fritz-Kola

Initiiert wurde „Pfand gehört daneben“ ursprünglich 2011 von dem Aktivisten Matthias Seeba-Gomille. Das Ziel: Verbraucher darauf aufmerksam zu machen, Flaschen neben den Abfalleimer zu stellen, damit Sammler nicht unter dem Risiko einer Verletzung im Müll wühlen müssen.

Seit 2015 gehört die eingetra­gene Marke zum Hamburger Cola-Pro­duzen­ten Fritz-Kola, der die Initiative mit über 100 Partnern aus der Branche vorantreibt. Dies geschieht unter anderem mit Logos auf den Flaschen, Aufklebern, Studien und aufmerksamkeitsstarken PR-Aktionen. „In erster Linie geht es darum, ein Bewusstsein für die Lebensrealität dieser Leute zu schaffen“, sagt Fromme. Aber auch ökologisch und ökonomisch mache die Aktion Sinn. Eine Glasflasche könne bis zu 50-mal wiederverwendet werden. Jedes weggeworfene Gebinde sei somit ein herber Verlust. „Wir wollen keinen Müll produzieren.“ Zudem sind Hersteller wie Fritz-Kola, die ausschließlich auf Glasmehrweg setzen, darauf angewiesen, möglichst viele Behälter zurückzubekommen. Die Herstellung neuer Flaschen ist durch gestiegene Produktionskosten teurer geworden.

Die Initiative dehnt sich sogar nach Polen und in die Niederlande aus, unter dem Namen „Every Bottle Helps“. In Amsterdam sei das Phänomen der Pfandsammler durch die von der EU vorgeschriebenen Mehrwegquoten laut Fromme vergleichsweise neu und viele Einwohner reagierten irritiert auf die Sammler. „Gerade hier können unsere Initiative sowie aktuelle Studien helfen, ein besseres Verständnis für Pfandsamm­ler zu erzielen“, sagt Fromme.

Methodische Schwächen der Studie?

Ganz nah dran an der Gruppe der Flaschensammler ist Katharina Alborea von der Diakonie Hessen. Während sie die gute Intention der Fritz-Kola-Studie grundsätzlich nicht infrage stellt, hat sie Zweifel an der methodischen Qualität der Yougov-Umfrage, bei der 520 Sammler online befragt wurden. „Die Ergebnisse, insbe­sondere zum hohen Bildungsgrad, passen nicht zu dem, was wir täglich erleben“, so die Sozialarbeiterin. „Die Menschen, die wir unterstützen, sammeln außerdem nicht gelegentlich, sondern täglich.

Hier geht es um die Existenz, um das Finanzieren von Lebensmitteln und Süchten.“ Alborea stimmt indes zu, dass der Wettbewerb auf der Straße durch mehr Pfandsammler härter geworden sei und die Verbraucher Flaschen und Dosen vermehrt selbst zum Rücknahmeauto­maten brächten. Ebenso beobachtet sie die immer größer werdende Gruppe älterer Menschen, die aufgrund knapper Rente auf diese Einnah­mequelle angewiesen ist. „Bei denen spielt Scham eine große Rolle. Es ist schwierig, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, und sicherlich noch schwieriger, diese Menschen statistisch zu erfassen.“

Statistik: Den typischen Pfandsammler gibt es nicht

Handel ist zur Rücknahme verpflichtet

Händler reagieren auf das Thema häufig frustriert. Schlagzeilen machte der Fall eines Rewe-Marktes im Hamburger Schanzenviertel, wo die Betreiber mit einem Schild Pfandsammler als unerwünscht erklärten. Über Monate hatten organisierte Gruppen beinahe täglich Tausende von Flaschen und Dosen abgeliefert und die Leergutannahme für die Stammkunden blockiert.

Ein Händler erklärt es so: „Die Leergutannahme ist eigentlich ein Service, den wir gerne bieten, der auch Kunden bindet. Wenn gewerbsmäßig organisierte Gruppen aber beinahe täglich unseren Arbeitsablauf stören, wird es zu einem echten Problem.“ Rechtlich sind dem Handel die Hände gebunden. Erst im Juni 2023 hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Rücknahmepflicht der Händler noch einmal bestätigt. Auch die neue EU-Verpackungsverordnung sieht vor, dass Getränkeverpackungen der gleichen Art, Form und Größe, wie sie in einem Markt verkauft werden, zurückgenommen werden müssen.

3 Fragen an

Dirk Goerzen, selbstständiger Edeka-Kaufmann aus Koblenz, hat seine ganz eigenen Erfahrungen mit Pfandsammlern gemacht.

Welche Gruppen von Pfandsammlern gibt es?
Dirk Goerzen: Das sind einmal Stammkunden, die regelmäßig bei uns kaufen und einmal im Monat ihre 100 Flaschen abgeben. Dann gibt es die Party-Ver­an­stalter und Vereine, die ebenfalls eine große Anzahl an Getränken bei uns erwerben und die Gebinde auf einen Schlag zurückbringen. Beide Gruppen sind herzlich willkommen.

Welche Gruppe bereitet Ihnen Probleme?
Das sind jene, die das gewerbsmäßig machen. Dubiose Typen, die mit einem Kleinlaster vor die Leergutannahme fahren und in riesigen Säcken bis zu 3.000 Flaschen und Dosen abladen. Die lassen sich an der Kasse auszahlen und geben keinen Cent im Markt aus.

Wo liegt konkret das Problem?
Wenn ein solcher Laster vorfährt, und das haben wir mittlerweile täglich, können unsere Stammkunden ihre Flaschen nicht loswerden. Es entstehen Warteschlangen. Die Gebinde sind teilweise uralt, dreckig, verschimmelt. Danach kann man die Leergutannahme eigentlich renovieren. Es stinkt gewaltig und die Mitarbeiter kommen mit dem Entleeren nicht nach. Viele in der Belegschaft und auch ich würden solchen Leuten gerne Hausverbot erteilen. Auch könnte ich mir gut eine Obergrenze vorstellen: 100 Gebinde oder ein Pfandwert von maximal 50 Euro am Tag. Nach derzeitiger Gesetzeslage sind wir aber dazu verpflichtet, das Leergut auch in solchen Mengen zurückzunehmen.

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