Interview Fachkräftemangel in der Getränkeindustrie

Die Unternehmensberatung von Jochen Etter ist spezialisiert auf die Getränkeindustrie. Lebensmittel Praxis sprach mit dem Experten über den aktuellen Fachkräftemangel in diesem Industrie-Sektor.

Dienstag, 21. März 2023 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Fachkräftemangel in der Getränkeindustrie

Jochen Etter blickt auf langjährige Management-Erfahrungen zurück, davon mehr als 20 Jahre in der Getränkebranche. Bevor er 2014 Etter & Partner gründete, war er General Manager und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer von Heineken Deutschland.

In welchem Bereich der Getränkebranche ist die Personalsituation besonders prekär? GFGH, Fachhandel, Industrie und/oder Gastronomie? Sehr prekär, auch mit dem Ausblick auf die weitere Entwicklung, ist die Situation aktuell ohne Zweifel in den Bereichen LKW-Fahrer und Service-Personal und das betrifft natürlich am meisten den GFGH/Fachhandel und die Gastronomie.

Welche Arten von Jobs sind besonders schwierig zu besetzen und warum? Neben den beiden bereits genannten Bereichen haben wir aktuell eine ausgesprochen schwierige Situation z.B. bei qualifizierten Positionen im Bereich IT/Digitalisierung. Die Digitalisierung ist in allen Branchen und Bereichen ein Thema, das vorangetrieben werden muss und daher ist der Bedarf insgesamt massiv größer als es Fachkräfte gibt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Getränkebranche in dem Bereich im Vergleich eher etwas hinterher hinkt und der Bedarf hier damit überdurchschnittlich ist.

Was raten Sie Ihren Kunden, um die Situation zu verbessern und haben Sie Best Practice Beispiele (ich denke bspw. an Bitburger, die sich aktuell mit einem Portal für die Gastronomie engagieren)? Unternehmen müssen umdenken. Die Kandidat*innen sind heute nicht mehr die Bewerber* innen, das Blatt hat sich komplett gedreht. Heute müssen sich die Unternehmen bei den Kandidat*innen bewerben und müssen diese Rolle auch akzeptieren und umsetzen. Das fängt beim Employer Branding an und geht über den gesamten Prozess des Recruiting und darüber hinaus. Das Stichwort dabei ist „Wertschätzung der Kandidat*innen“. Hier ist leider noch sehr viel Handlungsbedarf.

„Ohne das böse zu meinen - viele Fachhändler haben auch oder gerade bei ihrem Employer Branding durchaus noch Potenzial.“
Jochen Etter, Etter & Partner

Die Forderungen von Kandidat*innen nach hybriden oder Remote-Arbeitsmodellen nimmt massiv zu und die Umzugsbereitschaft massiv ab. Auch in den oberen Management- Positionen. Und ob einem das gefällt oder nicht, Unternehmen werden sich diesen Modellen zunehmend öffnen müssen und die dafür notwendigen Prozesse und Strukturen schaffen müssen, wenn sie die Top-Kandidat*innen gewinnen wollen. Das Portal Jobmatch finde ich auf jeden Fall eine spannende Idee und ich bin gespannt, ob sie erfolgreich wird.

Man hört immer auch von Tarifstreitigkeiten in der Getränkeindustrie, jüngstes Beispiel Coca-Cola. Sehen Sie eine höhere Bezahlung in Zukunft als unerlässlich an, um genügend Personal zu bekommen? Ganz abseits von Tarifverhandlungen - auch auf dem Arbeitsmarkt gelten die normalen und bekannten Marktmechanismen. Und auch wenn für Kandidat*innen heute statt Geld andere Themen einen höheren Stellenwert haben - wir haben eine höhere Nachfrage nach qualifizierten Kandidat*innen als es am Markt gibt. Damit steigen auch die Preise = Einkommen.

Als Sie noch aktiv in Management-Funktionen in der Getränkebranche tätig waren, war das Personal Problem evtl. noch nicht so akut wie heute, was haben aber Sie gemacht, um gutes Personal zu bekommen? Hier muss ich Ihnen zustimmen, dass damals das Problem wirklich noch nicht so akut war wie heute, dass man es aber wohl zum großen Teil auch versäumt hat, sich ernsthaft damit zu beschäftigen, wie es sich in der Zukunft entwickelt. Und ich muss zugeben, dass ich damals für Unternehmen gearbeitet habe, die für Kandidat*innen wegen ihrem Erfolg oder ihren starken Marken sehr attraktiv waren. Wir haben uns aber dabei nicht nur auf die Kraft unserer Marken verlassen, sondern auch unsere Prozesse entsprechend ausgerichtet. Wir haben damals schon sehr gezielt an unserem Employer Branding gearbeitet, haben Mitarbeiter-Bindungsmaßnahmen und Benefits (nicht nur monetäre) entwickelt und diese auch aktiv kommuniziert und umgesetzt.

Sehen Sie die zunehmende Automatisierung von Prozessen (beispielsweise Flaschensortierung) als Fluch oder Segen in dieser Situation? Aus meiner Sicht werden wir an der zunehmenden Automatisierung von Prozessen gar nicht vorbeikommen. Allerdings wird das auch nicht in allen Bereichen die Situation entschärfen. Wenn wir an qualifizierte und anspruchsvolle Führungspositionen denken, wird das in den nächsten Jahren die Probleme definitiv nicht lösen.

Stichwort Logistik: Der Fahrermangel ist besonders drastisch. Wo sehen Sie hier Lösungsansätze? An der Gesamtsituation und Entwicklung werden die einzelnen Unternehmen hier natürlich nicht viel ändern können. Für ein Unternehmen selbst gibt es aber schon den einen oder anderen Ansatz, diese Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten. Natürlich sprechen wir bei den Positionen nicht von Traumjobs und das werden die auch nicht werden. Aber neben einer vielleicht attraktiveren Vergütung gibt es ja noch andere Benefits und Themen, die einen solchen Job etwas attraktiver als im Durchschnitt machen können. Und ganz offen gesagt und ohne das böse zu meinen - viele GFGH/Fachhändler haben auch oder gerade bei ihrem Employer Branding durchaus noch Potenzial.

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