Getränke Die fetten Jahre sind vorbei

Getränkehersteller stehen bei den aktuellen Kostenexplosionen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Der Verbraucher liebäugelt immer mehr mit dem Preiseinstiegssegment. Sogenannte Premium-Marken drohen dem schmalen Geldbeutel zum Opfer zu fallen.

Freitag, 04. November 2022 - Getränke
Tobias Dünnebacke
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Will man ein Gespür für die aktuelle Verunsicherung der Konsumenten bekommen, reicht ein Blick in den Supermarkt. „Wir räumen gerade so viel Marke wie möglich aus den Regalen und befüllen sie mit Artikeln aus dem Preiseinstiegssegment“, beschreibt ein Edekaner die Situation bei den Lebensmitteleinzelhändlern. Die Marktinhaber kennen ihre Kunden. Sie agieren vorsichtiger beim Einkauf und wollen in Zeiten drastisch hoher Inflation, wo es möglich ist, sparen. Für die wenigsten ist jetzt die Zeit der Luxusartikel, und Vollsortimenter wie Edeka oder Rewe wollen im Preiswettbewerb mit dem Harddiscount nicht den Kürzeren ziehen. „Die Haushalte entwickeln Strategien, um mit den gestiegenen Kosten umzugehen. Dies führt zu einer stärkeren Hinwendung zur Handelsmarke in vielen Warengruppen“, weiß GfK-Experte Alexander Schwarz. Der Discount erlebe zudem eine Renaissance.

Diese Entwicklung macht auch vor der Getränkeabteilung nicht halt. Die Analysten von IRI ermitteln für die Getränke-Handelsmarken (YTD August) einen Mengenzuwachs von verblüffenden 7,3 Prozent, wohingegen Marken nahezu stagnieren.

Ein „Trading-Down-Effekt“, also eine Hinwendung der Verbraucher zum günstigen Private Label, ist laut Schwarz besonders beim Mineralwasser zu beobachten, aber auch, dass der Markenkauf in zahlreichen Kategorien häufiger zum Angebotspreis getätigt wird. Verfestigt sich dieser Trend, wäre das für die Markenmineralbrunnen ein heftiger Rückschlag. Nach der „Geiz ist geil“-Mentalität der Nullerjahre und dem Boom der billigen Discountwässer konnten Hersteller mit innovativen Neuprodukten, chic gestalteten Individual-Glasflaschen oder einem Fokus auf nachhaltigere Produkte durchaus Erfolge bei der Wertschöpfung erzielen – trotz rückläufigem Pro-Kopf-Konsum und Konkurrenz durch Wassersprudler.

Noch will man einen Rückschritt in die düsteren Zeiten der dominierenden Billig-Wässer in der Branche nicht sehen. Die aktuelle Datenlage sei undurchsichtig und nicht eindeutig interpretierbar, sagt ein Insider. Und überhaupt: Es gab ja zuletzt auch positive Nachrichten. Der Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) erklärte das Jahr 2022 bis einschließlich August mit einem Absatzanstieg von 7,5 Prozent bisher zu einem vollen Erfolg. „Die Zahlen, die wir als Verband selbst erheben, umfassen sowohl den Handel als auch die Gastronomie und den Convenience-Bereich. Der starke Sommer, geöffnete Lokale und die Festival-Saison haben sicher einen positiven Effekt für unsere Mitgliedsunternehmen gehabt“, so Maik Hünefeld, Sprecher des VDM.

Auch der bayerische Markenbrunnen Adelholzener sowie Rhönsprudel jubelten zuletzt über starke Zuwächse. Besonders die Bayern könnten, oberflächlich betrachtet, das perfekte Beispiel dafür gelten, dass Markenhersteller auch in Zeiten von gestörten Lieferketten, Preisdruck und Energie-Dilemma krisenresistent sind. Wenn man es nur richtig macht und mit seinen Produkten den Nerv der Zeit trifft. Schließlich ist der ehemalige Regionalbrunnen mittlerweile zur Top-Riege der nationalen Markenwässer aufgestiegen. Stefan Hoechter, Geschäftsführer der Adelholzener Alpenquellen, klingt für die kommenden Monate geradezu euphorisch: „Wir konnten in den ersten neun Monaten um 13 Prozent im Absatz wachsen. Trotz der gegebenen Unsicherheiten durch die aktuelle Weltlage verschafft uns diese Zwischenbilanz eine sehr gute Ausgangssituation für den Herbst und Winter.“

Solche Absatzzahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Dass in Zeiten, in denen die Gastronomie weitgehend von Lockdowns verschont geblieben ist, der Absatz von Mineralwasser und Softdrinks nach oben schnellt, ist eine Selbstverständlichkeit. Und was bei den stark steigenden Kosten ertragsmäßig vom Wachstum übrig bleibt, steht noch in den Sternen. An zu wenig Kreativität, um mit den neuen Belastungen in der Bilanz umzugehen, mangelt es in der Getränkeindustrie indes nicht.

Um beispielsweise weniger von der knapp gewordenen Kohlensäure abhängig zu sein, setzen die Hersteller stärker auf Produkte, bei denen gar kein oder weniger CO2 benötigt wird. Von weitreichenden Produktionsausfällen oder gar einer drohenden Insolvenzwelle kann der VDM nicht berichten. „Die Mineralbrunnen sind in großer Sorge, aber die Angst vor einer Pleitewelle kann ich für unsere Branche bis jetzt nicht bestätigen“, so Hünefeld. Sollte allerdings die Situation länger anhalten, könne das auch in der Brunnenbranche Existenzen gefährden.

Marke mit Aktionspreisen attraktiv halten
Nielsen-Getränkeexpertin Petra Ossendorf interessiert vor allem, wie sich in Zeiten von gestiegenen Produktionskosten und knappen Geldbeuteln der Wettbewerb zwischen Marke und Handelsmarke entwickelt. Wohin die Reise gehe, würden die kommenden Wochen und Monate zeigen. „Es ist auffällig, dass vor allem die Hersteller höherpreisiger Marken auf die aktuelle Situation mit verstärkter Promotion reagieren, um preissensible Kunden abzuholen. Wir beobachten das zum Beispiel bei den Energydrinks“, so die Analystin. Entscheidend sei, wie groß die Preisabstände zwischen Handelsmarke und Marke gegen Ende des Jahres sein werden. Und das wiederum hängt von der Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise ab. Sollte die Kluft zwischen dem Preiseinstieg und der Premium-Cola zu groß werden, könnten die Hersteller selbst den treuesten Markenfan verlieren. „Es sieht derzeit nicht rosig aus, und man ist geneigt, zu sagen, dass die fetten Jahre vorbei sind“, erklärt Ossendorf. Laut Schwarz gibt es aber Unterschiede in den Segmenten. So seien Genuss- oder Belohnungskategorien wie Cola oder auch Bittergetränke nicht so stark von einem Run auf das Preiseinstiegssegment betroffen. „Die Verbraucher gehen hier eher selektiver vor und reduzieren die Menge pro Einkauf, aber im Prinzip bleibt man eher seiner präferierten Marke treu.“

Chancen sehen die Experten bei Nielsen für mittelständische, regionale Hersteller. Deren Preisposition liege in der Regel zwischen der Handelsmarke und den Produkten der Großkonzerne, so Ossendorf. „Da Themen wie Qualität, Nachhaltigkeit und Regionalität noch immer bei einem Teil der Verbraucher ziehen, sind die mittelgroßen Betriebe hier aktuell im Vorteil.“ Doch diese Aspekte könnten schnell in den Hintergrund rücken, sollte die Inflation auf hohem Niveau bleiben. Eine ähnliche Gefahr sieht Alexander Schwarz von der GfK: „Die Getränkehersteller haben in den letzten Jahren stark auf das Trendthema Nachhaltigkeit gesetzt. CO2-Neutralität und höhere Anteile von recyceltem PET sind hier zwei Beispiele. Wachstum kam vor allem durch neue Glasgebinde. Die Frage wird nur sein: Wie können die Unternehmen diese Lieferfähigkeit sicherstellen und dem Verbraucherwunsch gerecht werden?“

Situation der Eigenmarke ist paradox
Die Lage der Getränkehersteller, die vornehmlich günstige Produkte für den Handel produzieren, ist in der aktuellen Wirtschaftslage geradezu paradox. Auf der einen Seite sind die Produktionsprozesse von Hansa-Heemann, Schäff und anderen noch enger auf Kante genäht als jene bei einem nationalen Markenbrunnen. Aus diesem Grund, so berichtet Nielsen-Expertin Ossendorf, seien auch bei den Private Labels als Erstes die Preise in der aktuellen Energiekrise angehoben worden. Auf der anderen Seite könnten aber gerade diese Produkte in Zeiten von hoher Inflation und sündhaft teurer Energie einen regelrechten Boom am Regal im Super- oder Getränkeabholmarkt erfahren. Damit wäre zumindest Auslastung gewährleistet. Kein unwichtiges Thema in einem Markt, der zuletzt rückläufig war.

Wie volatil das Eigenmarkengeschäft in der Getränkewirtschaft ist, zeigte sich bereits vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. So sorgte die Meldung des Verkaufs des bis dahin familiengeführten Mineralbrunnens Hansa-Heemann an die niederländische Refresco Group für Aufsehen. Der norddeutsche Brunnen mit Stammsitz in Rellingen bei Hamburg ist absatzmäßig die Nummer zwei in Deutschland und neben einem überschaubaren Markengeschäft (Fürst Bismarck, Hella) vor allem für die Belieferung von Aldi zuständig. Auch wenn die Gründe für den Verkauf von der Hamburger Unternehmerfamilie Lange nicht öffentlich kommuniziert werden, kann man davon ausgehen, dass das Eigenmarkengeschäft bei Mineralwasser und alkoholfreien Getränken zuletzt wenig Spaß gemacht hat.

Ähnlich dürfte es auch Michael Schäff gehen, dessen gleichnamiges Brunnen-Konglomerat (unter anderem Altmühltaler) zuletzt das Eigenmarken-Kontingent bei der Edeka verloren hat. In einem auf Effizienz getrimmten Betrieb schlägt jede Kostenerhöhung maximal durch und einer Branche, die Jahre an Überkapazitäten litt, kann der Handel nahezu alle Konditionen abverlangen.

Erkundigt man sich bei Refresco, seit Februar 2022 neuer Eigentümer von Hansa-Heemann, über den akuten Kostendruck, klingt das so: „Mit unseren Kunden stehen wir dazu in ständigem Austausch, um eine gemeinsame Lösung zu finden, den anhaltenden Kostenbelastungen zu begegnen. Da die Kostensteigerungen primär im variablen Produktionskostenbereich anfallen, kann die derzeitige Mengenentwicklung den Kostensteigerungen nicht gänzlich entgegenwirken“, heißt es dazu in einer Stellungnahme des Unternehmens gegenüber der Lebensmittel Praxis.

Sicher scheint: Ob die Getränke-Handelsmarke nach Jahren des rückläufigen Absatzes wirklich noch einmal einen zweiten Frühling erleben wird, hängt von der Inflation in den kommenden Monaten ab. Nielsen-Expertin Petra Ossendorf sieht die Talsohle in der aktuellen Preiskrise allerdings noch lange nicht erreicht. „Die aktuelle Prognose des Bundeswirtschaftsministeriums, dass wir im kommenden Jahr bei 7 Prozent Preissteigerung landen, halte ich gegenwärtig für viel zu optimistisch“, sagt die Analystin zu den Aussichten.

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