Biermarkt Zeitenwende für Brauer

Radeberger wagt sich als erster Großbrauer aus der Deckung und macht, was bei rückläufigem Konsum und explodierenden Kosten unvermeidlich scheint: Standorte schließen. Es dürfte erst der Anfang einer Schrumpfung der deutschen Brauindustrie sein.

Freitag, 21. Oktober 2022, 19:32 Uhr
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Zeitenwende für Brauer
Bildquelle: Lebensmittel Praxis

Als die Meldung von der Schließung der Binding-Brauerei über den Ticker lief, konnte man kaum von der sprichwörtlich geplatzten Bombe sprechen. Marktbeobachter erwarten schon längst, dass sich die deutsche Brauwirtschaft auf die Realitäten einstellen und Produktionskapazitäten abbauen muss.

Jahrzehnte des rückläufigen Konsums, Corona-Pandemie und geschlossene Gaststätten und jetzt auch noch ein Krieg in Europa mit allen negativen Folgen für Lieferketten und Energiepreise ließen den Verantwortlichen letztlich keine Wahl: „Wir haben lange gerungen, die Frankfurter Binding-Brauerei als einen für uns alle emotional besonderen Standort zu erhalten“, erklärte Radeberger-Chef Guido Mockel zur Aufgabe der Braustätte in direkter Nachbarschaft zur Unternehmenszentrale in Sachsenhausen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Krisen und nicht zuletzt der dramatischen Kostenexplosionen, die man als Branche schultern müsse, sei der Betrieb für die Unternehmensgruppe nun nicht mehr länger darstellbar. Für rund 150 Mitarbeiter wird eine „sozialverträgliche Lösung gesucht“. Marken wie Binding, Henninger oder Schöfferhofer sollen von der Schließung nicht betroffen sein und an anderen Standorten weiter gebraut werden.

Dass Binding die letzte Traditionsbrauerei in Deutschland ist, die die Segel streichen muss, ist unrealistisch. Es könnte der Anfang einer größeren Schließungs- und Insolvenzwelle sein, denn wenn schon Deutschlands größte Braugruppe vor den Kostensteigerungen einknickt, wie soll es erst kleinen und mittelgroßen Betrieben gehen, die weniger Spielraum für Kosteneffizienz haben? „Es ist kein Geheimnis, dass viele Braustätten in Zeiten mit einem deutlich höheren Pro-Kopf-Konsum gebaut wurden. Sie sind heutzutage schlicht nicht ausgelastet. Was Radeberger jetzt vollzogen hat, wird aller Voraussicht nach in vielen großen Brau-Gruppen derzeit als Szenario für die eigenen Betriebe durchgespielt“, weiß Marcus Strobl, Getränkeexperte bei Nielsen.

Zu lange im Krisenmodus
Dabei ist die aktuelle Energiekrise, welche die Brauwirtschaft durch den hohen energetischen Aufwand beim Erhitzen der Sudkessel besonders empfindlich trifft, nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hat. Die Brauer stecken schon viele Jahre in der Krise. Angestaubtes Image, kaum individuelles Profil der großen Marken, eine desaströse Preisstellung im Handel und die Konkurrenz durch andere Getränkekategorien sind nur einige Gründe, warum die goldene Ära des deutsches Bieres vorbei scheint.

Nicht unschuldig daran ist auch der Handel, der Bier seit Jahrzehnten in seinen wöchentlichen Aktionen als Lockvogelartikel unter dem eigentlich üblichen Regalpreisniveau verramscht. Weit über 70 Prozent der deutschen „Fernsehbiere“, also in der Regel Pilsmarken, die mit großem Aufwand beworben werden, gehen für niedrige Preise oft nah an der 10-Euro-Grenze für die Kiste über die Ladentheke.

Die Versuche der Brauer, mit Preiserhöhungen ab Rampe ihrem Bier endlich wieder eine höhere Preisstellung und damit Wertschätzung zu geben, verpufften in der Vergangenheit immer wieder. Das wird sich auch in Zukunft kaum ändern. Die angekündigten Preiserhöhungen von Konzernen wie Heineken und Radeberger reichen nach Aussage der Hersteller nicht aus, die aktuellen Kosten zu kompensieren. „Es werden noch ein paar Brauer aus der Deckung kommen und mehr für ihr Bier verlangen, aber die Aktionspreise steigen eher selten und die Schere zwischen Promotion und Regalpreis vergrößert sich weiterhin. Das ist sehr ungesund“, weiß Biermarkt-Experte Strobl. Gemessen an anderen europäischen Märkten sei Bier deutlich zu günstig. Auch Michel Pepa, Chef der Deutschland-Division von AB Inbev, erklärte unlängst: „Die Deutschen müssen sich an höhere Lebensmittelpreise gewöhnen.“

Etwas anders sieht man das aber in der Hamburger Zentrale eines großen Lebensmittel-Einzelhändlers. Edeka-Chef Markus Mosa macht in der aktuellen Debatte über explodierende Kosten und nötige Preisanpassungen gegenüber dem Handel keinen Hehl daraus, aus seiner Sicht überzogenen Forderungen von der Industrie einen Riegel vorzuschieben. Auch vor dem Hintergrund der stark belasteten Privathaushalte. Wie ernst das in Hamburg genommen wird, zeigt der aktuelle Streit mit Coca-Cola.

Untergangsszenarien möchte zumindest Strobl trotzdem nicht an die Wand malen: „Die kleinen Brauer haben in der Regel weniger finanziellen Spielraum und hängen mehr am Tropf eines guten Gastronomie-Geschäftes. Auf der anderen Seite gibt es einen klaren Trend zu authentischen, regionalen Bieren, der diesen Betrieben helfen könnte. Vor allem kleine Brauereien aus Süddeutschland konnten mit dem aktuellen Trend zu Hell-Bieren bemerkenswert wachsen“, sagt Strobl.

Wenig Impulse seien von Craft-Bieren zu erwarten. Bier-Stile wie India Pale Ale oder Stout, die den Brauern in Deutschland Hoffnung auf mehr Wachstum gemacht hatten, entwickeln sich zu Ladenhütern. „Interessanterweise sehen wir gerade bei den großen internationalen Biermarken Wachstum, also bei Bieren wie Heineken oder Corona. Die haben weder mit Craft-Bier noch mit Regionalität etwas zu tun, scheinen aber vor allem für Jüngere eine Alternative zum deutschen Pils-Mainstream zu sein“, sagt Strobl.

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