Getränkelogistik Grabenkämpfe

Es rumort in der deutschen Getränkelogistik. War das Corona-Jahr 2020 noch von Solidarität bestimmt, brechen jetzt alte Grabenkämpfe wieder auf. Erste Stimmen warnen: Das System sei so nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Streitthemen: Leergut-Sortierung, Fahrermangel und die unwirtschaftliche Einkaufswut der Händler.

Sonntag, 03. Oktober 2021 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Grabenkämpfe
Bildquelle: Getty Images

„Wir werden zwischen Handel und Industrie zerquetscht.“ Mit diesen drastischen Worten beschreibt Dieter Hamel gegenüber der Lebensmittel Praxis die Situation der Getränkelogistiker in Deutschland. Hamel ist Geschäftsführer der Winkels-Gruppe, einem der wichtigsten Großhändler für Getränke im süddeutschen Raum. Der Manager sorgte unlängst mit einem Rundschreiben an seine Kunden für Aufsehen. Hauptkritikpunkt: Der Handel bestelle zu viele schlecht laufende Produkte, um beim Kunden mit einer bunten Sortimentsvielfalt zu punkten. Der logistische Aufwand dieser Gebinde- und Produktflut stehe aber in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag. 50 Prozent der Artikel im Getränkegroßhandel repräsentieren nicht einmal 1 Prozent Absatz. Mit enormen Folgen für die Logistik: Lange Standzeiten an den Rampen, ein kaum noch zu leistender Sortieraufwand sowie chaotische Bestellrhythmen sind nur ein Auszug aus der langen Liste der beschriebenen Probleme.

„Hamel hat im Grundsatz recht mit seinem Appell“, gibt Andreas Vogel zu. Der Fachmann für Getränkelogistik ist Chef beim Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels. Dessen Mitglieder betreiben nicht selten sowohl Groß- als auch Einzelhandel und fahren damit ein hybrides Modell. „Wir kennen die Probleme, da wir den vor- und nachgelagerten Aufwand beim Verkauf von Getränken häufig selbst leisten müssen. Natürlich haben auch wir als Fachhändler Interesse daran, vor allem jüngeren Konsumenten ein spannendes und breites Angebot zu machen, aber es gilt der alte Satz: Die Regale des Handels sind nicht aus Gummi. In der jetzigen Situation macht das Prinzip ‚One in, one out‘ Sinn. Für jedes gelistete Produkt muss eins das Sortiment verlassen“, so Vogel, der selbst einmal bei der Dortmunder Actien-Brauerei gearbeitet hat und die Belange der Industrie kennt.

Wenn man mit Spediteuren spricht, wird häufig der Lebensmittel-Einzelhandel für das Chaos zwischen Industrie, Logistik und Handel als der Buhmann ausgemacht. Zu groß sei die Lust am möglichst breiten Sortiment mit vermeintlichen Trend-Getränken wie Craft Beer oder Hard Seltzer, die sich aber in der Realität nicht gut genug verkaufen. Ein selbstständiger Edekaner, der nicht namentlich genannt werden will, macht aber vor allem die großen Getränke-Konzerne für die aus den Fugen geratende Logistik verantwortlich: „Es gibt mittlerweile viel zu viel von allem und immer das Gleiche. Wir platzen aus allen Nähten und das Bild im Regal wird zerstört. Muss es 20 Sorten Hohes C geben und das noch in fünf Gebindegrößen?“, so die rhetorische Frage des Händlers, der auch die Namen Coca-Cola und Gerolsteiner in seine Kritik miteinbezieht.

Der Job in der Getränkelogistik hat kein hohes Ansehen
Vor allem der Außendienst mächtiger Markenhersteller würde seine Macht nutzen, um immer mehr Einzelgebinde in die Listung zu drücken. Dadurch werde der Platz für regionale Unternehmen blockiert. Zudem bekomme man durch Langsamdreher Probleme mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Von Schwierigkeiten wie einem nicht optimal sortierten Regal kann Dieter Hamel nur träumen. Für ihn und seine Branche geht es um nicht weniger als die Existenz. Wichtige Investitionen wie beispielsweise die Anschaffung neuer Sortieranlagen oder der Kauf von zusätzlichem Lagerraum könnten bei der aktuellen Ertragssituation nicht angegangen werden.

Und hier fangen die Probleme erst an. Besonders drastisch ist der Personalmangel. Um die immer größer werdende Flut an Flaschen zu sortieren, braucht es Arbeitnehmer, die diesen körperlich anstrengenden Job machen wollen. Für Winkels (155 Lkw, 400 Millionen Euro Umsatz) arbeiten laut Hamel rund 200 Sortierer an den eigenen Standorten in Baden-Württemberg, hauptsächlich Kräfte aus Osteuropa. Ähnlich wie in der Fleischbranche werden diese über Subunternehmer angeheuert. Durch einen wirtschaftlichen Aufschwung in den Herkunftsländern sinkt aber der Druck der Arbeitsmigration. Hinzu kommt: Die Vergütung der Hersteller für die Sortierung ist national einheitlich geregelt. „Das Modell hat mit der Realität in bestimmten Regionen nichts zu tun. Die Mieten beispielsweise sind in Görlitz nicht die gleichen wie in Stuttgart“, so Hamel.

Noch schwieriger wird es beim Thema Fahrermangel. Bis zu 60.000 Berufskraftfahrer fehlen den deutschen Logistik-Unternehmen derzeit laut Branchenverbänden. Tendenz: eher steigend. Die wenigen Fahrer, die es noch gibt, gehen in jene Wirtschaftszweige, die besser bezahlen. Der Getränkesektor gehört eindeutig nicht dazu. „Die Situation hat sich, ähnlich wie in der Gastronomie, während der Corona-Pandemie verschärft. Die Arbeit in der Getränkelogistik, egal ob als Fahrer oder Leergutsortierer, ist ein vergleichsweise harter Job. Die Leute haben festgestellt, dass sie woanders mehr Geld mit weniger anstrengender Arbeit verdienen können“, so Vogel. Dem Problem ist laut Hamel nur durch höhere Löhne zu begegnen. „Die Schmerzen müssen wohl noch größer werden, aber letztlich müssen wir bessere Löhne zahlen und diese auch an unsere Kunden weitergeben“, so der Chef der Winkels-Gruppe. Bisher sei es den Einkäufern im Handel vor allem um den besten Preis gegangen. „Die letzten Jahre und insbesondere noch durch Corona ist die Warenverfügbarkeit wieder in den Fokus gerückt und die Bereitschaft, dafür zu investieren“, so die Hoffnung des Spediteurs. Aber auch abseits der Gehaltsfrage gibt es Lösungsansätze, die den Fahrermangel entschärfen könnten. Der Bundesverband des Getränkefachgroßhandels fordert in einem aktuellen Positionspapier die Politik auf, unter anderem das zulässige Gesamtgewicht von Lkw von bisher 40 auf 44 Tonnen anzuheben. Dies hätte nicht nur ökologische Vorteile in Bezug auf Treibhausgasemissionen. „Durch die niedrigere Zahl an Transporten wird der deutlich spürbare, demografisch bedingte Mangel an Lkw-Fahrern abgemildert“, heißt es. Außerdem würde das deutsche Verkehrsnetz durch weniger Stau entlastet.

Jeder Akteur muss für sich an Lösungen arbeiten
Doch alle Akteure sind sich einig: Wenn wieder Entspannung in die Getränkelogistik kommen soll, muss jeder seinen Beitrag leisten. Hamel formuliert seine Wunschliste an den Handel recht deutlich: Neben „Sortimentsanpassungen“ (Auslistung nicht gut laufender Artikel) zählt der Verzicht auf zu kleine Bestellmengen, eine ganztägige Warenannahme sowie die Planung von Neulistungen nach der besonders angespannten Sommersaison dazu. Vogel vom Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels appelliert an die Brauereien und Mineralbrunnen: „Sie müssen das Problem der langen Ladezeiten in den Griff bekommen, mehr in Leergut investieren und die Produktkomplexität reduzieren.“ Dem großen Hype um die Individualflasche kann der Getränke-Manager nichts abgewinnen. „Wenn überhaupt, sind die Umsatzzuwächse sehr kurzfristig. Auf der anderen Seite führen Individualflaschen aber zu einer ungeheure Komplexität in der Supply-Chain. Das ist einfach Wahnsinn. Wir müssen wieder stärker in Richtung Pool-Gebinde“, erklärt Vogel mit Blick auf die Brancheninitiative Gesellschaft für Mehrweg-Management, bei der eine Poollösung für die 0,33-Liter-Flasche forciert werden soll. Der Händler Kaufland unterstützt solche Bestrebungen: Die Individualisierung des Mehrwegs, die Bereitstellung von Leerträgern sowie die Optimierung der Logistik spielten eine tägliche Rolle. „Wir wollen eine große Auswahl an Getränken in Mehrwegflaschen anbieten“, heißt es gegenüber der Lebensmittel Praxis. „Wir könnten uns daher die Einführung einer Poolflasche und ein einheitliches Mehrweg-Leergut im Bierbereich vorstellen.“

Die Winkels-Welt in Zahlen und Fakten

Die Unternehmensgruppe Winkels beschäftigt 892 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz von rund 400,3 Millionen Euro pro Jahr (Geschäftsjahr 2020, ohne Beteiligungen).
Mit einem Fuhrpark von 155 Lkw, die jährlich rund 9 Millionen Kilometer Strecke zurücklegen, ist Winkels das führende Getränkelogistik-Unternehmen im südwestdeutschen Raum.
An vier Produktionsstandorten werden mit insgesamt sieben Abfüllanlagen pro Jahr rund 359,3 Millionen Flaschenfüllungen erreicht. Winkels zählt damit zu den 20 größten Mineralwasserherstellern in Deutschland.
Insgesamt beträgt der Absatz der Winkels-Gruppe 72,7 Millionen Kisten pro Jahr (Eigen- und Handelsmarken). Das Gesamtsortiment an Handels- und Eigenmarken umfasst mehr als 5.875 Artikel.
Eigenmarken Alwa, Aqua Vitale, Griesbacher, Fontanis, Rietenauer, Aspacher Kloster Quelle, Markgrafen, Frische Brise und Prinzenperle werden je nach Produkt in Glas-Mehrweg, PET-Mehrweg oder PET- Einweg abgefüllt. Als einer der größten Mineralbrunnen in Baden-Württemberg stellt Alwa Mineralbrunnen mit drei Abfüllanlagen über 100 Produkte her.

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