Fleisch, Wurst & Geflügel Alle in einem Boot

Wie verkauft sich das Thema Tierwohl? Brauchen wir wirklich neue Siegel? Beim dritten Treffen des Arbeitskreises „Bauern treffen Händler – Händler treffen Bauern“ tauschten sich Landwirte und Händler aus. Gastgeber war diesmal der Händler Gebauer in Filderstadt. Ins Leben gerufen haben den Arbeitskreis die Redaktionen der Lebensmittel Praxis und von Top Agrar.

Mittwoch, 26. August 2020 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Alle in einem Boot
Bildquelle: Carsten Hoppen

„Diskussionen zwischen Lebensmittelhändlern und Landwirten sind selten. Trotz vieler Gemeinsamkeiten fehlt vielfach das Verständnis füreinander. Nur im Gespräch miteinander lässt sich das auflösen“, sagte Reiner Mihr, Chefredakteur der Lebensmittelpraxis bei der Eröffnung des Arbeitskreises. Die wichtigsten Punkte der Diskussion haben wir herausgestellt und mit Zitaten der Anwesenden angereichert:

1. Der Ausgangspunkt der Diskussionsrunde: Das Porcinusa-Schwein – eine schwäbische Erfolgsgeschichte.
Unter der für Gebauer eingetragenen Exklusivmarke wird ein Projekt zur Vermarktung des Deutschen Sattelschweins, einer alten, fast ausgestorbenen Nutztierrasse, vorangetrieben. Alle Tiere stammen vom Schirmerhof von Züchter Guido Renz und werden nach Tierwohlrichtlinien aufgezogen. Der Schirmerhof ist ein traditioneller Familienbetrieb, der mittlerweile in der dritten Generation geführt wird. Seit vier Jahren werden die männlichen Ferkel nur noch betäubt kastriert. Und seit fünf Jahren wird kein einziger Ringelschwanz mehr kupiert. Das Platzangebot für die Schweine liegt über den gesetzlichen Vorgaben der Schweinehaltungsverordnung. Familie Renz transportiert die Tiere mit dem eigenen Pkw-Anhänger zum Metzgerschlachthof Göppingen, damit die Tiere wenig Stress ausgesetzt sind. Vom Schlachthof holt dann die Firma Kurz die Schweinehälften zur Weiterverarbeitung in Schorndorf, ab. Die Verteilung der Fleisch- und Wurstwaren erfolgt im Anschluss an die fünf Edeka Märkte von Gebauer. Zurzeit werden die Tiere aber noch konventionell gehalten. Guido Renz möchte noch mehr in Tierwohl investieren. In der Nähe zum Hof baut die Familie deshalb drei Pigport-Ställe. Die Ställe sind in drei Klimabereiche eingeteilt: Innen die Ruhekisten mit Deckel, in der Mitte der Aktivitäts- bzw. Fressbereich mit Breiautomaten und außen der planbefestigte sowie zu 85 Prozent überdachte Außenauslauf.

Guido Renz (Porcinusa-Züchter vom Schirmerhof Deppenhausen): „Wir wollten unsere Schweine nicht einfach nur am Schlachthof abliefern. Stattdessen möchten wir sie zu einem vernünftigen Preis selbst vermarkten.“

Rolf Drohmann (Metzgermeister und Mitglied der Geschäftsleitung Gebauer’s): „Wir haben großes Interesse an regionalen Produkten. Unsere Kunden schätzen die regionale Herkunft. Es ist ein Gesamtkonzept, und es geht nicht ohne starke Partner wie die regionalen Bauern. “

2. Die Bedientheke: Im Kernpunkt geht es darum, dass der Käufer wahrnimmt - hier werden Produkte mit Liebe angeboten.
Rolf Drohmann: „Die Theke muss den Kunden die Botschaft vermitteln, dass es hier nicht nur um Sattmachen geht, sondern um besondere Dinge. Dazu benötigt der Kunde optische Anker. Denn er soll erkennen, das bekomme ich eben nicht beim Discounter, hier werde ich beraten und genieße einen Erlebniseinkauf.“

Thomas Richter (Rewe XL Hundertmark): „Es bringt nichts, wenn nur das Unternehmen die Geschichte kennt und lebt, das Personal muss sie auch vermarkten. Der Kunde bekommt heute so viele Botschaften, die er aufnehmen muss. Deswegen ist es wichtig, dass wir die richtigen Botschaften spielen.“

3. „Tierwohl in der Schweinezucht- und Mast“: Das Thema rückt mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Thomas Richter: „Wir haben in vier Märkten von Rewe Hundertmark Qualitätsschweine getestet. Das war ein regionaler Hersteller, der nur für uns produziert hat. Die Preise waren 25 bis 30 Prozent teurer. Das hat uns aber nicht den erwarteten Erfolg gebracht, weil uns der Wettbewerber mit den Preisen in der Werbung ‚abgeschossen‘ hat. Wir haben uns entschieden, dass wir das jetzt in allen Märkten als Zweitmarke einsetzen.“

Guido Renz: „Als Verbraucher sehe ich so ein Qualitätsschwein gern auf der grünen Wiese. Er möchte es aber für einen Sonderpreis für 1,99 Euro kaufen können – so etwas funktioniert nicht.“

Sebastian Aupperle (Rewe Aupperle): Tierwohl ist ein ganz großes Thema, es muss bezahlt werden. Woher soll die Grundversorgung für das Fleisch überhaupt herkommen? Wir sollten das nicht in das Ausland abgeben. In Deutschland haben wir alles vor Ort und können es nachprüfen.“

Peter Georg Witt (Dithmarscher Landferkel KG): „Die Refinanzierung von Tierwohl-Maßnahmen im Stall ist ein Engpass. Das Geld muss aus dem Markt kommen, nicht aus Subventionen. Es geht nur, wenn die Händler mit uns einen gemeinsamen Weg finden wollen.“

Thomas Kurz (Zerleger und Verarbeiter, Schorndorf): „Früher hatten wir oft das Thema Qualitätsfleisch - nach Tierwohl hat keiner gefragt. Zum Glück hat sich das jetzt geändert. Das Tier hat seinen Preis - das muss auch an der Ladenkasse berücksichtigen werden.“

Christoph Selhorst (Hof Selhorst): „Wenn Landwirte aufgeben und Fleisch aus Ländern mit geringeren Standards importiert wird, haben wir für das Tierwohl wenig erreicht.“

4. Ist Preiseinstieg der richtige Weg?
Rolf Drohmann: „Im Geflügelbereich funktioniert der Preiseinstieg nicht, bei Rind- und Schweinefleisch klappt das im Verhältnis zum Premium etwa zur Hälfte.“

Thomas Kurz: „Als ein Mittelstandsunternehmer in der Region kann ich mit dem Preiseinstieg nicht arbeiten. Es gibt in der Region auch Großschlachtbetriebe, die brauchen mit Sicherheit einen Preiseinstieg und andere Landwirte.“

5. Kehrtwende durch neue Landwirte?
Rolf Drohmann: „Wir haben jetzt eine neue Generation von Landwirten, die sind gut ausgebildet und motiviert. Die Landwirtschaft hat sich um 180 Grad positiv gedreht. Ich rede heute mit jungen Landwirten, die mir sagen, ich habe ein tolles Produkt – aber ich brauche dafür den Betrag X. Noch nie war die Chance so groß, so vernünftig und gemeinsam den Weg zu gehen.“

6. Wie wichtig ist die direkte Zusammenarbeit mit dem Landwirt?
Rolf Drohmann:
„Das Geschäftsmodell funktioniert nur, wenn die Zusammenarbeit für Erzeuger, Verarbeiter und Verkäufer rentabel ist. Guido Renz hat mir erläutert, welchen Erlös er pro Schwein benötigt, damit sich für ihn der höhere Aufwand für die Haltung der Sattelschweine rechnet.“

Guido Renz: „Die Zusammenarbeit ist wichtig. Wir müssen verstehen, was die anderen Beteiligten wollen. Dann kann so ein Prozess wachsen.“

Sebastian Aupperle: „Ich arbeite mit meinen Lieferanten auf Vertrauensbasis. Ein Beispiel: Ich habe einen Eierlieferanten, der mich gefragt hat, ob er auf Bioerzeugung umstellen könnte. Ich habe zugestimmt. Wir sind dann beide voneinander abhängig. Wir müssen an einem Strang ziehen – das geht nur über eine Kooperation auf allen Ebenen.“

Thomas Richter: „Das Wichtigste ist jedoch, den richtigen Vermarktungspartner zu finden. Gegenseitiges Vertrauen, das Einhalten von Vereinbarungen und regelmäßige Aussprachen sind dabei eine Grundvoraussetzung.“

7. Nischenlandwirte?
Christoph Selhorst: „Werden sich in fünf bis zehn Jahren dann regional überall ‚Nischenlandwirte a la Porcinusa‘ etabliert haben? Ich stelle mir dann die wichtige Frage, ob wir die Produktion überhaupt in Deutschland halten können.“

Thomas Kurz: „Das Thema ‚Porcinusa‘ ist ein absolutes Nischenprogramm, das seine Käufer auch in größerer Menge finden wird. Nicht jeder Landwirt kann so einen Stall wie der Guido Renz bauen. Erzeuger, Verarbeiter und Händler müssen davon leben können.“

Rolf Drohmann: „Wir brauchen eine Landwirtschaft, die Leistung bringen kann, aber die Massentierhaltung in der untersten Stufe brauchen wir ganz bestimmt nicht.“

8. Siegelflut?
Thomas Richter: „In unseren Märkten fragt kaum ein Kunde zum Tierwohl nach. Siegel sind unseren Kunden nicht so wichtig.“

Rolf Drohmann: „Die ganze Flut an Siegeln – unsere Kunden sagen, sie glauben es nicht.“

Sebastian Aupperle: „Es gibt in Deutschland zu viele Siegel und am Ende weiß niemand mehr, woher kommt dieses Siegel und wie kann ich dem Siegel vertrauen.“

9. Viele Verbraucher sagen, sie wollen mehr Tierwohlfleisch kaufen. Wie viel Prozent der Kunden kaufen im Laden dann Tierwohlfleisch?
Christoph Selhorst: „Ändert sich wirklich etwas oder sind das nur Lippenbekenntnisse des Verbrauchers? Maximal 20 Prozent kaufen Tierwohlware, 80 Prozent greifen zur konventionellen Ware, wenn sie angeboten wird. Solange die günstigere Alternative angeboten wird, wird sich daran auch nichts ändern.“

Rolf Drohmann: „Die Hälfte der Menschen, die bei unserem Kundenabend waren, essen danach den Preiseinstieg nicht mehr. Ich sehe die Veränderungen in folgenden Stufen:
a) Der Preiseinstieg verschwindet von der Theke in die Selbstbedienungsabteilung.
b) Das Qualitätszeichen Baden-Württemberg (QZBW) wird sein Programm in die Haltungsstufe drei bis vier erheben.
c) In der Bedienungstheke Metzgerei haben wir einen Marktanteil von zwölf Prozent. Das wird sich in Zukunft steigern. Ich sehe die Theke von morgen in einem anderen Licht. Es hat noch nie so viel Spaß gemacht, frische Produkte zu verkaufen.“

10. Fleischlos – ein neuer Markt?
Peter Georg Witt: „Sind Fleischalternativen eine Chance für die Premiumhersteller, um sich abzusetzen, oder ist das ein Problem?“

Rolf Drohmann: „Wir platzieren seit dem vergangenen Jahr fleischlose Produkte. Am Anfang haben mich meine Metzger für verrückt erklärt. Letztendlich war das der richtige Schritt. Die nächste Generation wird hier viel mehr konsumieren.“

Sebastian Aupperle: „Fleischlos ist keine Nische, die wieder verschwindet, sondern es wird weiter gehen.“

11. Fortsetzung folgt...
Reiner Mihr (Chefredakteur Lebensmittel Praxis): „Dieser Gesprächskreis soll dazu beitragen, Verständnis für beide Seiten zu wecken. Vielleicht entsteht dadurch ein dauerhaftes Podium. Die Reihe wird fortgesetzt.“

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