Vion Food Group Strategiewechsel

Die Vion Food Group sieht sich bezüglich der Corona-Pandemie gut aufgestellt. Im Interview erläutert Ronald Lotgerink, CEO (Foto), die Grundzüge der neuen Zukunftsstrategie. Zentraler Kernpunkt ist der Aufbau ausgewogener Lieferketten.

Sonntag, 26. April 2020 - Fleisch
Jens Hertling
Artikelbild Strategiewechsel
Bildquelle: Vion

Thema Corona, wie ist das Unternehmen aufgestellt?
Ronald Lotgerink: Die Situation ist angespannt, aber wir haben die Lage im Griff. Wir können auf unsere Mitarbeiter stolz sein und sind es auch auf unsere Landwirte.

Was sind für Vion die größten Probleme durch Corona?
Das Coronavirus sorgt für große Unsicherheit. Mit der Lieferung unserer fleischbasierten Produkte übernehmen wir eine entscheidende Rolle in der Kontinuität der Lebensmittelversorgung für die Gesellschaft. Die Lieferungen an Supermärkte haben mit Zuwächsen von fünf bis zehn Prozent deutlich zugenommen. Die Corona-Krise ruft eine umfassende Veränderung in den Konsumgewohnheiten der Menschen hervor: Man isst nicht mehr auswärts, sondern zu Hause. Das spüren wir sehr stark in unserer Business Unit Food Service. Der Absatz von Fleisch an Restaurants und Hotels ist nahezu zum Erliegen gekommen. Anderseits steigt der Umsatz bei preiswerten Fleischprodukten wie Hackfleisch im Vergleich zu Edelteilen. Diese Veränderungen wirken sich erheblich auf die Fleischverwertung aus, wodurch ein neues Verhältnis zwischen Ein- und Verkaufspreisen entsteht. Die wichtige Ganztiervermarkung können wir seit Anfang März ebenfalls nicht mehr im gewohnten Maß realisieren.

Welche Schritte haben Sie wegen Corona ergriffen?
Wir haben mit Beginn der Corona-Krise viele Maßnahmen gebündelt. Die Sicherheit unserer Mitarbeiter steht an erster Stelle. Gleichzeitig setzen wir jedoch alles daran, die Produktion auf verantwortungsbewusste Art und Weise fortzuführen. Die Vion ist in der Lebensmittelversorgung systemrelevant und arbeitet eng mit den deutschen und niederländischen Behörden zusammen, um dieser Rolle in dieser außergewöhnlichen Situation gerecht zu werden.

Wird der Konzern aus der Krise gestärkt hervorgehen?
Die Pandemie fordert alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens fast überall auf der Welt heraus. Wir werden sicherlich nicht geschwächt daraus hervorgehen. Der Gesellschaft wird klar werden, dass Nahrungsmittelproduzenten wie unser Unternehmen für die Stabilität der Zukunft und die Versorgung der Gesellschaft wichtig sind. Nach der Corona-Pandemie werden viele Länder erstmals den Fokus auf die Selbstversorgung legen. Das ist für unser Unternehmen kein Problem, da wir sehr gut in Deutschland und den Niederlanden aufgestellt sind.

Wird sich die Fleischbranche durch Corona verändern?
Ein Effekt von Corona wird sein, dass die globalen Warenströme sich verändern und die Länder wieder verstärkt auf eine heimische Versorgung setzen werden. Auf kurze Sicht wird sich vor allem das Gastro- und das Handelsgeschäft verändern, langfristig erwarte ich keine fundamentalen Veränderungen, aber das Konsumverhalten der Menschen wird vielfältiger. Wir bei Vion sehen den Trend, dass in den nächsten Jahren weniger Fleisch konsumiert wird und dafür der Markt für pflanzliche Produkte wächst.

Wie meinen Sie das?
Meine Prognose ist, dass die Verbraucher in West- und Nordeuropa bis zum Jahr 2030 nahezu 30 Prozent weniger Fleisch konsumieren. Wir brauchen also nicht mehr die Menge wie bisher, wir brauchen Qualität.

Sie haben vor kurzem ihre Bilanz für das Jahr 2019 veröffentlicht (siehe Kasten). Was sind die wichtigsten Kennzahlen des deutschen Marktes?
Deutschland ist für uns ein sehr wichtiger Markt. Hier erzielen wir etwa 50 Prozent unseres Umsatzes. Im Bereich Rindfleisch sind wir mit Abstand die Nummer eins. Wenn wir jetzt die Besonderheit der Corona-Krise aus der Betrachtung herausnehmen, entwickelt sich der Rindfleischabsatz weiterhin gut. In der Vermarktung von Schweinefleisch sind weiterhin die Nummer zwei.

Sie sind jetzt seit eineinhalb Jahren CEO von Vion. Können Sie eine kleine Bilanz ziehen?
Der Vion-Konzern ist ein fantastisches Unternehmen mit einer stabilen wirtschaftlichen Lage. Die Corona-Pandemie ist eine Herausforderung, die wir aber meistern werden. Ein wichtiger Eckpfeiler ist unsere neue Unternehmensstrategie.

Was sind die Besonderheiten dieser Strategie?
Mein erstes großes Ziel ist, den Turnaround von einem angebotsgetrieben zu einem nachfragegetriebenen Geschäftsmodell zu schaffen. Das gestiegene Bewusstsein für die Auswirkungen unseres Agrarsystems auf das Klima erfordert eine neue Art der Lebensmittelproduktion. Dafür haben wir uns den neuen Slogan „Food that matters“ gegeben. Vom Konzern produzierte Lebensmittel sollen aus verbesserten und nachfrageorientierten Ketten stammen, die unseren Partnern in Landwirtschaft und Handel faire Erträge bieten. Zentraler Punkt der Zukunftsstrategie ist der Kernpunkt Build Balance Chains (BBC).

Können Sie BBC näher erläutern?
„Building Balanced Chains” ist der Aufbau ausgewogener Lieferketten. Diese weitreichenden Partnerschaften können nicht von heute auf morgen entstehen, das ist eine Aufgabe für die nächsten Jahre.

Was heisst das genau?
Wir streben an, ein aktuelles Modell aus den Niederlanden in Deutschland umzusetzen, das wir gemeinsam mit dem größten holländischen Lebensmittel-händler Albert Heijn gestartet haben. 130 Landwirte produzieren Schweinefleisch nicht nur nach besonderen Tierschutzkriterien, sondern sie müssen ihre Tiere klima-schonend aufziehen und Vorgaben bei der Futterzusammenstellung beachten. Ich möchte dieses Projekt auch in Deutschland umsetzen und mit Landwirten und zunächst nur in einer LEH-Region mit einem Handelspartner testen. Wir müssen uns von der Mengenproduktion verabschieden, wir müssen werthaltige Produkte anbieten. Ich bin überzeugt, dass wir schnell Landwirte gewinnen, die in einem solchen Programm dabei sind, weil es zukunftsorientiert den Heimatmarkt bedient.

Ist der Umsatz dann eher zweitrangig?
An erster Stelle steht die Marge. In Europa wird die Nutztierhaltung zurückgehen und die Anzahl der Schweine und Rinder eher sinken. Daher wird es einen Wettbewerb um die Tiere geben. Wir müssen uns differenzieren. Eine Programmbindung ist aus meiner Überzeugung eine Lösung, um einem ständigen Preiswettbewerb aus dem Weg zu gehen. Wenn alles normal läuft, ist der China-Boom in etwa drei Jahren vorbei. Wir müssen für die Zeit danach mit der Landwirtschaft und dem Handel neue Konzepte entwickeln und engere Ketten aufbauen.

Was macht Vion anders als andere Fleisch-Unternehmen?
Wir sind auf die gesamte Lieferkette fokussiert. Viele Wettbewerber sind noch angebotsgesteuert. Wir schauen, was der Verbraucher wirklich wünscht.

Können Sie etwas zum Thema Digitalisierung sagen?
Unsere Idee bei Vion ist, dass in jeder Stufe der Lieferkette mit Hilfe von Blockchains nachweisbar sein wird, ob gewisse Tierwohl- und Qualitätsstandards eingehalten worden sind. Mit Hilfe eines QR-Codes kann der Kunde die entsprechenden Informationen nachverfolgen.

Digitalisierung ist auch kostspielig. Wie wollen Sie das finanzieren?
Das kostet einige Millionen Euro. Wir sind dabei, uns einen Partner für die Implementierung dieser Technologie zu suchen.

Der Fleischbranche setzen demographische Veränderungen und geänderte Ernährungsgewohnheiten zu. Wie denken Sie über die Zukunft?
Der Fleischkonsum in Europa wird sinken, das hatte ich schon prognostiziert. Im Gegenzug werden die Menschen im Supermarkt immer öfter zu pflanzlichen Produkten greifen.

Wie wollen Sie Vion als lebensmittelproduzierendes Unternehmen positionieren?
Unsere zentrale Aufgabe wird es sein, die verschiedenen Bereiche und Gruppen zu vernetzen. Unsere Rolle muss die eines Übersetzers und eines Koordinators sein.

Sie erwarten für die kommenden zehn Jahre eine deutliche Abstockung der Schweine- und Rinderbestände in Westeuropa. Wie kommen Sie zu der Annahme?
Die Marktdaten zeigen, dass der Fleischverbrauch jedes Jahr um ca. drei Prozent zurückgeht. Der Grund ist nicht in Klima- oder Tierwohl-Aspekten zu suchen, es ist der Wille der Verbraucher. Ich habe drei Töchter. Sie essen im Durchschnitt an drei Tagen in der Woche Fleisch. Ich esse jeden Tag Fleisch. Das ist eine Generationenfrage und nur ein Beispiel, das uns zeigt wie sich die Gesellschaft entwickelt. Wir brauchen also nicht mehr die Menge wie bisher, wir brauchen Qualität. Und dafür ist es wichtig, schon heute Ketten aufzubauen, in denen wir genau die Fleischteile bekommen, die gewünscht sind.

Sie richten Ihren Fokus aber nicht nur auf die Heimatmärkte; der Export wird doch weiterhin eine bedeutende Rolle spielen….
Ich denke, dass die Corona-Krise bewirkt, dass wir uns auf unsere Heimatmärkte Niederlande und Deutschland fokussieren. Wir tragen Verantwortung für die Versorgung der Menschen mit gesundem Fleisch. Die Aufnahme von tierischem Eiweiß stärkt vor allem bei älteren Menschen die Abwehrkräfte. Wenn die Corona-Krise vorüber ist, wird Asien für uns wieder wichtiger. Der Export wird etwas Besonderes sein – aber ist gerade nicht unser Hauptthema.

Wie denken Sie über fleischlose Alternativprodukte?
Wir sind darauf vorbereitet und sehen das als eine wirtschaftliche Entwicklung für unser Unternehmen an. Es handelt sich dabei zwar noch um einen Nischenmarkt, aber die Nische ist so interessant, dass wir da mitmachen. Wir bauen gerade unseren ehemaligen modernen Rinderschlachtbetrieb in Leeuwarden zu einer Produktionsstätte für fleischlose Produkte um. Dort haben wir 25 Millionen von 2016 bis 2020 in die Produktion investiert. Wir haben Anfang März die erste Produktionslinie mit Schnitzeln, Burgern und Hackfleisch gestartet. Im Sommer nehmen wir die Großproduktion in Betrieb. Dann läuft das gesamte Sortiment von veganen Schnitzeln, Burgern, Hackfleisch, Würstchen und unpanierten faserigen Geflügelfilets. Und wir legen großen Wert auf Geschmack, um die Nähe zu realem Fleisch zu bieten.

Welche Märkte wollen Sie damit bedienen?
Neben unseren Heimatmärkten in den Niederlanden und in Deutschland sind auch andere europäische Länder wie Großbritannien, Italien und Frankreich wachsende Märkte für Fleischalternativen. Dies ist vor allem auf die Essgewohnheiten sogenannter Flexitarier zurückzuführen, die solche Produkte regelmäßig kaufen. In Deutschland und den Niederlanden beliefern wir bereits die ersten Kunden mit unseren Schnitzeln, Burgern und Hackfleisch auf pflanzlicher Basis.

Woraus bestehen denn Ihre fleischlosen Burger und Schnitzel, woher bekommen Sie die Rohstoffe?
Die Basis sind Soja und Erbsen. Die Rohstoffe kommen aus Europa. Die Strategie für vegane Produkte umfasst auch BBC. Wir sind gerade dabei, eine europäische Produktionslinie für Bohnen aufzusetzen. Das ist alles nicht so leicht, da Soja im europäischen Klima nicht so gedeiht. Wir sind allerdings in der Entwicklung, auch andere Rohstoffe einzusetzen. Dazu sind wir aktuell im intensiven Austausch mit der Agrarwirtschaft. Unser Ziel ist, wie im Fleischbereich in der pflanzlichen Produktion eine enge regionale Kette mit Landwirten aufzubauen. Die pflanzlichen Rohstoffe wie Bohnen, Erbsen oder Kartoffeln wollen wir aus Nachhaltigkeitsgründen gern vor Ort einkaufen.

Wie denken Sie, wie denkt Vion über das Thema „Laborfleisch“?
Wir denken, dass das auch ein Thema werden wird, aber im Moment nicht. Wir sind daran interessiert, aber wir haben noch nicht investiert. Das wird noch dauern. Die Technologie von In Vitro ist außerdem noch nicht soweit.

In Deutschland haben Sie Tiefkühl-Rindfleisch in Form von „Cool Cuts“ auf den Markt gebracht. Was kommt als nächstes?
„Cool Cuts“ führen wir weiter fort. Wir haben nicht nur in Deutschland, sondern gerade in Österreich eine gute Platzierung im LEH. Wir bieten unseren Kunden nicht nur Rind, sondern auch Schweinefleisch als Tiefkühlprodukt an. Unsere Vermarktungsschiene beschränkt sich dabei nicht nur auf den Handel, die Gastronomie ist dabei ebenfalls in unserem Fokus. Auch im Bereich Convenience arbeiten wir an Produktneuheiten.

Wie läuft das Geschäft mit Bioprodukten?
Die Märkte in den Niederlanden und in Deutschland wachsen bezüglich Bio zu unserer Zufriedenheit. Auch wenn Biofleisch immer in der Nische verkauft wird.  Unsere Tochtergesellschaft „De Groene Weg“ gehört zu den europäischen Marktführern im Bereich Biofleisch und hat jetzt in Deutschland für den Handel die Marke „Der Grüne Weg“ gestartet. „De Groene Weg“ unterscheidet sich von anderen Anbietern dadurch, dass das Unternehmen im Bereich Schweinefleisch mit einer nachfrageorientierten und geschlossenen Lieferkette arbeitet. Neben Produkten wie Metzgerschinken und Frühstücksspeck gehören auch zwei Neuheiten dazu: der Bio-Hackbraten „Pain de Provence“ und gereifte Rindersalami mit Fenchel.

Welche Rolle spielen bei Bio-Produkten der Preis und die Rohstoffverfügbarkeit?
Der Markt ist nicht so groß, Bio bleibt in der Nische. Deshalb ist die Ganztierverwertung von Bio-Produkten noch immer ein Problem.

Sind die Verbraucher bereit die höheren Preise zu zahlen?
Bio ist noch immer teuer und wird nach meiner Überzeugung in der Zukunft kein Mainstream werden.

Tierschutz ist ein großes Thema in der Landwirtschaft, bei den Kunden und bei den Verbrauchern. Was unternimmt Vion, um hier auch weiterhin die Vorreiterrolle zu behaupten?
Sie haben Recht - Tierwohl ist uns sehr wichtig. Es ist eines der Standbeine unseres Unternehmens. 80 Prozent unserer Tiere in den Niederlanden liefern wir für das  Better-Leven-Projekt. Für uns hat der Tierschutz nicht nur in der Erzeugung, sondern auch beim Transport, bei der Anlieferung und in unseren Schlachthöfen höchste Priorität.

Wie sieht die Tierhaltung der Zukunft für Sie aus?
Das ist ein Thema, das wir mit allen Beteiligten ständig diskutieren. Wichtig für uns ist  zu wissen, was die Gesellschaft will. Wichtig ist hierbei aber auch, dass Tierwohl Geld kostet. Am Ende muss es einer bezahlen – und das ist der Verbraucher. Es gibt hier viele gute Gedanken, was möglich ist in der Nutztierhaltung. Die große Frage ist aber, was sich die Gesellschaft wünscht. Und was sie bereit ist, dafür zu zahlen.

Wie wirken sich die hohen Preise durch Afrikanische Schweinepest auf die Märkte aus?
Die Afrikanische Schweinepest ist eine Wachstumsbremse für die Branche. Wir müssen heute davon ausgehen, dass sich diese Situation in den nächsten drei bis fünf Jahren nicht verbessern wird und die Rohstoff-Preise weiter ansteigen werden.

Wie gestaltet sich in Ihrem Haus die Suche nach Fachkräften?
Die Suche ist nicht einfach – aber wir schaffen das über eine große Palette an Maßnahmen.

Sie haben in den letzten Jahren viel in Ihre Schlachtbetriebe investiert. Auch in die Automatisierung?
Die Automatisierung ist ein wichtiger Faktor, um die Profitabilität und Nachhaltigkeit zu steigern. Der Mensch lässt sich jedoch in vielen Fällen nicht immer ersetzen.

Sie sind jetzt 59 Jahre alt. Wie lange wollen sie noch CEO von Vion bleiben?
Ich darf noch zehn Jahre arbeiten (und lacht). Es macht mir Spaß bei Vion. Und wenn es Spaß macht, dann bleibe ich.

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