Kosmetik „divers“ und „inklusiv“ Farbe bekennen

Mehr Farbtöne, weniger Schubladen: Die Beauty-Branche will diverser werden. Mit neuen Produktlinien und anderen Marketingansätzen propagiert sie „Schönheit für alle“. Wo sich Grenzen auflösen und wo die Produktentwicklung hinsteuert.

Dienstag, 14. Dezember 2021 - Drogerieartikel
Bettina Röttig
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Bildquelle: Getty Images

Die „Emanzipation“ des Mannes hat im Beauty-Segment lange auf sich warten lassen. Seit zehn, fünfzehn Jahren steht die Zielgruppe stärker im Fokus der Produktentwickler und Marketingstrategen. Erst 2019 zogen Männerregale in die Filialen der Drogeriemarktkette dm ein und bündelten aufmerksamkeitsstark Pflegeprodukte „für ihn“. Nun darf sich Mann auch von Nagellack und dekorativer Kosmetik angesprochen fühlen, denn Beauty-Marken brechen in der Werbung zunehmend mit alten Schönheitsidealen und positionieren sich als „divers“ und „inklusiv“, oder anders gesagt: diskriminierungsfrei. Dabei geht es um viele Aspekte: geschlechterübergreifend, alterslos, für alle Hautfarben und Religionen. Sind einige Start-up-Unternehmen vorgeprescht, arbeiten auch die globalen Hersteller an Produkt- und Marketingkonzepten, um veränderten Verbraucherbedürfnissen nachzukommen und niemanden auszugrenzen.

Insbesondere im Bereich der dekorativen Kosmetik ist mehr Vielfalt das Motto. „In den letzten Jahren hat vor allem Make-up in Sachen Diversität große Fortschritte gemacht“, so Susanne Krenz, Research Analyst – Beauty and Personal Care, Mintel Deutschland. Hier habe das Label Fenty Beauty von Popstar Rihanna bezüglich inklusiver Farbnuancen neue Maßstäbe gesetzt. Die Marke startete 2017 mit 40 verschiedenen Farbnuancen. Aktuell mischen laut Mintel kleinere Indie-Marken die Branche auf. „Dazu zählt etwa Pound Cake in den USA, die inklusive Lippenstiftnuancen anbieten, um die Kompatibilität mit verschiedenen Hautuntertönen und Lippenfarben zu gewährleisten“, sagt Krenz.

Auch die etablierten Marken zeigen eine größere Farbenvielfalt. „Der Bedarf an breiteren Farbpaletten hat sich grundsätzlich nicht verändert, denn Menschen und Hauttöne waren natürlich schon immer sehr divers. In den letzten Jahren hat sich aber die Sichtbarkeit dieser Bedürfnisse verändert“, erklärt Yvonne Wutzler, Chief Marketing Officer Cosnova Beauty. Während es früher fast selbstverständlich gewesen sei, dass große Farbspektren nur im High-End-Bereich zu finden waren, erwarteten Konsumenten heute „vollkommen zu Recht“ eine breite Verfügbarkeit. Heute hat der Hersteller unter den Marken Essence und Catrice Foundation Ranges mit mehr als 30 Farben im Angebot.

„In der heutigen, immer vielfältigeren Welt wächst die Nachfrage der Verbraucher nach Produkten, die die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck bringen“, sagt Anna Weste, Geschäftsführerin der Division Consumer Products L’Oréal Deutschland Österreich. Der Beauty-Spezialist bietet unter seiner Marke NYX Professional Make-up in Deutschland allein im Bereich Make-up bis zu 45 verschiedene Farben an.

Hinter den umfassenderen Produktsortimenten steckt intensive Forschungsarbeit, erklärt Weste. Der Konzern habe Studien in acht Ländern in Nord- und Südamerika, Europa, Asien und Afrika durchgeführt. „Dabei wurden über 5.000 Teints vor und nach dem Auftragen der Foundation gemessen, um die Datenbank mit über 3.000 Daten zu den unterschiedlichen Hauttönen weltweit zu vervollständigen. Mithilfe eines Algorithmus konnten die Forscher weltweit sechs Gruppen und 18 Untergruppen identifizieren.“ Durch die Kombination dieser Kategorisierung mit einer Analyse der Schminkgewohnheiten in den einzelnen Ländern habe L’Oréal gemeinsam mit Verbrauchern und Make-up-Experten entsprechende Farbtöne entwickelt.

Mehr Vielfalt im Produktsortiment zu zeigen lässt Marken jedoch auch an Grenzen stoßen, erklärt Cosnova-CMO Wutzler. „In der Drogerie sind wir beispielsweise sehr limitiert, was den Platz in unseren Theken angeht, weshalb wir zusätzliche Shades online anbieten.“ Um dabei niemanden zu benachteiligen, werden diese Farbtöne gezielt versandkostenfrei angeboten.
Cosnova Beauty sieht Diversität von jeher als Kern seiner Marken Catrice und Essence. Es gehe grundsätzlich darum, niemanden bei der Verwendung von Make-up auszuschließen, sagt Wutzler. „Das gilt selbstverständlich auch für Männer mit einer Passion für Make-up.“ Mit der Catrice Limited Edition „Genderless“ sollte dies vor rund zwei Jahren plakativ zum Ausdruck gebracht werden, „und unsere Konsumenten haben sehr positiv darauf reagiert“.

Werbung mit Verantwortung
Es finde gerade ein Generationenwechsel statt, erklärt Mintel-Analystin Krenz zum verstärkten Fokus auf den Aspekt „Genderless“. „Millennials und die Generation Z stellen die traditionellen Geschlechterrollen infrage und bekennen sich immer häufiger zu geschlechterübergreifenden Identitäten.“ Diese Entwicklung stecke zwar noch in den Kinderschuhen, nähere sich jedoch immer mehr dem Mainstream an. „Influencer wie Riccardo Simonetti oder Marvyn Macnificent sind nicht nur Make-up-Fans, sondern engagieren sich auch für LGBTQ+-Rechte. Und dann sind da noch die diesjährigen ESC-Gewinner Måneskin, die mit ihrer Musik und ihren androgynen, Glam-Rock-inspirierten Make-up-Looks überall auf TikTok zu sehen waren“, gibt Krenz Beispiele.

Einen richtigen Markt für dekorative Kosmetik für den Mann kann der Industrieverband Kosmetik und Waschmittel (IKW) im Moment hierzulande noch nicht ausmachen. So sagten beispielsweise knapp 9 Prozent der jungen Männer in der aktuellen Jugendstudie zu „Insta ungeschminkt“, dass sie Styling-Trends bei Fingernägeln wahrnehmen. „Viele jungen Männer distanzieren sich bisher aber noch deutlich davon, selbst zum Nagellackfläschchen, zu Mascara oder Make-up zu greifen“, so Birgit Huber, Bereichsleiterin Schönheitspflege im IKW.
Es geht jedoch vor allem darum, Signale zu senden. So setzen Kosmetikhersteller neben Frauen auch auf männliche oder Transgender-Models, um sich als inklusiv zu positionieren und breitere Zielgruppen anzusprechen. Die Cosnova-Marken arbeiten regelmäßig mit männlichen Models und kooperieren eng mit verschiedenen männlichen Influencern wie Maxim Giacomo, um die Passion für Make-up geschlechtsunabhängig zu thematisieren. „Leider bekommen wir zu diesen Kooperationen auch heute nicht nur positives Feedback. Umso wichtiger für uns, sich noch stärker für Diversität, Inklusion und Toleranz einzusetzen und damit auch soziale Verantwortung zu übernehmen“, sagt Marketingchefin Wutzler.
Und es geht dabei um mehr als das Gender-Thema. „Ähnlich wie die Vielfalt der Körpertypen in der Mode größer wird, werden auch Hauttöne und -beschaffenheit in der Beauty-Branche vielfältiger dargestellt. Models mit sichtbaren Poren, Aknenarben, Schuppenflechte etc. kommen zunehmend häufig vor“, so Mintel-Expertin Krenz. Dies sei nicht nur repräsentativer für den Verbraucher, sondern erleichtere auch die Kaufentscheidung, denn 51 Prozent der Nutzerinnen von Hautpflegeprodukten wünschen sich nach Erkenntnissen von Mintel Produktbewertungen von Menschen, die ähnliche Hautprobleme haben wie sie selbst. „Woran es noch mangelt, ist mehr Diversität bezüglich Körpertypen und -formen – das ist insbesondere für Körperpflegemarken eine bisher noch ungenutzte Chance“, meint Krenz.

„Um ein wirklich inklusives Schönheitsunternehmen zu sein, müssen wir uns kontinuierlich weiterentwickeln und neue Wege einschlagen, was sich auch in unserer Werbung und unserem Marketing widerspiegelt“, betont L’Oréal-Managerin Weste. Als drittgrößter Werbetreibender weltweit sei sich L’Oréal seines Einflusses und auch seiner Verantwortung bewusst. Der Konzern setze zum Beispiel künstliche Intelligenz ein, um den Inklusionsgrad der eigenen Werbung zu messen. „Zudem sind wir kürzlich der Brancheninitiative ‚Unstereotype Alliance‘ beigetreten, um schädliche beziehungsweise negative Stereotypen in der Werbung zu beseitigen.“ Wettbewerber Beiersdorf evaluiert nach eigenen Angaben aktuell mit externer Unterstützung das Design der Nivea-Verpackungen und prüft dieses kritisch auf inklusive Faktoren.

Trend mit Grenzen
Nach Einschätzung des Industrieverbands Kosmetik und Waschmittel (IKW) sind Unisex-Konzepte in der Körperpflege ein Thema, das in Zukunft weiter Fahrt aufnehmen wird. „Im Moment sehen wir, dass in vielen Bereichen ein Bedürfnis besteht, Grenzen aufzulösen. Ob es um Sprache, Mode oder Kosmetik geht – statische Konzepte werden zunehmend infrage gestellt, Geschlechterrollen verlieren mehr und mehr ihre Verbindlichkeit“, erläutert Birgit Huber, Bereichsleiterin Schönheitspflege im IKW. Bei manchen Produktkategorien wie Deodorants sei dies unproblematisch – abgesehen vom Duft.

Haut und Haare von Menschen sind jedoch unterschiedlich beschaffen. Auch wirken sich unter anderem Hormone auf Haut und Haar aus. Wo funktionieren Unisex-Konzepte? Und wo sind unterschiedliche Wirkformeln und somit spezifische Produkte nötig, wenn es um unterschiedliche Bedürfnisse von Haut und Haar geht?

Dass in Kategorien wie Dusche, Haarpflege oder Handseife sehr häufig Unisex-Produkte gekauft werden, beobachtet der Hamburger Beiersdorf-Konzern. Duschgel werde teilweise von der ganzen Familie genutzt, bevorzugt mit einem Unisex-Duft. „Wir beobachten auch, dass viele unserer Topseller von einer Unisex-Zielgruppe genutzt werden, so zum Beispiel unsere Nivea Creme Soft Pflegedusche oder die Soft Creme“, heißt es aus Hamburg.

Es gebe aber auch Segmente, wie Shaving oder Gesichtspflege, in denen sich Verbraucher Produkte wünschten, die auf ihre individuellen Hautbedürfnisse zugeschnitten seien. „Wir bieten mit unserem breiten Produktportfolio all unseren Konsumenten geschlechterunabhängig Hautpflege, die auf konkrete Hautbedürfnisse abgestimmt ist“, teilt der Hersteller mit.
Die individuellen Bedürfnisse sollten nicht außer Acht gelassen werden, betont auch IKW-Expertin Huber: „Männer haben nun einmal eine dickere Haut, die häufig größere Poren aufweist und zu Unreinheiten neigt. Eine intensiv pflegende Gesichtscreme für trockene Haut wäre für einen solchen Hauttyp einfach zu reichhaltig.“ Für Hersteller und Verbraucher bestehe also die Herausforderung, genau zu überprüfen, bei welchen Produkten eine Positionierung als „genderless“ sinnvoll sei.

Ein Ende der Männerregale ist also nicht in Sicht. Nach Erkenntnissen der Mintel-Marktforscher sind Produkte „for Men“ nach wie vor beliebt. Demnach verwenden 76 Prozent der deutschen Männer gerne Haut- und Haarpflegeprodukte, die speziell für Männer entwickelt wurden, „wobei dieser Anteil über alle Altersgruppen hinweg hoch ist“, sagt Krenz. Während sich die Generation Z generell auf einen geschlechtsneutralen Ansatz zubewege, sei der Wunsch nach „Männerprodukten“ vor allem bei jungen deutschen Männern nach wie vor sehr groß. „30 Prozent der 16- bis 24-Jährigen sind der Meinung, dass es in den Geschäften nicht genügend Produkte speziell für Männer gibt. Gleichzeitig waren zwischen 2017 und 2020 nur etwas mehr als 1 Prozent der Produktlancierungen im Bereich Gesichts- und Haarpflege in Deutschland speziell auf Männer ausgerichtet“, so Krenz. Hier ist das Potenzial des Segments „for Men“ also noch nicht ausgeschöpft.

Tendenziell werden Männer immer interessierter und probierfreudiger bei Kosmetikprodukten, beobachtet man bei L’Oréal. Ganz neue Kategorien wie beispielsweise die moderne Bartpflege böten tolle Möglichkeiten, innovative Produkte zu entwickeln und männlichen Konsumenten neue Lösungen zu bieten, so Weste. „Eine ansprechende und didaktische Präsentation der Schönheitspflege im Handel ist in meinen Augen gleichsam wichtig für Männer und Frauen, denn der Einkaufsakt wird mehr und mehr zum Erlebnis in einer Zeit, in der E-Commerce den Einkauf auch von zu Hause sehr gut ermöglicht.“ Die Einkaufsstätte werde dadurch mehr zum Erlebnisort, an dem Kunden Farben, Texturen, Düfte ausprobieren und sich von Neuheiten inspirieren lassen könnten, die sie vielleicht online nicht gezielt suchen würden. „Unsere gemeinsamen Konsumentinnen und Konsumenten immer wieder zu überraschen, ist hier die spannende Aufgabe.“

Mehr individualisierung
Das Thema „Schönheit für alle“ befeuert den Trend zu individualisierten Produkten. Digitale Lösungen machen es möglich, Produkte maßgeschneidert anzubieten. Beispiel hierfür ist ein Personal Foundation Kit der Marke LaManufacture von NextGen Beauty (Cosnova Beauty). Mithilfe einer KI-gesteuerten Skincam können Konsumenten zu Hause ihren exakten Hautton bestimmen und erhalten so eine persönliche Foundation-Rezeptur mit einem ganz individuellen Farbton.

Beiersdorf bietet mit der O.W.N-Produktserie personalisierte Hautpflege an: „Wir arbeiten mit KI und Wissenschaftlern, um spezifische Produkte anzubieten, die individuelle Hautprofile und Ziele in Bezug auf Hautzustand, Lebensstil und Umweltfaktoren wie Feuchtigkeit, Witterungsbedingungen und Schadstoffbelastung berücksichtigen“, heißt es aus dem Konzern.

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