Generation 50Plus Achtung Alt-Kunde

Einkauf aus der Perspektive von Senioren. Eine Sache, der sich Handel und
Hersteller verstärkt widmen müssen. Es geht immerhin um die Kunden der Zukunft.

Mittwoch, 25. August 2010 - Sortimente
Dieter Druck
Artikelbild Achtung Alt-Kunde
Bildquelle: Ku00e4mper

Mehr als 12 kg Zusatzgewicht ziehen die Schultern nach vorne, stauchen die Gelenke. Ein Visier reduziert das Gesichtsfeld, lässt alles gelblich, verschwommen erscheinen. Anzug und Bandagen an den Gelenken schränken Griffhöhe und Bücken ein. Ein Gehörschutz dämpft Sprache und Geräuschkulisse: Ich bin unterwegs im Age Explorer, einem Outfit, das altersbedingte, körperliche Defizite simuliert. So ungefähr werde ich mich in 25 Jahren fühlen, wenn ich es dann noch bis zum Einkauf im Supermarkt schaffe. „Sie sind der Kunde der Zukunft“, versichert mir Dr. Gundolf Meyer-Hentschel, einer der Pioniere des Seniorenmarketings in Deutschland.

Wir ergründen die Senioren-Perspektive des Einkaufens im Globus Saarbrücken-Güdingen. Der Markt wurde im vergangenen Jahr grundlegend umgebaut. Der erste Eindruck: barrierefreier Zugang vom großzügigen Parkplatz, breite Gänge, gut lesbare Deckenhänger und Regalschilder (weiße Schrift auf grünem Grund) geben dem Kunden auf der Großfläche gute Orientierungshilfen.

Aber der Teufel steckt im Detail. Schon beim Bäcker in der Vorkassenzone offenbart sich, dass die im Wandregal platzierten Brote kaum zu unterscheiden sind und die Kilopreise in meinem „Unschärfe-Bereich“ liegen. Meine optische Wahrnehmung ist stark eingeschränkt, ein Manko, das sich noch an anderen Punkten im Markt bemerkbar machen wird. Kaum haben wir die Information passiert, spricht uns eine Kundin an. Sie, nach eigener Einschätzung noch rüstig und „gut unterwegs“, moniert die Platzierung der Grundnahrungsmittel (Konserven, Mehl, Teigwaren) am gegenüberliegenden Ende zum Eingang. Das bedinge lange Wege, die ihrer Meinung älteren Kunden erspart bleiben könnten.

Es geht weiter im Kundenlauf. Als nächster Stolperstein entpuppen sich die Palettenplatzierungen bei den Getränken. Six-Packs mit Mineralwasser und Fruchtsäften – die 6-l-Einheiten sind günstig . Ältere Leute sollten ja ausreichend Trinken, so dass der Bevorratungseffekt schon passt. Aber die Griffe sind mit meinen Handschuhen, die zudem beim Greifen durch ein innen liegendes Klettband einen leichten arthritischen Schmerz simulieren, nicht zu fassen. Hinzu kommt das Gewicht, das durch die zu große Stapelhöhe noch verschärft wird.

Ein vergleichbares Problem am Konserven-Regal. Waren auf mehr als 1,60 m Höhe sind schwer erreich-und greifbar. Ich bin mit 1,83 m Körpergröße noch im Vorteil. Aber bei den Senioren sind die Einkaufenden zu mehr als 80 Prozent weiblich und damit in der Regel kleiner. Aber auch im unteren Regalbereich ergeben sich Defizite. Der tiefste Preis befindet sich so zu sagen an der tiefsten Stelle. Die Warenauszeichnung in der untersten Regalschiene bleibt damit unsichtbar. Ohnehin ist die zweifache Preisauszeichnung nicht seniorengerecht. Der Kilopreis wird oftmals zu klein dargestellt und bleibt damit eher spekulativ.

Dann habe ich einen langen Quergang vor mir. Links und rechts stehen Gondelkopfplatzierungen, Deckenhänger zeigen Sonderpreise an. Alles wirkt hell, übersichtlich und gut ausgeleuchtet. Keine Einschränkung für Otto-Normalverbraucher. Mein Gesichtsfeld ist jedoch eingeschränkt. Seitlich verschwimmt alles. Das, was eigentlich aufgrund die Platzierung hervorgehoben werden soll, geht völlig unter. Kein unbekanntes Phänomen für Meyer-Hentschel. „Wir haben das gleiche Problem bei Ikea gehabt. Die Lösung: zusätzliche Lichtspots von oben auf die Ware erzeugen höhere Aufmerksamkeit und damit bessere Wahrnehmung.“

Ebenso habe ich Wahrnehmungsstörungen an den Regalen. Gelb-, Weiß- und Grüntöne verschwimmen. Der Markenblock von Kühne z. B. ist eine einzige farbliche Soße. Signalfarben ohne Signalwirkung. Und die Orientierungs- und Differenzierungs-Elemente in großen Markenblöcken, z. B. von Maggi und Knorr, lösen sich in Wohlgefallen auf, bleiben unsichtbar. Farbgebung und Schriftgröße, Pre-Pack-Angebote sind davon nicht ausgenommen, sollten einmal durch das gelbliche Visier beurteilt werden.

Endlich eine Ruhebank. Bislang zugegebenermaßen von mir mild belächelt, aber nach gut einer halben Stunde unter erschwerten Einkaufs-Bedingungen ab jetzt von mir geschätzt. Und sie ist nicht zugestellt, wie oft anderswo zu sehen. Sehr zu meiner Freude.

{tab=Erfolgsfaktoren für den LEH}
Kurze Wege: vom Parkplatz zum Eingang, vom Eingang zur Verkaufsfläche und besonders wichtig: kurze Wege im Laden.
Augenhöhe: Bequemes Einkaufen bedeutet für ältere Kunden: alles in Augen- und Griffhöhe.
Ruhe: Ladenmusik und andere Nebengeräusche sind für viele ältere Kunden ungünstig, weil sie Gespräche, Konzentration und Orientierung erschweren.
Orientierungsfreundlichkeit: Je leichter sich ein älterer Kunde im Laden zurecht findet, je weniger er suchen und fragen muss, desto häufiger kommt er und desto mehr kauft er.
Sortiment: Die Zeit der tiefen Sortimente ist vorbei. Die wachsende Zahl der älteren Kunden wünscht sich übersichtliche Sortimente.
Eigenmarken: Viele Marken tun sich schwer, Anforderungen in puncto Packungsgrößen, Design, Verpackungs-Convenience zu erfüllen. Hier liegt eine große Chance für Eigenmarken des Handels.
Personal: geduldig, sensibel, mit Achtung und Respekt für Ältere.

Quelle: Meyer-Hentschel Institut, www.mhmc.de


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