Wecks Wiedererweckung Wie moderne Vertriebskonzepte und neue Produktideen das Kultglas zurückbringen

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Weckgläser sind Kult, doch die Energiepreise führten deren Hersteller in die Insolvenz. Wie die neue Chefin Weck saniert – und endlich wieder Kontakt zu den Kunden sucht.

Mittwoch, 11. September 2024 - Sortimente
Matthias Mahr
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Bildquelle: Weck

Weck geht es ans Eingemachte. Ein Wortspiel, das im Sommer 2023 oft bemüht wurde. 14 Monate ist es inzwischen annähernd her, dass die Kultmarke einen Insolvenzantrag stellte. Dabei hatte das Einwecken, wie das Haltbarmachen durch Einkochen von Obst und Gemüse weitläufig heißt, doch während der Pandemie zu einem zwischenzeitlichen Höhenflug angesetzt. Homing und Cocooning waren Corona-Trends, die auch beim Einkochglas für einen Nachfrageschub sorgten. Dann aber folgte der jähe Einbruch. Und auch der Industriestrompreis schnellte als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine in die Höhe. Das war der berühmte Tropfen zu viel auf den heißen Stein. Das Fass lief über. Die Probleme bei Weck lagen aber tiefer und waren nicht nur in der Energiekrise begründet. Die Marke hatte den Kontakt zur Kundschaft verloren.

Die Retter des Traditionsunternehmens kommen aus München. Der Finanzinvestor Aurelius hat seit dem 11. November 2023 das Ruder in der Hand. Aurelius ist Spezialist für Unternehmensübernahmen in schwierigen Situationen. Das Ziel: Sanierung und Weiterführung. Dabei agiert Aurelius meist im Hintergrund, bündelt Geschäftseinheiten und setzt auf langfristige Erfolge. Vom Verlagsgeschäft bei Weck hat sich der Finanzinvestor getrennt. Die 260 verbliebenen Mitarbeiter im Glaswerk Bonn blicken zuversichtlich nach vorn. Aurelius ist ihr Rettungsanker und die neue Geschäftsführerin Dr. Joyce Gesing bereits jetzt mehr als der berühmte Silberstreif am Horizont. Dabei ist sie erst seit Juni im Amt.

Im Sauerland flossen Tränen

Gesing hat sich mit der strategischen Neupositionierung und dem globalen Ausbau der Vertriebspräsenz als Geschäftsführerin bei Severin, der Traditionsmarke für Haushaltsgeräte, sowie bei Thyssenkrupp einen glänzenden Namen gemacht. Severin hat sie in nur zwei Jahren wieder zu einem führenden Anbieter im Massenmarkt der Haushaltsgeräte gemacht. Die 39-jährige Mathematikerin kann auf ihrer langjährigen Erfahrung in der Leitung strategischer Transformationsprojekte als Beraterin bei McKinsey, Egon Zehnder und KPMG aufbauen. Im Sauerland soll es Tränen gegeben haben, als Gesing ihren Abschied bei Severin verkündet hat. Sie ist im besten Sinne eine Menschenfängerin. Sie vertraut ihren Mitarbeitern und setzt durch ihren kommunikativen Führungsstil neue Kräfte bei den einst sehr hierarchisch geführten Weck-Mitarbeitern frei. In kürzester Zeit hat sie eine Aufbruchstimmung im Bonner Glaswerk erzeugt. Beim Gang durch die Produktionshallen kommen Mitarbeiter auf sie zu und sprechen die neue Chefin direkt an. Transparenz und Offenheit sind ihr sehr wichtig, sagt sie. Das sei für ihre Entscheidungsfindung und den Erfolg des Unternehmens essenziell.

„Ich habe eine Begeisterung für Menschen, die ihre Produkte lieben. Das, was die Menschen hier bei Weck und bei Severin verbindet, ist die tiefe Begeisterung für ihre Marke“, betont sie. Das ist auch entlang der Glaswannen in Blickweite zur Bonner Hardthöhe bei den langjährigen Produktionsmitarbeitern zu spüren. Die typischen Gläser mit der Erdbeere sind Synonym für Qualität und verlässliche Handwerkskunst mit Liefersicherheit „made in Germany“. Das trägt und soll so bleiben. Weck ist jedoch mehr, ein Gattungsbegriff.

Was war die Ursache für den Niedergang dieser deutschen Markenikone, die nächstes Jahr ihren 125. Geburtstag feiert? Über Jahre hinweg lag der Fokus von Weck vorrangig auf der Produktion und Entwicklung von Technologien. Vertrieb und Marketing wurden vernachlässigt. Nach Aussagen von Gesing ist das der entscheidende Punkt, der das Unternehmen in die Insolvenz getrieben hat. „Hier wurde über 20 Jahre nicht mehr in den Vertrieb investiert“, blickt die neue CEO zurück und zugleich nach vorn: „Wir haben unser Produkt über Großhändler an den Handel gegeben. Der direkte Kontakt zum Endverbraucher ging verloren. Das muss sich ändern.“ Die neue Strategie konzentriert sich aktuell darauf, eine starke Bindung sowohl zum Handel als auch zu den Endverbrauchern aufzubauen. Erste Erfolge seien bereits zu verbuchen.

Ein wesentlicher Baustein ist es – neben der Revitalisierung der Marke –, neue Lifestyle-Absatzbereiche zu erschließen. Die Produkte der Bonner sind nämlich mehr als nur ein Einweckglas. „Vor allem die jüngeren Generationen kennen oft gar nicht mehr den ursprünglichen Zweck. Sie nutzen es für Desserts, zur Aufbewahrung oder sogar als Deko“, umschreibt die Geschäftsführerin, welches Terrain sie für neue Produktwelten abstecken möchte. Was sich wie ein Standard-Umstrukturierungsprozess anhört, begleitet bei Weck eine einzigartige Unternehmenskultur. „Die Menschen, die hier arbeiten, brennen für das, was sie tun. Diese Leidenschaft müssen wir nutzen und nach draußen tragen“, gibt Gesing als Ziel vor.

Weckgläser gehören seit Generationen dazu

Weck aus dem Bonner Stadtteil Duisdorf ist eines der traditionsreichen Unternehmen der Hohlglasindustrie. Täglich produziert Weck im Vierschichtbetrieb rund eine Million Gläser auf fünf sogenannten Individual-Section- und zwei Rundläufermaschinen. Zum Einschmelzen der Rohstoffe nutzt der Hersteller zwei Glasschmelzwannen. Die produzierten Gläser werden in der Fabrik durch Prüfsysteme auf kleinste Fehler kontrolliert. Fehlerhafte Ware schmilzt das Unternehmen wieder ein – was nach Angaben des Herstellers Ressourcen schont. Weckgläser bestehen zu mehr als 50 Prozent aus Altglas. Das senkt den Energieverbrauch in der Produktion und macht das Produkt umweltfreundlicher, weil das Altglas im Schmelzprozess bei vergleichsweise geringen Temperaturen verarbeitet werden kann. Ein Weckglas ist nahezu unverwüstlich und lässt sich viele Male wiederverwenden. In vielen Familien werden die Einmachgläser seit Generationen weitergegeben.

Ohne politische Unterstützung geht es nicht

Die explodierenden Energiekosten waren letztlich der Auslöser der Insolvenz. Dieser Einschnitt brachte eine beschleunigte Transformation. Ein schneller und notwendiger Umbruch sei das gewesen. „Made in Germany“ ist derzeit wieder gefragt. Das bietet Herstellern aus Deutschland Chancen. Darauf setzen sie auch bei Weck. Aber die Herausforderungen bleiben groß. Gerade in der Glasindustrie sind die Produktionskosten stark von Energiepreisen abhängig. „Wir arbeiten kontinuierlich daran, energieeffizienter zu werden, haben erst vor zwei Jahren eine neue Schmelzwanne in Betrieb genommen und modernisieren stetig unsere Maschinen“, erklärt die Neue auf dem Deck. Ohne politische Unterstützung und strukturelle Lösungen für die Energieversorgung werde es schwer bleiben, die deutsche Glasindustrie wettbewerbsfähig zu halten.
Das Unternehmen hat über die Marke Weck hinaus eine große Relevanz für die Lebensmittelindustrie. Beim Thema Verpackungsglas spielen die Bonner eine gewichtige Rolle. Zum Beispiel werden die markanten Gläser des Deutschen Imkerbundes ausschließlich in Bonn hergestellt. In der modernen Lebens­mittelindustrie und in der Catering-Branche sind Weckgläser fast unverzichtbar. Sie werden in Autoklaven erhitzt, um die Lebensmittel haltbar zu machen. So lassen sich große Mengen an Lebensmitteln sicher und effizient konservieren. Die besondere Ästhetik der Gläser leistet bei der Präsentation der Gerichte beim Kunden einen Zweitnutzen: Sie sorgt für Aufmerk­samkeit.

Wiedererweckung durch Kundenzentrierung

Derzeit investiert Weck verstärkt in Vertrieb und Marketing. Außerdem wurde bereits an einer einheitlichen Markendarstellung über alle Vertriebskanäle hinweg gefeilt. Bisher präsentierten die Handelspartner die Marke Weck jeweils auf ihre Weise. Der frühere Eigentümer wollte beim Vertrieb sparen. Was unglaublich klingt, führte dazu, dass der Konsument die Marke nicht mehr einheitlich wahrnehmen konnte. Ein Schreckensszenario für Markenexperten und im Ergebnis ein Negativbeispiel für die Lehrbücher. Jetzt aber heißt es: Weck muss wiedererkennbar werden – und zwar überall, wo der Konsument auf die Produkte aus der Bundesstadt am Rhein trifft. In diese klare Ansage bezieht Weck die bisherigen Vertriebspartner ein: Auch in Zukunft werden Wiederverkäufer wie etwa die Dosenzentrale Züchner eine wichtige Rolle im Vertriebsnetz spielen. Doch die alten Gesetzmäßigkeiten bleiben unumstößlich: Das Unternehmen war einst ein Pionier fürs Haltbarmachen. Im besten schumpeterschen Sinne muss das neue Weck wieder dynamisch werden und innovative Segmente besetzen. Dafür braucht es Kundenverständnis und Vertriebskontakte.

Erste Neuheiten kommen in Kürze auf den Markt, etwa ein Fermentierset im neuen Branding mit dem modernisierten Erdbeerlogo. Zusätzlich werden bunte Frischhaltedeckel und Verschlusskonzepte für To-go-Anwendungen sowie weiteres Zubehör das Sortiment erweitern, um den vielfältigen Einsatzbereichen der Gläser gerecht zu werden. Themen wie Storage und Aufräumen sollen nach Aussagen von Gesing demnächst die vielfältigen Möglichkeiten der Marke Weck unterstreichen. Es gehe darum, Kaufanlässe zu erzeugen, die Impulse generierten. Gesing verspricht dem Handel durchdachte Konzepte inklusive differenzierter Preisstellungen, die Mehrwert in Verbindung mit Rezeptideen aus der Weck-Welt schaffen sollen.

Erdrückende Energie- und Rohstoffpreise

Die Glasproduktion steht nie still. 24 Stunden an allen Tagen des Jahres werden die Glaswannen überwiegend mit dem Hauptenergieträger Gas auf Temperaturen zwischen 1.400 und 1.600 Grad Celsius gehalten. Weck hat immer wieder in die Energieeffizienz seiner beiden Glaswannen investiert. Trotzdem: Das Schmelzen von Glas bleibt ein energieintensiver Prozess – und deshalb teuer. Mit dem Ukraine-Krieg schoss der Erzeugerpreisindex des Statistischen Bundesamts in die Höhe, von 114,7 im Februar 2022 auf 155,3 im Januar 2023. Gründe für den kräftigen Anstieg waren die steigenden Energie- und Rohstoffpreise. So war Soda, das bei der Glasproduktion verwendet wird, im Januar 2023 um 58,5 Prozent teurer als im Vorjahresmonat, Quarzsand kostete 30,4 Prozent mehr und gemahlener Kalkstein 27,3 Prozent. Zu viel für das Unternehmen Weck, das wegen der fehlenden Vertriebsstruktur nicht direkt mit den Kunden über Preisanpassungen sprechen konnte.

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