Brot- und Backwaren Bake-off statt Bäckerei

In einem schrumpfenden Markt bleibt der Preis für Verbraucher das Maß der Dinge. Das spüren vor allem Bäckereien. Wie gewinnen und halten Vollsortimenter diese Kunden? Promotions reichen nicht.

Montag, 19. Februar 2024 - Sortimente
Susanne Klopsch
Artikelbild Bake-off statt Bäckerei
Bildquelle: Getty Images

Steigende Mieten, höhere Treibstoffkos­ten, immer teurere Energie: Es wundert nicht, dass die eh schon preissensiblen Konsumenten auch beim Einkauf der Dinge für den täglichen Bedarf sparen, also etwa bei Brot. 41 Prozent von ihnen gehen in den Discount, 38 Prozent steuern Supermärkte an (Yougov Germany „FMCG-Mini-Report 2023“; veröffentlicht Anfang Januar 2024).

Das hat direkte Folgen in allen anderen Vertriebslinien, von Lebensmitteleinzelhandel (LEH) bis Handwerksbäckerei. Discounter haben im Normalfall keinen Vorkassenzonenbäcker, hier sind Bake-off-Station – idealerweise mit den Schnelldrehern eines regionalen Bäckers bestückt – und SB-Regal Anlaufstellen für Shopper. Filialbäckereien, Handwerksbäcker sowie das Außer-Haus-Angebot für den Direktverzehr in Supermärkten erreichten zwar im November 2023 gegenüber November 2022 ein Umsatzplus von 12,8 Prozent (Quelle: Crest Deutschland, das Circana-Konsumentenpanel). Das ist aber vornehmlich preisgetrieben: Zum einen stieg die Zahl der Besucher nur um 6,5 Prozent. Und zum anderen fehlen im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 immer noch 11,5 Prozent der Besuche. Circana-
Account-Managerin Patricia Stephan: „Unter anderem wegen des anhaltenden Homeoffice werden diese Besucherzahlen auch nicht mehr vollständig zurückkehren.“

Lediglich die Bäcker verzeichnen bei der Anzahl der Besuche ein zartes Plus von 0,6 Prozent. „Das Wachstum kommt dabei ausschließlich aus den Ketten beziehungsweise Filialbäckereien“, sagt Stephan. Hier liegt das Plus gegenüber Vorjahr bei 10,1 Prozent, während die klassischen Handwerksbäcker ein Minus von 8,9 Prozent bei den Besuchen verkraften müssen. Schwächer ist insgesamt auch das Wachstum der in der Vertriebsschiene Bäckerei verkauften Produkte. Der Gesamtmarkt wächst bis November 2023 gegenüber Vorjahr zwar um 10 Prozent. Im Supermarkt wurden in diesem Zeitraum allerdings 17,4 Prozent mehr Produkte aus dem Segment Backwaren/Gebäck verkauft, in den Bäckereien nur 5,8 Prozent mehr. Handwerksbäcker müssen wirklich um jeden Kunden kämpfen.

Schaut man auf die Preisentwicklung, dann ist es fast verständlich, dass die Bundesbürger die Cents beisammenhalten. „Die Verbraucherpreise für Brot und Brötchen sind 2023 gegenüber 2022 um weitere 12,5 Prozent gestiegen, nachdem sie 2022 bereits um 13,5 Prozent gestiegen waren“, sagt Dr. Susanne Eichholz-Klein, Mitglied der Geschäftsleitung am IFH Köln (Institut für Handelsforschung). Gegenüber 2020 liegt das Plus bei den Verbraucherpreisen für Brot und Backwaren sogar bei 32,5 Prozent, für andere Backwaren bei einem Plus von 40,6 Prozent.
Etwas Positives hat Eichholz-Klein dennoch ausgemacht: „Die Preissteigerungen haben nachgelassen, das heißt, dass sie sich nach wie vor auf hohem Niveau bewegen, aber mit weniger großen monatlichen Steigerungen.“ So liege das Preisplus im zweiten Halbjahr 2023 für Brot und Brötchen um 1,5 Prozent über der Preissteigerung im ersten Halbjahr 2023 und für andere Backwaren bei 3,7 Prozent. Am hohen Preisniveau werde sich aber 2024 nichts ändern, prognostiziert Eichholz-Klein: „Die Konsumenten werden weiterhin umschichten und beispielsweise verstärkt im Discounter kaufen oder weniger Feinbackwaren kaufen.“

Diese Verschiebungen haben nach Branchenexperten inzwischen auch konkrete Auswirkungen auf die Backtheken im klassischen LEH: So gebe es vereinzelt, vor allem im Süden, Händler etwa der Edeka, die ihre Theken zumindest in Teilen auf SB umrüsten. Ein Thema, das in der Branche seit dem Ukraine-Krieg und den damit verbundenen Preissteigerungen diskutiert wird.

Wachstum über Promotions
Welche Absatzbedeutung die Vertriebslinie Discount hat, das zeigen Zahlen von NielsenIQ für 2023 (siehe auch Grafiken S. 63 und 65). Zwei Entwicklungen sind dabei signifikant: Zum einen geht die Menge des konsumierten Brotes in LEH und Drogeriemärkten insgesamt zurück (2023 um 2,3 Prozent gegenüber Vorjahr), zum anderen wird bald ein Viertel des Umsatzwachstums von 432,4 Millionen Euro mit Promotions erwirtschaftet. Deren Anteil am Gesamtumsatz liegt bei 10,6 Prozent 2023, ein Jahr zuvor waren es 8,9 Prozent. Dass der Absatz (in Mio. kg) insgesamt lediglich um 2,2 Prozent schrumpfte, ist dem um 20 Prozent gestiegenen Absatz über Promotions zu verdanken. Die außerhalb von Aktionen verkaufte Menge ging um 4,5 Prozent zurück.

Gleichzeitig hat sich laut GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) das Einkaufsverhalten insgesamt geändert: „Auf der Suche nach dem besseren Preis waren die Menschen bereit, mehr Zeit aufzuwenden und in unterschiedlichen Vertriebsschienen einzukaufen, um Geld zu sparen“, heißt es im Consumer Index. One-Stop-Shopping war einmal, die Preisjäger sind zurück.

Tiefkühltruhen: Brötchen ein Renner
Kunden, die auf frisch aufgebackene Brötchen nicht verzichten wollen, haben 2023 die Tiefkühltruhen des Handels für sich entdeckt: „Auch in der angespannten Marktsituation 2023 waren diese weiterhin stark nachgefragt“, sagt Dr. Sabine Eichner, Geschäftsführerin des Deutschen Tiefkühlinstituts. „Dabei treiben vor allem neue TK-Brötchenkäufer das Wachstum.“ Der ganze Markt sei in Bewegung durch die Verschiebung vom Bäcker zum LEH. Daher spielten „starke Marken eine bedeutsamere Rolle, denn sie bieten Vertrauen und Halt in unsicheren, bewegten Zeiten“.

Das Produkt „Unsere Goldstücke Weizenbrötchen“ von Coppenrath & Wiese gibt es bereits seit 1996. Derzeit werden auch sie verstärkt nachgefragt: „Sie sind der Artikel mit der höchsten Rotationsleistung in der Tiefkühlabteilung“, sagt Dorothee Reiering-Böggemann, Bereichsleitung Marketing der Conditorei Coppenrath & Wiese, mit Blick auf NielsenIQ-Zahlen. Und fügt hinzu: „Weizenbrötchen sind nach wie vor die beliebteste Sorte.“ Gerade wurde die Range um die körnerlose Variante „Weizen Vollkorn-Brötchen“ aus 100 Prozent Weizenvollkornmehl erweitert. „Damit können wir gleichzeitig die steigende Nachfrage nach Produkten im Rahmen einer gesünderen und bewussteren Ernährung bedienen“, sagt Reiering-Böggemann.

Bei der Anuga stellte Harry-Brot seine aus der Backstation sowie als Aufbackprodukt bekannten Rosenbrötchen als tiefgekühlte Variante für die Truhen des Handels vor. Mit Erfolg. „Wir sind mit den beiden Sorten ‚Mein Brötchen Dinkel rustikal + pur‘ und ‚rustikal + kernig‘ gestartet, konnten so erste Impulse setzen und werden diese Range in Kürze ausbauen“, sagt Frank Kleiner, CEO Harry-Brot. Die Linie trägt den Namen „Harry Mein Brötchen“, die Produkte sind zu 100 Prozent aus Dinkel hergestellt. Für Endverbraucher erweitern sie das Angebot in den TK-Truhen um derzeit zwei rustikal-kräftige Varianten.
Großbäcker Mestemacher verbuchte 2023 mit 170 Millionen Euro Nettoumsatz einen Rekord. Dazu trugen nicht nur die Vollkornspezialitäten oder die internationalen Brote bei: Prof. Dr. Ulrike Detmers hob ausdrücklich die tiefgekühlten Plattenkuchen unter der Marke Aerzener hervor. Klassiker wie Bienenstich und Donauwelle gehören ebenso zum Angebot wie ein veganer Obstkuchen.

„Für Produkte mit authentischen Rezepturen à la française verzeichnen wir eine steigende Nachfrage“, sagt Christina Köstler, Marketing Déli­france Deutschland. Das TK-Sortiment umfasst französische Klassiker wie Croissants, Pains au Chocolat und Rosinenschnecken. „Ein Bestseller in unserem TK-Sortiment für den SB-Bereich ist unsere Packung mit sechs Croissants à 55 Gramm.“

SB-Regal: Trommeln für die Marke
Der Toastbrot-Boom ist 2023 etwas abgeebbt. Das Konzept dieser Brote ist beim Kunden aber dennoch beliebt. Frank Kleiner, CEO von Harry-Brot: „Die Kategorie Toast war im letzten Jahr leicht rückläufig, Sandwich hingegen hat sich im Absatz positiv entwickelt und zählt zu den stärksten Kategorien im Markt.“ Zum kürzlich gelaunchten Eiweißsandwich werde sich bald ein bestreutes kerniges Sandwich gesellen. Neu sind zudem die geschnittenen Ganzbrote unter der Marke „Harry Anno 1688“. Die Brote haben dank eines Anteils Schweizer Ruchmehls einen etwas kräftigeren, herzhaften Geschmack. Die Packung mit 400 Gramm hat eine UVP von 2,29 Euro.

Auch bei Lieken ging nach den Worten von Felix Neuberger im vergangenen Jahr marktkonform die Tonnage insgesamt zurück, also sowohl im Marken- als auch im Private-Label-Geschäft. Für 2024 ruft der Head of Marketing das „Jahr der Marke“ aus: „Wir werden viel stärker die Markenwerte von Golden Toast und Lieken Urkorn kommunizieren.“ Bei Golden Toast ist sogar „die größte Marken-Offensive seit zehn Jahren geplant“. Der Fokus liegt auf den Sandwiches. Neben neuen Produkten und einem Facelifting für die Verpackungen ist die „musikalische Unterstützung einer ‚Golden Personality‘ geplant“.
Los geht es aber im März mit der neuen Range Aufbackbrötchen, den „Golden Toast Meisterbrötchen“. Aufbackware verzeichnet etwa 25,8 Millionen Käuferhaushalte, sagt Neuberger und verweist auf Zahlen der GfK von September 2023. „Mit dem Produkt bieten wir Verbrauchern Bäckerqualität zum Aufbacken in den eigenen vier Wänden.“

Mestemacher fokussiert weiter auf die gesundheitsbewussten Konsumenten. Die Zusammenarbeit mit dem eingetragenen Verein Deutsche Diabetes-Hilfe wird fortgesetzt. Ein Empfehlungsbutton auf den Verpackungen soll auf die Vorzüge bei Zusammensetzung und Ballaststoffgehalt zum Beispiel von Broten wie „Unser Pures“ oder „High Protein Brot – fein“ aufmerksam machen.

Prebake: das besondere Etwas
Wer nicht mehr beim Handwerksbäcker oder an der Vorkassenzone einkauft, der sucht automa­tisch die Backstationen im Handel auf. Und kann durch Produkte mit einem gewissen Etwas abgeholt werden. „Wir erleben eine signifikante Nachfrage nach Innovationen beim Handel“, sagt Steffen Göhringer. Gleichzeitig spricht der Direc­tor Marketing Aryzta Food Solutions von Genussmomenten und kleinen Belohnungen im Alltag, die die Kunden suchten. Der Trend gehe zu mehr Einfachheit: Er meint damit „Produkte, die es ermöglichen, eine Kaufentscheidung ohne weiteren Informationsbedarf zu treffen“. Immer mehr Produkte seien zudem vorgebacken, was das Handling für die Mitarbeiter erleichtert. Welche Rolle spielt da der Preis? „Ich bin überzeugt, dass es nicht darum gehen darf, Backwaren möglichst billig anzubieten. Wir richten den Fokus auf den wahrgenommenen Wert von Produkten, nicht auf den Preis. Den Lebensmittelhandel unterstützen wir mit Innovationen, um nicht beim Verbraucher abgespeicherte Preispunkte für häufig gekaufte Produkte zu triggern.“ Überraschend viele Kaufende könnten die Preisstellung einer Laugenbrezel präzise einschätzen. Weicht der aufgerufene Preis zu stark davon ab, wird die Ware als zu teuer empfunden. „Bei einem Kokos-Ananas-Twister kann dies nicht eingeschätzt werden. Diese saisonalen Sortimentsergänzungen verhelfen zur Margensteigerung“, sagt Göhringer.

Auch Délifrance erreichen „trotz des anhaltenden Preiskampfes immer mehr Anfragen nach hochwertiger Viennoiserie und rustikalen Produkten mit dem gewissen Etwas“, sagt Christina Köstler, Marketing von Délifrance Deutschland. Vor allem Viennoiserie-Klassiker (französische Croissants, Pains au Chocolat) sorgten für ein Absatzplus. Neu seien zudem die rustikalen, handgefertigten Brötchen namens Boules sowie die Petites Baguettes für die Backstation.

Genuss, Convenience, Gesundheit, Marken, vernünftige Preise: Für Endverbraucher sind sie Anker in einer herausfordernden Zeit. Für Vollsortimenter bieten sie Profilierung im harten Wettbewerb.

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