Auf Jubel folgte Ernüchterung: Nach dem Corona-Hoch bekam der Bio-Fachhandel die hohe Inflation und Kaufzurückhaltung der Bundesbürger zu spüren. Insolvenzen und die Debatte um fehlende Differenzierung waren die Folge. Zwar stabilisierte sich der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln 2023, profitieren konnte jedoch erneut der LEH. In der Studie „Zeitenwende im Bio-Fachhandel“ hat die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn Thesen und Vorschläge zur weiteren Entwicklung des Bio-Fachhandels veröffentlicht. Doch wie realistisch sind diese? Und welche Lösungen sieht Bio-Pionier Alnatura? Die LP sprach mit Alnatura-Gründer und Geschäftsführer Prof. Dr. Götz Rehn und Petra Schäfer, Geschäftsführerin Einkauf und Sortiment.
„Der Bio-Fachhandel läuft Gefahr, in die Belanglosigkeit zu versinken“, mahnte Prof. Dr. Stephan Rüschen (DHBW) bei Vorlage der Studie. Eine Einschätzung, die Rehn nicht teilt: „Wir haben in Deutschland rund 35.000 Verkaufsstellen für Bio-Lebensmittel inklusive der Drogeriemärkte und 2.200 Bio-Märkte. In Relation ist der Umsatzanteil des Bio-Fachhandels mit einem Drittel am Gesamtvolumen sehr hoch.“ Er sieht jedoch auch Versäumnisse. Grundsätzlich entwickele sich jede Branche am besten, wenn das Prinzip der Kooperation gut gelebt und Unterscheidungsmerkmale für Kunden erlebbar würden. „Beide Impulse hätten in der Bio-Branche in den vergangenen 30 Jahren intensiver sein können.“
Prozent steuerte der Bio-Fachhandel 2023 zum Bio-Gesamtumsatz bei.
Prozent betrug der Marktanteil des Bio-Fachhandels im Jahr 2021.
Quelle: DHBW Heilbronn
Damit stimmt er einer der zentralen Forderungen der DHBW zu: „Der Bio-Fachhandel sollte seine Positionierung schärfen, um im Wettbewerb mit dem LEH langfristig bestehen zu können.“ Für Petra Schäfer geht es dabei um ein exzellentes, kuratiertes Sortiment zum optimalen Preis-Leistungs-Verhältnis, gepaart mit guten Mitarbeitern für die Kundenberatung: „Nur wenn man diese Punkte in der Summe bearbeitet, wird ein Markt zur präferierten Einkaufsstätte.“ Das Rezept für Alnatura: „Bei der hohen Einzelhandelsdichte in Deutschland müssen wir exklusive Angebote bieten, damit Kunden die Extrameile zu uns gehen“, so Rehn. Dazu zähle auch die neue exklusive Eigenmarke BioMio für italienische Spezialitäten.
Kooperationen sind der Schlüssel
Damit sind wir bei der nächsten These: „Handelsmarken haben im Bio-Markt eine überdurchschnittliche Bedeutung. Ein Bio-Händler benötigt daher ein kompetentes Bio-Handelsmarkensortiment.“ Rehn bestätigt: „Bio-Handelsmarkenanteile kommen in LEH und Drogerien anteilig auf rund 62 Prozent, im konventionellen Bereich liegen Handelsmarken bei nur 40 Prozent.“ Alnatura forciert den Bereich und hat mit der Preiseinstiegsmarke Prima! Alnatura und der BioMio zwei neue Eigenmarken eingeführt, die ausschließlich in den eigenen Alnatura-Märkten erhältlich sind.
Kritisch sieht Rehn die drei von der DHBW vorgeschlagenen Differenzierungsansätze für den Fachhandel: Die Umstrukturierung des Bio-Fachhandels in ein Genossenschaftsmodell in Analogie zu Edeka und Rewe sieht er als konstruiert und weg von der Bio-Realität. „Das ginge nur durch Kooperationen, aber dafür müsste die Branche weiter sein“, meint er. Auch der zweite Vorschlag, eine Positionierung als Fachhandel mit gesunden und nachhaltigen Sortimenten im Stil von Whole Foods, aber nicht zu 100 Prozent Bio, überzeugt Rehn nicht. „Die Mischung von Bio und anderen Sortimenten finden Kunden ja schon im LEH. Wenn der Kunde zu uns in den Bio-Fachhandel kommt, sucht er das klare, zuverlässige Bio-Sortiment.“ Alle Whole-Foods-Märkte in London seien wenig erfolgreich, urteilt er. Mehr abgewinnen kann der Bio-Pionier dem Vorschlag des Community-Modells. Solche Modelle binden die Kunden als Mitglieder oder Teilhaber ein. Dies sei eine interessante Idee, die jedoch nur in wenigen Großstädten funktionieren würde.
Stattdessen ist für Rehn Kooperation „das Zauberwort“. Daher habe Alnatura das Konzept der Partnermärkte begonnen. „Aktuell stellen wir 27 Partnermärkten das Sortiment und somit die Leistung unserer rund 50 Mitarbeiter im Einkauf zur Verfügung. Einzige Bedingung: Sie müssen das nehmen, was wir haben. Wir sind kein Großhändler und wollen auch keiner werden.“ Schäfer kann sich auch andere Kooperationen vorstellen: „Der Kunde hat heute andere Erwartungen an Einkaufsstätten auch im Hinblick auf Digitalisierung, Kassensysteme, Self-Check-outs etc. Ein kleiner Mittelständler ist gar nicht in der Lage, Investitionen in die Entwicklung neuer Lösungen zu stemmen. Die Frage ist: Muss ich alles selbst machen oder gibt es für wesentliche Geschäftsfelder Kooperationsmöglichkeiten? Diese muss man suchen, wenn man nicht zu den Big Playern gehört.“