Brot und Backwaren „Fabrikbrot-Image“ ist passé

Abgepacktes Brot schlägt lose Ware aus der Backstation: Corona sorgt für neue Kräfteverhältnisse bei Brot- und Backwaren im Handel. Mit ungewissen Folgen für die Backstationen. Ein Blick auf den Markt.

Mittwoch, 26. August 2020 - Sortimente
Susanne Klopsch
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Bildquelle: Carsten Hoppen

Mehr als 21 Prozent Umsatzwachstum in Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) sowie Drogeriemärkten (DM) im aufgelaufenen ersten Halbjahr 2020 (inklusive Juni): Aufbackwaren waren der Renner im Segment Brot- und Aufbackwaren. Der Absatzzuwachs (konv.) liegt nach den Zahlen der Marktforscher von Nielsen bei satten 19 Prozent – Corona, Lockdown und Hygienevorschriften wirbeln das Segment Brot ordentlich durcheinander (siehe auch S. 42 und 43). Aufbackbrötchen und Co. stehen damit für 21,5 Prozent Marktanteil, ein Plus von 2,2 Prozentpunkten. Insgesamt legte der Markt für Brot- und Backwaren gegenüber der Vorjahresperiode um 8,9 Prozent zu auf knapp 1,47 Milliarden Euro.

Herausforderung für Produktion
Vorratshaltung statt Frische war angesagt – und damit gingen Aufbackwaren, Toast- und Sandwichbrote weg wie warme Semmeln; weniger gefragt hingegen Produkte aus den Backstationen. Diese plötzlich eintretende Nachfrageveränderung wirbelte die Produktionsabläufe in der Industrie durcheinander: „Besonders die extremen Volumenveränderungen zwischen den einzelnen Technologien war für uns herausfordernd“, sagt etwa Andreas Utasch, Lieken-Vorstand für Vertrieb und Marketing. Harry-Brot straffte kurzfristig die Sortimente und fuhr, wie viele andere auch, Sonderschichten (s. S. 50). So sorgte die backende Branche weiter für volle Regale im Handel.

Für diese Vorratskäufe steuerten die Bundesbürger im ersten Halbjahr verstärkt die Verbrauchermärkte an: Strenge Hygieneregeln und die allgemeine Sorge um die Gesundheit machten One-Stop-Shopping zum Gebot der Stunde für viele. 612,4 Millionen Euro wurden in Verbrauchermärkten mit Brot- und Aufbackwaren umgesetzt (Nielsen, erstes Halbjahr 2020 gegenüber Vorjahresperiode), ein Plus von 67,5 Millionen Euro mehr (12,4 Prozent). Der Discount steht weiterhin für rund die Hälfte des Umsatzes, wuchs mit 6,3 Prozent auf 723 Millionen Euro Umsatz aber nur halb so stark wie die Konkurrenz.

Die Umsatzzuwächse bei Brot im LEH sind laut Dr. Susanne Eichholz-Klein, Leiterin Market Insights am IFH Köln, nicht nur Folge der pandemiebedingten One-Stop-Shopping, sondern auch Folge des Trends zum „Cocooning“: „Die Menschen zogen sich zurück in die eigenen Wände. Es wird wieder verstärkt gemeinsam Abendbrot gegessen, auch ganz klassisch mit Brot plus Wurst oder Käse.“ Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) beobachtete etwa im April eine zweistellig erhöhte Mengennachfrage nach Belag für Brot und Brötchen, wie etwa Käse, Wurst oder süße Brotaufstriche.

Schnittbrot verhalten gewachsen
Die Nielsen-Zahlen der einzelnen Kategorien zeigten aber auch, dass Schnittbrot vom Verbraucherwunsch nach Vorratsbildung in der Krise lange nicht so profitierte. Von den im ersten Halbjahr in LEH und DM umgesetzten 1,47 Milliarden Euro für Brot- und Aufbackwaren wurden mit Schnittbrot aus dem SB-Regal 488,6 Millionen Euro erzielt: Das sind „nur“ 2,7 Prozent mehr – bei einem um zwei Prozentpunkte gesunkenen Marktanteil von derzeit 33,2 Prozent.

Wobei der zweite Blick lohnt: So berichtet etwa Marius Rupieper von Start-up „B. just Bread“: „Wir verzeichnen eine deutlich verstärkte Nachfrage bis hin zur Verdopplung der Verkaufsmenge.“ In allen Bereichen wurden die Kapazitäten hochgefahren, neue Mitarbeiter eingestellt und weitere Schichten hinzugefügt. Die Ausgründung aus der Gelsenkirchener Bäckerei Prünte hat sich die verlängerte Frische auf die Fahnen geschrieben: Die kernigen Brote halten bis zu 42 Tage frisch. Mit modernen Rezepturen und Inhaltsstoffen plus aufmerksamkeitsstarker Verpackung wurden über Social-Media-Kanäle vor allem jüngere Konsumenten angesprochen. „Pumpernickel hat sich zu einem Selbstläufer entwickelt“, sagt Rupieper. Aktuell freuen sich die Gelsenkirchener über zwei neue Handelslistungen.

Sonderschichten gefahren, nahezu durchproduziert: Auch bei Handelsmarken-Spezialist Sinnack Backspezialitäten führte die Pandemie mit ihren Beschränkungen zu einer unterm Strich erfreulichen Entwicklung „Wir rechnen für dieses Jahr mit einem circa zweistelligen Wachstum gegenüber 2019“, sagt Lena Sinnack, Mitglied der Geschäftsleitung. Verlierer im Sortiment habe es nicht gegeben, sagt Liesel Schlüter, Leitung Verkauf: „Gewinner waren vor allem die Mehrwertprodukte und die als Grundlage für Snacks zu nutzenden Produkte wie das Steinofenbaguette, Steinofenbrötchen sowie die Tortillas.“ Sie geht davon aus, „dass die Bevorratung auf Dauer höher sein wird als in der Vor-Corona-Zeit“. Für das Unternehmen genieße daher die ausreichende Warenversorgung Priorität, „die gemeinsame Lösungssuche, um möglichst viel Ware in die Filialen zu bekommen, ist noch wichtiger geworden“.

Sonderprämie für Mitarbeiter
„Das Fabrikbrot-Image gehört der Vergangenheit an“ : So bewertet Prof. Dr. Ulrike Detmers, Sprecherin der Mestemacher-Gruppe, den Wandel des Stellenwertes von verpacktem Brot beim Konsumenten. Da Experten voraussagten, dass die Pandemie die Gesellschaft noch bis Ende 2021 verändern werde, „prognostiziere ich eine weiterhin starke Nachfrage nach hygienisch verpacktem Brot“. Um die „Nachfrageexplosion“ zu stemmen, wurden Sonderschichten in den Backstuben gefahren: „Wir haben uns mit 260.000 Euro steuerfreier Corona-Prämie für die gesamte Belegschaft bedankt“, sagt Detmers.

Verlierer im Segment Brot- und Backwaren des Handels waren die losen Backwaren aus den Backstationen. Das Dauerthema Hygiene verdarb den Konsumenten den Appetit. Und der wird sich nach Einschätzung von Lieken-Vorstand Andreas Utasch wohl auch nicht so schnell wieder einstellen. Seit Ausbruch der Pandemie befragt der Großbäcker über ein externes Mafo-Institut monatlich repräsentativ Verbraucher zu ihrem Einkaufsverhalten. „Zum Punkt Backstationen festigt sich eine deutlich rückläufige Entwicklung, die wir auch in unseren Absatzzahlen bestätigt sehen“, sagt Utasch. Die Verbraucher werden bei Backstationen stark zurückhaltender bleiben, so seine Prognose, „denn auf der einen Seite beim Einkauf eine Maske zu tragen, was uns noch lange begleiten wird, und auf der anderen Seite nicht verpackte Ware zu kaufen, ist für die meisten Befragten hygienisch nicht stimmig.“

Was bedeutet das für die Zukunft der Backstationen im Handel? Lieken-Vorstand Utasch: „Es gibt bereits erste Überlegungen im Handel, auf Backstationen komplett zu verzichten und den wachsenden SB-Segmenten mehr Fläche zu geben, das heißt, den Marktveränderungen gerecht zu werden beziehungsweise vorbereitet zu sein. Letztendlich gehören Backstationen zu den kostenintensiven Flächen eines Marktes.“

Lieken reagiert auf das veränderte Kaufverhalten der Kunden mit „Bake-off-Artikeln für Daheim“: Das „Back-mich“-Sortiment wurde um vier länger haltbare Ganzbrote zum Aufbacken erweitert. Die Brote (430 bis 450 Gramm) sind 30 Tage haltbar. Ein reichweiter TV-Spot und PoS-Maßnahmen begleiten den Launch.

Zum 1. März hat Lieken auf Zentrallagerbelieferung des Handels umgestellt. Das hat sich laut Utasch ausgezahlt in der Pandemie: „Viele Märkte sind froh und dankbar, dass sie sich in einer Zeit, als es Besuchsverbote für Außendienstmitarbeiter gab, aus dem umfangreichen Zentrallagersortiment beliefern lassen konnten.“

Für TK-Großbäcker Aryzta spricht Steffen Göhringer von einer „im Wochenvergleich deutlichen Erholung der Bake-off-Stationen“. Der Leiter Product Management Aryzta Deutschland empfiehlt für unterstützende Kaufimpulse Aktionen im Handel sowie „das Sortiment aus einer starken Basis heraus zu erweitern und sukzessive auch den Anteil an To-go-Produkten zu erhöhen“. Da die Kunden weiterhin in Sachen Hygiene sensibilisiert seien, könnten „entnahmefreundliche Produkte“ Appetit und Kauflust fördern – also Produkte, die keine Spuren von Belag oder Füllung am Sichtfenster oder der Warenschütte hinterließen. Verlierer der Corona-Zeit sind für Aryzta herzhafte und süße Snacking-Produkte – die Kundschaft fiel wegen Homeschooling und Homeoffice weg. Zusätzlich zum vorhandenen Sortiment an verpackten Produkten, die als MAP-Ware entweder gekühlt oder gefroren angeboten werden, launchte Aryzta kurzfristig ein Sortiment verpackter Brötchen. Wie bewertet Göhringer das kommende Geschäftsjahr, das für Aryzta schon am 1. August begann: „Wir haben im zweiten Quartal 2020 Erfahrungswerte gesammelt, die uns, unabhängig von der Pandemie, mehr Handlungssicherheit geben. Wir gehen daher optimistisch ins neue Geschäftsjahr.“

In den vergangenen Jahren profilierten sich auch die Bäcker in den Vorkassenzonen des LEH mit einem immer ausgefeilteren Sortiment an Snacks wie belegten Brötchen, Wraps oder Salaten, dazu gab es Kaffee zum Mitnehmen: „Dieses Geschäft wird zeitweilig gelitten haben und bleibt aus meiner Sicht 2020 wohl auch weiter schwierig“ sagt Susanne Eichholz-Klein (IFH Köln). Die Bereitschaft vieler Unternehmen, stärker als bisher auf Homeoffice zu setzen, die weiter bestehenden Hygiene- und Abstandsregeln in der Pandemie machten die Einschätzung für 2020 aber sehr schwierig.

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