Tierwohl Drei Beispiele Bauern mit Seele - Bauern mit Seele Teil 2: Heiko Rau

Artgerechte Nutztierhaltung in der konventionellen Landwirtschaft – was sich der Verbraucher dringend wünscht, stellt die Betriebe vor zum Teil massive Herausforderungen. Die LP sprach mit drei Landwirten über den Spagat zwischen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit.

Donnerstag, 22. September 2016 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Bauern mit Seele - Bauern mit Seele Teil 2: Heiko Rau
Über eine automatisierte Fütterungsanlage bekommen die Hennen fünf Mal täglich ein Gemisch aus Mais-Silage und Luzerne für Darmgesundheit und Beschäftigung. Ab der 60. Lebenswoche wird Muschelkalk hinzugemischt, zur Unterstützung der Eischale.
Bildquelle: Reinhard Rosendahl
Heiko Rau

Größe sichert Überleben
Ein typischer Bauer ist er wohl nicht – auf Gut Dotzelrod bei Alsfeld lebt und arbeitet Heiko Rau. Der 43-jährige Landwirtschaftsmeister ist hier groß geworden. Dass er mal Schweine mästen würde, war nicht Bestandteil seiner Lebensplanung. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Doch als 2006 der Ruf vom Vater kam, übernahm er den Hof.

Der „Hof“ – das sind 350 ha bewirtschaftete Fläche – 100 davon in Eigentum – und Ställe für etwa 2.500 Schweine. „In der Produktionskette ist der Landwirt gezwungen, günstig zu produzieren“, sagt Rau, „die Größeneffekte helfen beim Kostensparen und sichern letztlich das Überleben.“ Nur durch Größe und maschinelle Arbeit sei das zu schaffen. Dass dies die Landwirtschaft in die Nähe industrieller Produktion rückt, sieht Rau auch. Aber: „Wir wollen mit Arbeitseinsatz, Know-how und Liebe zur Landwirtschaft im Einklang mit der Natur gesunde Nahrungsmittel produzieren.“

Was sich wie aus dem Marketing-Lehrbuch liest, füllt Rau mit Leben: In Fruchtfolge baut er Weizen, Gerste, Triticale, Roggen, Raps, Mais und Zuckerrüben an. Auf seinen Ackerflächen gewinnt er einen Großteil seiner Futterpflanzen. Er lässt darüber hinaus der Natur Raum: An Gewässern, Waldrändern und anderen ökologisch wichtigen Flächen werden 5 Prozent als ökologische Vorrangfläche zur Erhaltung der Artenvielfalt und des Lebensraums behandelt. Gedüngt wird mit organischem Dünger aus der Schweinemast. Klar werde in der Landwirtschaft zum Teil zu viel Gülle auf die Felder gebracht, gesteht er zu. Für ihn aber kein Problem, weil er ausreichend Flächen hat. Rau will bei der Feldbewirtschaftung auf unnötige Pflanzenschutzmittel und Mineraldünger verzichten. Das ist nicht nur edel und gut, sondern spart auch Kosten.

TA Luft

Die technische Anleitung Luft (TA Luft) soll weiter verschärft werden. Die Pläne ab 2017 würden offene Schweineställen - unter  Tierwohlaspekten vorteilhaft - nahezu unmöglich machen.

Trotzdem geht er Kompromisse ein: In Kunstdünger sieht er nichts Schlimmes, setzt ihn auch nur sparsam ein, da er durch die Fruchtfolge nicht unbedingt darauf angewiesen ist. „Wer Weizen mit viel Backeiweiß produzieren will, muss die Erde vor der Ernte düngen, sonst verliert er Ertrag.“ Und auch bei der Schweinemast kann er nicht komplett mit eigenproduzierten Futter auskommen: Er füttert Zwieback-„Abfälle“ und Molke zu.

Bei der Schweinemast sind ihm vor allem helle, gut durchlüftete und saubere Ställe mit ausreichend Bewegungsfreiheit für jedes Tier wichtig. Dabei sagt er deutlich: „Die vorgeschriebenen 0,75 qm Platz pro Tier sind zu wenig!“ Er hält mindestens 1 qm für sinnvoll. Das würde dann zum Beispiel auch das Schwanzbeißen reduzieren. Das müsste aber der Gesetzgeber vorschreiben, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Rau gibt keine Antibiotika, Hormone und andere Mittel zur Leistungssteigerung. Und auch beim Thema Eberkastration hat Rau seine Meinung. Das sei für das Tier schmerzhaft und unter Tierwohl-Aspekten keine gute Maßnahme, aber ihm fehlen die Alternativen. Betäuben sei schlecht für den Kreislauf der Tiere, hormonbehandeltes Fleisch wolle niemand essen. Zudem sei Eberfleisch wenig akzeptiert, die Fleischvermarkter würden Eberfleisch auch nicht abnehmen.

Ob er schon mal über „Bio“ nachgedacht hat? Natürlich. Aber er wolle nicht zurück zur Landwirtschaft seines Großvaters. Eher denkt er verstärkt über Offenstallhaltung nach, aber auch das sei aktuell noch nicht wirtschaftlich darstellbar. „Ich halte mich an Gesetze und Vorschriften“, sagt Rau. Die seien sehr engmaschig. So nimmt z. B. die TA-Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung von Luft) detailliert Einfluss auf alle baulichen Maßnahmen. „Natürlich ist die Luft- und Geruchsbelastung in der Schweinemast ein Problem“ sagt Rau. „Aber warum soll das bei Strohhaltung kein, im konventionellen Bereich aber ein Riesen-Problem sein?“

Seine Ziele? Rau will weiter wachsen, eine Stallkapazität für 3.500 Schweine schwebt ihm vor, dann könnte er pro Jahr mehr als 10.000 Schweine produzieren.

Bilder zum Artikel

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Bild öffnen Zugefüttert werden Molke und die Produktionsabfälle einer recht bekannten Zwiebackbäckerei.

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