Tierwohl Drei Beispiele Bauern mit Seele - Bauern mit Seele Teil 2: Ingo Mardink

Artgerechte Nutztierhaltung in der konventionellen Landwirtschaft – was sich der Verbraucher dringend wünscht, stellt die Betriebe vor zum Teil massive Herausforderungen. Die LP sprach mit drei Landwirten über den Spagat zwischen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit.

Donnerstag, 22. September 2016 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Bauern mit Seele - Bauern mit Seele Teil 2: Ingo Mardink
Über eine automatisierte Fütterungsanlage bekommen die Hennen fünf Mal täglich ein Gemisch aus Mais-Silage und Luzerne für Darmgesundheit und Beschäftigung. Ab der 60. Lebenswoche wird Muschelkalk hinzugemischt, zur Unterstützung der Eischale.
Bildquelle: Reinhard Rosendahl
Ingo Mardink

Auf eigenes Risiko
Ein heißer Donnerstagmittag im Emsland, der Norddeutsche Rundfunk 1 spielt „Girls, girls, girls“ der britischen Band Sailor, 20.000 Zuhörerinnen auf Hof Mardink wippen zufrieden im Takt dazu. Die meisten „Mädels“, Legehennen der Rasse Novo-Gen mit braunem Federkleid und unkupierten Schnäbeln, sind bei der Hitze lieber im Stall oder im Wintergarten. Sie scharren und picken an Möhren und Luzerneballen, die in Raufen über dem Boden hängen. „Es ist deutlich ruhiger und friedlicher im Stall, wenn wir das Radio laufen lassen“, erklärt Ingo Mardink. 2010 baute der Landwirt im niedersächsischen Wilsum nahe der niederländischen Grenze auf 8,5 ha den Stall für 24.000 Hennen in Freilandhaltung als zweites Standbein zur Milchviehhaltung. Er stallte jedoch 4.000 Tiere weniger ein, gab den Vögeln mehr Platz. Seit 2014 stellte er um auf Hühner mit ungekürzten Schnäbeln – als einer von bisher wenigen unter den konventionellen Betrieben.

Mehr Ruhe in den aufgeregten Hühnerhaufen zu bringen und für ‧Beschäftigung zu sorgen sind wichtige Voraussetzungen für die Haltung von Legehennen mit intaktem Schnabel. Zudem ist mehr Platz erforderlich – Ergebnisse aus der zweijährigen Beratungsinitiative zur „Minimierung von Federpicken und Kannibalismus bei Legehennen“, an der Mardink ab 2014 teilgenommen hat und aus der nun ein Managementleitfaden hervorging. Sie stellt einen Teil der Kampagne „Eine Frage der Haltung – Neue Wege für mehr Tierwohl“ von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt dar.

Seit Jahrzehnten werden in Deutschland die Schnabelspitzen von Legehennen in der konventionellen Intensivhaltung in den meisten Fällen prophylaktisch gekürzt, um Kannibalismus vorzubeugen. Ab Anfang kommenden Jahres soll damit Schluss sein. Im Juli 2015 verpflichtete sich der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft in einer freiwilligen Vereinbarung mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zum Verzicht auf das Kupieren der Schnäbel. Ab Januar 2017 sollen deutschlandweit keine schnabelgekürzten Junghennen mehr eingestallt werden.

Zwei Jahre lang arbeitete Mardink genauso wie 20 weitere Landwirte mit Beratern der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zusammen. Sie begutachteten seine Hennen regelmäßig, erhoben und analysierten Daten zu Gewichtszunahme, Befiederung und Gesundheitsstatus. Zudem war der Austausch unter den Landwirten innerhalb des Netzwerkes ein wichtiger Bestandteil des Projekts. Die Beratungen und Betriebsbesuche gingen auf Kosten des Bundes. Investitionen in neue Technik und Tüfteleien gingen auf die Kappe der Landwirte. Getestet wurden verschiedene Beschäftigungsmaterialien, offene Tränken, die richtige Beleuchtung sowie Futterzusammensetzung.

Mardink ging volles Risiko beim Test von Maissilage zur Förderung der Verdauung sowie als Beschäftigungsmaterial für seine Hennen. Den ersten Test mit Mais-Silage, die er mithilfe eines kleinen Verteilgerätes unter die Tiere brachte, nahmen die Hennen begeistert auf, er stellte sich jedoch als zu arbeitsintensiv heraus. „Ich habe mich selbst beschäftigt, wirtschaftlich war das nicht“, sagt der 40-Jährige. Es musste eine andere Lösung her, und so entwickelte er mit einem kleinen regionalen Betrieb für Elektro-Installationen eine neue Anlage zur automatisierten Fütterung von Mais-Silage. Ein Dreivierteljahr dauerten Planung und Entwicklung.

Projekt mit Erfolg

Die Beratungsinitiative sowie der erschienene Managementleitfaden zur Vermeidung von Kannibalismus und Federpicken zeigen Wege auf, das Schnabelkürzen aufzugeben. Es nahmen 21 Betriebe mit Junghennen -aufzucht und Legehennen - haltung mit insgesamt rund 240.000 Tieren an der Initiative teil.Das Projekt lief über zwei Jahre (bis Ende 2015).

Investition in die Zukunft
Im Schnitt 2 Euro pro Tier investierte der Landwirt in die Anlage inklusive Futtermischer aus der Kälbermast. Unterm Strich sind das rund 40.000 Euro. Mit Hilfe der Anlage konnte er seinen persönlichen Einsatz im Stall auf 1,5 Stunden am Tag reduzieren. Würden Verbraucher und Handel Tierwohl-Maßnahmen honorieren, wäre die Amortisierung in absehbarer Zeit gegeben. Die Realität sieht jedoch anders aus. „Im Schnitt kostet der Mehraufwand für die Haltung von Legehennen mit unkupierten Schnäbeln 3 Cent pro Ei“, erklärt Mardink. Davon bekomme er aktuell jedoch gerade mal 0,25 Euro. 9,25 zahlt ihm sein niederländischer Großhändler, die aktuellen Preise wären einen Deut höher als das, was er im vergangenen Jahr ausgehandelt hatte, aber: „Vertrag ist Vertrag“. Die Eier gehen oft in die Schweiz, wo höhere Preise gezahlt werden als in Deutschland. Der Versuch, über seinen Großhändler direkt mit deutschen Supermarktketten ins Geschäft zu kommen und eine neue Kategorie in der Eiervermarktung zu etablieren, speziell für Eier von Legehennen mit intakten Schnäbeln, die unter Tierwohl-Aspekten gehalten werden, verlief im Sande.

Warum er denn trotzdem in diese Vorleistung geht? „Ich habe ein besseres Gefühl dabei, und 2017 kommt bald“, antwortet er. „Wenn das Gesetz in Kraft tritt, haben wir einen Vorsprung, den wir hoffentlich für uns nutzen können. Wir können minimal Futter einsparen und bekommen mehr Tiere durch. Außerdem kann nur ein Huhn, dem es gut geht, auch Leistung bringen.“ Es geht ihm aber auch um die Zukunft der Familie. Sohn Eike, 12 Jahre alt, sitzt bei der Ernte von Getreide und Mais schon heute oft mit auf dem Trecker und soll irgendwann den Betrieb weiterführen. Da braucht es zukunftsfähige Konzepte. Gerne würde Mardink auf der Freilauf-Fläche mehr Obstbäume pflanzen, die den Tieren zusätzlich Schatten bieten und ihm zu mehr Umsatz verhelfen würden. Oder eine Überdachung mit Photovoltaikanlage. Doch hier scheitert er an den Regulierungen. Eine Zweitnutzung der Fläche wird nicht genehmigt.

Mittlerweile häufen sich die Besuche der Kollegen bei Mardink, einige „alte Hasen“ im Geschäft haben sich bereits intensiv mit ihm über seine Erfahrungen ausgetauscht, sich Rat geholt. Viele der Kollegen machten sich jedoch immer noch keine Gedanken zu den Herausforderungen, die ab 2017 auf sie zukommen werden. Der von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen erarbeitete Managementleitfaden auf Basis der Erfahrungen von Mardink und weiteren Projektbetrieben soll nun der gesamten Branche bei der erfolgreichen Umstellung dienen. Er beinhaltet u. a. Handlungsempfehlungen zur richtigen Gestaltung von Haltungssystem, Besatzdichte, Stallklima, Beleuchtung.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Ingo Mardink hat sich den Herausforderungen in der Haltung von Legehennen mit intaktem Schnabel gestellt. Er setzt u.a. auf eine automatisierte Fütterungsanlage, Saftfutter oder Pickblöcke zur Beschäftigung der Tiere.
Bild öffnen Über eine automatisierte Fütterungsanlage bekommen die Hennen fünf Mal täglich ein Gemisch aus Mais-Silage und Luzerne für Darmgesundheit und Beschäftigung. Ab der 60. Lebenswoche wird Muschelkalk hinzugemischt, zur Unterstützung der Eischale.
Bild öffnen Das Rohrsystem mit Spiralförderung entwickelte Mardink zusammen mit einem kleinen lokalen Betrieb.
Bild öffnen Legehennen mit intakten Schnäbeln benötigen viel Beschäftigung.
Bild öffnen Mindestens 4 qm pro Huhn müssen in der Freilandhaltung für den Auslauf zur Verfügung stehen.
Bild öffnen Christoph Selhorst kümmert sich gemeinsam mit seinem Vater um rund 3.000 Mastschweine. Seit November 2015 wagten sich die Landwirte an die Mast von Schweinen mit intakten Schwänzen.
Bild öffnen Mehr Platz, offene Tränken sowie Futterautomaten (vorne im Bild) und andere Beschäftigungsmaterialien: So sieht das Angebot für die Langschwänze aus.
Bild öffnen Rund 80 Prozent des Hauptfutters für die Schweine, ein Frischkornbrei, erzeugen Selhorsts auf ihrem Hof selbst.
Bild öffnen Die Zusammensetzung des Flüssigfutters wird genau auf das Alter abgestimmt.
Bild öffnen 230 Schweine mit unkupierten Schwänzen wurden im aktuellen Durchgang eingestallt.
Bild öffnen Heiko Rau, studierter Wirtschaftswissenschaftler und – mittlerweile – überzeugter Schweinemäster.
Bild öffnen Verfüttert wird möglichst viel an eigenproduziertem Futter.
Bild öffnen 2500 Schweine - das ist die aktuelle Kapazität von Raus Stallungen.
Bild öffnen Zugefüttert werden Molke und die Produktionsabfälle einer recht bekannten Zwiebackbäckerei.

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