Ein Tiramisu, eine Mousse au Chocolat, eine Birne Helene oder ein Grießpudding – wer kann dazu schon Nein sagen? Niemand. Kein Wunder, denn die Vorliebe für Süßes ist uns Menschen angeboren. „Neugeborene überall auf der Welt mögen süß, lehnen sauer, stark salzig und bitter ab“, weiß der Ernährungswissenschaftler Thomas Ellrott vom Institut für Ernährungspsychologie in Göttingen. Und er erklärt weiter: „Der amerikanische Kulturpsychologe Paul Rozin spricht vom ‚Sicherheitsgeschmack der Evolution‘, denn es gibt nichts Süßes auf der Welt, das gleichzeitig giftig ist.“
Die Evolution hat es uns also in die Wiege gelegt, dass Desserts – ob schokoladig, fruchtig oder cremig – immer für Begeisterung sorgen. Und so verwundert es nicht, dass der Dessertmarkt beim Blick aufs Molkereiprodukteregal eine nicht zu verachtende Größe darstellt. Der lässt sich anhand der Hauptzutaten in milch-, frucht- und wasserbasierte Produkte aufteilen. Die mit Abstand größte Gruppe bilden milchbasierte Produkte – von B wie Buttermilch-Dessert über M wie Milchreis bis hin zu P wie Porridge. Zu den fruchtbasierten Desserts gehört unter anderem Rote Grütze, zu den wasserbasierten Desserts Wackelpudding. Eine eigene Gruppe bilden die Spezialitäten, wie Tiramisu und Crème brûlée. Marktforscher unterteilen den Dessertmarkt etwas anders, und zwar in die Teilsegmente Pudding, Porridge, Mousse, Milchreis, Grütze, Grieß, Götterspeise, gesäuerte Desserts, Fruchtdesserts und Spezialitäten.
Dass sich mit Nachtisch Umsatz generieren lässt, zeigen die Zahlen des Marktforschungsunternehmens NIQ. Das Marktvolumen für frische Desserts im deutschen Lebensmitteleinzelhandel inklusive Drogerien lag in den letzten zwölf Monaten (KW 45/2022 bis KW 44/2023) auf einem rekordverdächtigen Umsatzniveau von rund 1,4 Milliarden Euro. Ein Jahr zuvor konnten dagegen „nur“ 1,26 Milliarden Euro erwirtschaftet werden.
Nach Pudding mit 740 Millionen Umsatz ist Grieß das umsatzgrößte Segment bei den Desserts. Besonders Federn lassen mussten Fruchtdesserts mit einem Rückgang von 18 Prozent im Umsatz. Zu den Klassenbesten 2023 gehört Milchreis, der dagegen den Umsatz um mehr als ein Viertel steigern konnte (2021: 98 Millionen Euro Jahresumsatz, 2023: 125 Millionen Euro Jahresumsatz). Ein echter Senkrechtstarter ist die noch neue Kategorie „Porridge“. Das Umsatzniveau steckt noch in den Kinderschuhen, die Zahlen zeigen aber: Da ist Musik drin. Lag der Jahresumsatz vor drei Jahren bei gerade einmal 300.000 Euro, kommt man heute schon auf 3,6 Millionen Euro.
Umsatzwachstum preisgetrieben
Bei solchen Zuwächsen wie denen von Milchreis, Porridge, Mousse und Götterspeise – wäre zumindest anzunehmen – müssten die Hersteller doch eigentlich steppen vor Freude. Weit gefehlt. Denn: „Das Umsatzwachstum im vergangenen Jahr ist rein preisgetrieben“, weiß die NIQ-Marktexpertin Ok-Zin Kim. Absatzseitig entwickelt sich der Dessertmarkt nämlich negativ. Das Minus beläuft sich auf 4 Prozent. Einzelne Konsumenten würden gar keine oder weniger Dessertprodukte im Lebensmittelhandel kaufen, so die Marktforscherin.
Es lohnt ein tieferer Blick in die Zahlen: Denn die Deutschen verzichten nicht – wie es auf den ersten Blick scheint – auf Nachtisch. Ganz im Gegenteil. Nach den zurückliegenden Corona-Jahren hat sich der Dessertgesamtmarkt 2023 wieder normalisiert und weist mengenmäßig gegenüber der Vor-Corona-Zeit (2018/2019) sogar Zuwächse auf. „Allerdings ist eine Verschiebung in den Out-of-Home-Bereich zu beobachten, was dazu führt, dass die Mengen im LEH etwas abgesunken sind“, beschreibt Carsten Habermann, Chief Operating Officer Business Unit Brand bei DMK, die Situation. Dieser Rückgang sei erwartbar gewesen. Denn Kantinen und Mensen haben wieder geöffnet, dort wird gegessen und auch der Nachtisch genossen. „Mittlerweile sollte sich die Normalisierung zwischen Out-of-Home- und In-House-Konsum eingestellt haben“, so Habermann. Als Indiz dafür nennt er die Absatzgewinne einiger Kategorien im ersten Halbjahr 2023. Dazu zählten Spezialitäten (plus 11,7 Prozent), Milchreis (plus 5,8), Mousse (plus 6,8) sowie Götterspeise (plus 6,6).
Bei Lösung der Gleichung aus Mehrerlösen bei gleichzeitig sinkenden Absatzmengen kommt die Variable „Preis“ ins Spiel. Lag der Non-Promopreis einer konventionellen Desserteinheit im vergangenen Jahr noch bei 3,44 Euro, stieg er in diesem auf 3,99 Euro (plus 16,3 Prozent). Überproportional stark zogen die Preise für gesäuerte Desserts, Grütze, Milchreis und Porridge an. Moderate Preiserhöhun-gen (plus 5,4 Prozent) gab es bei Spezialitäten, deren Preis schon 2022 bei 8,33 Euro je Einheit lagen. Vor allem bei Tiramisu und Crème brûlée spielten Handelsmarken eine große Rolle und trieben das Wachstum an, gibt NIQ-Fachfrau Kim zu bedenken.
Dass die Dessertpreise angezogen haben, hängt mit den Preissteigerungen für die Ausgangsprodukte wie Milch und Obstzubereitungen sowie den Energiekosten zusammen. Zusätzlich kämpfen die Molkereien mit den im Raum stehenden Beschlüssen der Ampelregierung zur Streichung der Kfz-Steuerbefreiung, die auch Milchsammelwagen betreffen würden. Auch die „immens gestiegenen Mautkosten sowie eine nochmals aufgeschlagene CO2-Bepreisung“ könnten die Preisspirale antreiben, so der Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes, Dr. Björn Börgermann.
Preisbewusster Genuss
Dass Shopper „insbesondere vor dem Hintergrund knapper Budgets“ (Stichwort: Inflation) auf den Preis schauen, sei keine Frage, meint Frank Mayerhofer, Director Marketing und Innovation bei der Privatmolkerei Bauer. Das bestätigt Christiane Koßmann, Executive Managerin Pizza & Fertigdesserts bei Dr. Oetker: „Wir stellen fest, dass Konsumenten derzeit preissensibel sind. Es wird viel in Aktionen gekauft und das Preis-Leistungs-Verhältnis rückt mehr in den Fokus.“ Mit der Folge, dass sich der Promotionsanteil bei Desserts im Vergleich zum Vorjahr deutlich erhöht hat. Mit einem positiven Nebeneffekt, so Marktforscherin Kim: „Der stärkere Promotionsabverkauf führt zu einem Wachstum gegenüber dem Vorjahr.“
Preis hin und Preis her, kleine Auszeiten in süßer Form sind wichtig, als Genussmoment oder als Belohnung. Die Zielgruppen in den einzelnen Teilsegmenten des Dessertmarkts sind aber unterschiedlich. „Mövenpick Pudding Intense wird gleichermaßen von jüngeren und älteren Familien gekauft wie von ‚Empty Nestern‘“, so Frank Mayerhofer. Auch mit der Produktmarke „Grand Dessert“ von Ehrmann werden Konsumenten angesprochen, die gerne conveniente Desserts aus dem Kühlregal konsumieren und sich im Alltag zwischendurch einen Verwöhnmoment gönnen, so Susanne Bagaméry, Head of Product Management bei Ehrmann. Auf Shopper, die auf Qualität achten, ein außergewöhnliches Geschmackserlebnis schätzen und sich mal etwas Besonderes, Süßes gönnen möchten, setzt man auch bei Della Mamma, der Dessert-Manufaktur mit italienischen Wurzeln und Sitz im bayerischen Neu-Ulm.
Umwelt- und ernährungsbewusste Bio-Käufer hat man bei den Berchtesgadener Milchwerke mit der Biojoghurt-Range im Blick. „Neben denen bieten wir seit vielen Jahren auch Fruchtquark in Naturland-Fair-Qualität an“, beschreibt Florian Zielinski, Verkaufsleiter Bio, das Dessertsortiment.
Die Generation Z und die Millennials greifen eher zur Porridge-Range. So zeigen Studien eine Transformation der traditionellen Essgewohnheit von drei großen Mahlzeiten am Tag hin zu kleineren, dafür häufigeren Mahlzeiten am Tag. Das Thema Snacking hat eine höhere Relevanz erhalten. „Dabei ist es den Konsumenten wichtig, dass die Snacks sättigend und lecker sein sollten und kein schlechtes Gewissen verursachen“, und genau das, so betont es Carsten Habermann, erfüllten die löffelfertigen Porridges mit glutenfreiem Vollkornhafer von Milram.
Beim Dessertmarkt ist zudem ein Trend zu bewusster Ernährung erkennbar. Proteinreiche Lebensmittel erfüllen genau diesen Trend und „so sprechen wir mit unserer Marke Ehrmann High Protein sowohl die ernährungsbewusste als auch die sportaffine Zielgruppe an“, so Susanne Bagaméry. Neben dem hohen Proteingehalt spielen auch weitere Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise laktosefrei, glutenfrei oder ohne Zuckerzusatz.
Vegan auch im Dessert?
Das Thema „vegan“ macht auch vor dem Dessertmarkt nicht halt. Durch die steigende Zahl der Flexitarier gewinnt das Segment an Bedeutung. Vegane Ernährung ist voll im Trend und bei den Verbrauchern beliebt. Obwohl das Thema vegan auch im Dessertbereich eine Rolle spielt, ist der Markt für vegane Fertigdesserts immer noch ein Nischenmarkt. Und der hat ganz aktuell sogar noch einen Dämpfer bekommen. „Vegane Desserts hatten es 2023 schwerer und konnten sich nicht positiv entwickeln, da die Shopper unter dem Eindruck der Inflation sowie dem Gefühl, sparen zu müssen, häufiger zu milchbasierten Produkten gegriffen haben“, resümiert Carsten Habermann von der DMK.
Was ein milchverarbeitendes Unternehmen wie eine Molkerei doch eigentlich freuen sollte, oder? „Wir haben da überhaupt keine Berührungsängste. Unseren Abfüllanlagen ist es egal: Die können Joghurt, Quark und auch vegane Desserts abfüllen“, stellt Florian Zielinski für die Berchtesgadener Milchwerke fest. Dass es in absehbarer Zeit vegane Desserts aus der südöstlichsten Molkerei Deutschlands geben wird, ist unwahrscheinlich. Grund dafür sei der inzwischen nicht mehr wachsende, sogar leicht rückläufige Markt.
Ganz so kritisch sieht das die Marktforschungsexpertin Kim nicht. Der vegane Dessertmarkt gewinne durch neue Produkte und Marken. Aber: „Die bereits auf den Markt gekommenen veganen Neuprodukte werden relativ schnell durch den Handel getauscht“, gibt sie zu bedenken.