Glas in der Krise Wie hohe Energiepreise und sinkende Nachfrage die Glashersteller bedrohen

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Die Glasindustrie kämpft mit hohen Kosten und sinkender Nachfrage. Während erste Schritte zur klimaneutralen 
Produktion gemacht werden, bleibt die Zukunft unsicher.

Dienstag, 03. Dezember 2024, 06:40 Uhr
Tobias Dünnebacke
Klimaneutralität in der Glasproduktion: Glasflaschen in der Produktion
Glas lässt sich nur bei enormer Hitze
herstellen. Die Produktion von Glasflaschen ist deshalb ausgesprochen
energieintensiv.
Bildquelle: O-I Glass

Für Menschen ohne Schutzanzug ist diese Hitze unerträglich: Bei rund 1.600 Grad Celsius wird aus Altglas, Quarzsand, Kalk und Soda die Grundlage für eine neue Glasflasche verschmolzen. Das geschieht in Anlagen, die so groß sind wie ein Schwimmbad, sogenannten Schmelzwannen. Um eine Wanne auf solch extreme Temperaturen zu erhitzen, benötigt man immense Mengen an Energie. Neben der Chemie- und Metall-Branche zählen die Glashütten daher zu den energiehungrigsten Industrien in Deutschland. Bis zu 90 Prozent des Energiebedarfs bei der Herstellung einer Glasflasche werden noch mit Erdgas gedeckt. Ein Rohstoff, der infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine 2022 teilweise extrem teuer wurde. Horrorpreise von weit über 300 Euro je Megawattstunde (MWh) haben sich zeitweise deutlich auf die Flaschenpreise für Getränkehersteller ausgewirkt. „Der Wegfall russischer Produktionskapazitäten und die Zerstörung ukrainischer Glashütten haben zu einer drastischen Verknappung des Angebots geführt“, berichtet Florian Weins, Geschäftsführer bei Fritz-Kola. In Kombination mit der Energiekrise seien die Kosten für Neuglas zeitweise um bis zu 80 Prozent gestiegen. Auch aktuell zahlen Großkunden aus der Glasindustrie laut Bundesnetzagentur mit rund 40 Euro/MWh immer noch fast viermal so viel für Erdgas im Vergleich zu vor der Krise. Doch das Weitergeben der Kosten wird schwieriger. Vor allem der Konsumrückgang von in Glas verpackten Lebensmitteln macht den Glashütten das Leben schwer. „Aktuell melden uns viele Lieferanten ungewöhnlich hohe Lagerbestände“, sagt Weins. Branchenkenner geben aktuell rund 13 Cent als groben Richtwert für den Einkaufspreis einer 0,33-Liter-Longneck-Flasche an. Deutlich unter dem Niveau vor der Krise.

Energieintensive Industrien

„Die Stimmung in der Branche ist nicht gut“, bestätigt Oliver Wiegand gegenüber der Lebensmittel Praxis. Er ist Geschäftsführer des bayerischen Herstellers Wiegand-Glas, mit 750 Millionen Euro Umsatz und einem Marktanteil von rund 25 Prozent an der bundesweiten Glasbehälterproduktion ein Schwergewicht der Branche. Wie groß der Schwund vor allem bei den Konsumgütern genau ist, belegen Zahlen vom Bundesverband Glasindustrie: Um 15,5 Prozent auf 3,89 Millionen Tonnen ist der Absatz von Behälterglas 2023 zurückgegangen. Besonders deutlich wird dies bei Getränken wie Bier, Mineralwasser und Spirituosen. Auch wenn sich das Minus im ersten Halbjahr 2024 abschwächte (-4,4 Prozent), hält der Rückgang noch immer an. „Die aktuelle wirtschaftliche Situation führt in einigen Segmenten dazu, dass zu günstigeren Alternativen, die nicht in Glas verpackt sind, gegriffen wird“, erklärt Wiegand die Dynamik.

Die Zahlen machen die Glashersteller nervös. Eine Kombination aus Absatzflaute und steigenden Herstellungskosten kann besonders in diesem Wirtschaftszweig toxisch wirken. Das zeigt das Beispiel des Traditionsunternehmens Weck, das im vergangenen Jahr Insolvenz anmelden musste.

Herausforderung Klimaneutralität

Hinzu kommt eine weitere Herausforderung: Laut Klimaschutzgesetz soll die deutsche Wirtschaft bis spätestens 2045 treibhausgasneutral sein. Für die Glasindustrie heißt das: weg vom Erdgas, hin zu Strom und grünen Gasen wie Wasserstoff, Biogas und synthetischem Methan. Hört man sich in der Branche um, herrscht große Ungewissheit, ob diese Transformation wirklich gelingen kann. „Die größte Herausforderung liegt darin, zunächst einmal ausreichend Grünstrom zur Verfügung zu haben, da die erforderliche Energie-Infrastruktur noch nicht vorhanden ist“, erläutert Dr. Johann Overath, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Glasindustrie. Außerdem müsste der CO2-neutrale Strom zu wettbewerbsfähigen Bedingungen verfügbar sein, damit die Glasindustrie am Standort Deutschland nicht gefährdet wird.

Das weiß auch Robert Habeck. Der Wirtschaftsminister der rot-grünen Minderheitsregierung hatte unlängst Entlastung für energieintensive Industrien in Aussicht gestellt, beispielsweise durch eine Befreiung von Netzentgelten. Grüner Strom soll außerdem billiger und verfügbarer werden durch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Für Unternehmer Wiegand nicht Garantie genug, um große Investitionen in elektrisch betriebene Wannen zu tätigen. Er rechnet vor: „Eine Schmelzwanne kostet bis zu 100 Millionen Euro und braucht rund 12 Jahre, bis sie sich amortisiert.“ Solange es keine Klarheit über Verfügbarkeit und Preisstabilität bei grünem Strom gebe, würden Investitionen seines Unternehmens noch auf fossiler Basis getätigt. Hersteller Fritz-Kola, der 90 Prozent seiner Glasflaschen in Deutschland einkauft, sieht hier den Gesetzgeber in der Pflicht: „Die Politik muss die Glasindustrie bei dieser Energiewende unterstützen und Deutschland als Industriestandort attraktiv halten“, so Weins gegenüber der Lebensmittel Praxis.

Deutsche Glasindustrie

Hersteller Ardagh Glass hat bereits einen ersten Schritt in die grüne Zukunft gewagt. Mit einer neuartigen Anlage am Standort Obernkirchen setzt das Unternehmen seit wenigen Monaten auf Hybrid-Technologie: Die Wanne bezieht ihren Energiebedarf zu 60 Prozent aus erneuerbarem Strom und zu 40 Prozent aus Gas. „Weltweit einzigartig“ sei diese Innovation. „Wir haben damit unseren Willen und die Fähigkeit gezeigt, neue Wege zur Dekarbonisierung zu beschreiten“, erläutert Jens Schäfer, Geschäftsführer Ardagh Glass.

Iris Vilsmaier, Geschäftsführerin bei Circujar, steht der grünen Vision positiv gegenüber. Das noch junge Münchener Unternehmen leiht beispielsweise Herstellern von Suppen und Soßen Mehrweggläser und organisiert auch die Rückführung und Reinigung. Die Unternehmerin sorgt sich nicht angesichts gewaltiger Investitionsaufwendungen der Glasindustrie um steigende Preise: Verteuerungen sehe man gelassen entgegen, da man die Formate bepfanden und der Glaseinkauf nicht mit einer einzigen Nutzung refinanziert werden muss. „Glas ist eigentlich immer noch zu günstig, wenn man bedenkt, dass es immer noch rentabel ist, Scherben und neuen Sand für eine Nutzung zu schmelzen, zu formen, zu prüfen, zu verpacken, zu liefern, zu befüllen, nach dem Entleeren wieder zu sammeln, zu transportieren, aufzubereiten, zu sortieren und dann mit der nächsten Schmelze zu beginnen“, so Iris Vilsmaier zum Thema Glas-Einweg.

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