Konsumrückgang Das Pils reicht nicht zum Überleben

Der deutsche Biermarkt wird kaum zu alter Stärke zurückfinden. 
Auf Konsumrückgang und Inflation reagieren die Brauer mit Produkten abseits von klassischem Bier sowie mit neuen Geschäftsmodellen.

Montag, 06. Mai 2024 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Das Pils reicht nicht zum Überleben
Bildquelle: Adobe Stock

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die Brauer haben laut dem Statistischen Bundesamt im letzten Jahr abermals eine gehörige Menge an Absatz verloren. 3,94 Millionen Hektoliter (‒4,5 Prozent) wurden weniger verkauft. Das entspricht etwa dem Wegfall eines großen Players im Markt. Etwas überspitzt formuliert könnte man den Bierabsatz auch als Seismograf für die Befindlichkeiten der Menschen im Land sehen, die durch ­politische Wirren und Inflation verunsichert sind. So zumindest sieht es Veltins-Geschäftsführer Dr. Volker Kuhl: „Der Sparreflex der Verbraucher ist 2023 durchgeschlagen – der Einbruch ist dramatisch ausgefallen. Einen solchen Volumenverlust hat es nicht einmal auf dem Höhepunkt der Pandemie gegeben.“ Lichtblicke in den Statistiken muss man mit der Lupe suchen. So ermittelten die Marktforscher von Nielsen lediglich für Hell-Bier und alkoholfreien Gerstensaft leichte Zuwächse. Alle anderen Sorten verlieren teils drastisch, insbesondere Pils (‒3,8 Prozent Absatz; Nielsen Consumer Panel KW 52, YTD). Dabei hätten die Brauer eigentlich eine Verschnaufpause gebraucht. Die ohnehin mit verändertem Konsumverhalten und niedrigen Preisen kämpfende Branche wurde durch die Corona-Pandemie und die Schließungen in der Gastro­nomie empfindlich getroffen. Ukraine-Krieg und Inflation erschweren zunehmend die Planung in diesem energiein­ten­si­ven Wirtschaftszweig. Hinzu kommt: Viele Betriebe wurden einst für eine hohe Auslastung gebaut. Ein geringerer Ausstoß lässt sich oft nicht mehr wirtschaftlich darstellen. Das Aus für die Binding-Brauerei in Frankfurt sowie die Insolvenz der Koblenzer Brauerei sind nur zwei prominente Beispiele dafür, dass die Lage ernst ist.

Dass dies sich auf absehbare Zeit nicht ändern wird, zeigt eine aktuelle Umfrage von Bonial (Axel Springer, unter anderem Kaufda) im Auftrag der LP (Details auf den Seiten 80 und 81). Sebastian Kerkhoff, Senior Vice President „Brands“ bei Bonial, rät: „Mit einem hohen Anteil an Verbrauchern, die zu Hause meistens Bier bevorraten und beim Kauf auf Angebote achten, ist es entscheidend, die Angebote effektiv zu kommunizieren.“

Birte Kleppien von der Radeberger Gruppe bestätigt den Trend zu Hell-Bier und alkoholfreien Sorten. „Bei Gebinden bevorzugen Konsumenten weiterhin Glas-Mehrweg, greifen jedoch verstärkt zu Getränkedosen. Starke, bekannte Marken werden gut nachgefragt. Das Gleiche gilt für renommierte internationale Premiumprodukte“, so die Sprecherin von Deutschlands größter Braugruppe. Andererseits kauften einkommensschwächere Haushalte inflationsbedingt vermehrt im Preiseinstiegsbereich.

Besonders spannend ist die Frage, wie die Brauer auf den rückläufigen Markt reagieren. Die Krombacher Gruppe hat bereits 2006 mit der Übernahme von Schweppes den Wandel zu einem breit aufgestellten Getränkehersteller vollzogen. Heute machen die Kreuztaler bereits rund ­40 Prozent ihres Geschäftes mit alkoholfreien Getränken.

Neue Geschäftsmodelle müssen her
„Wir möchten alle unterschiedlichen Konsumanlässe mit unseren Produkten bestmöglich bedienen. Und das schaffen wir dadurch, dass wir unterschiedliche Getränkekategorien in unserem Portfolio haben“, erklärt Krombacher-Sprecher Peter Lemm. Wettbewerber Haus Cramer (War­steiner) war lange in erster Linie Bierproduzent, schwenkt aber mit dem Markteinstieg in das Segment Mineralwasser ganz aktuell auch in Richtung AfG. „Mit unserer Eigenmarke El Puro steigen wir jetzt in ein bedeutendes Volumensegment der Gastronomie ein“, erklärt Uwe Albershardt, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing der Gruppe. Darüber hinaus agiert der Sauerländer Hersteller seit 2022 mit der Tochter Boxx Intermodal Logistics als Logistikunternehmen. Das Angebot: Langstreckentransporte auf der Schiene direkt vom eigenen Gleisanschluss, verbunden mit Lkw-Nachläufen bis auf den Hof des Kunden. Eine solche Vertikalisierung ist auch bei der Radeberger Gruppe seit Jahren Strategie. „Wir sind heute Getränkefachgroßhändler (Drink Port), Streckenlogistiker (Deutsche Getränke Logistik), Einzelhändler (Getränke Hoffmann), Anbieter vernetzter Systemlösungen und halten Beteiligungen am führenden Leergutsortierer (H. Leiter) sowie einer Kommunikationsagentur (Online Dialog)“, so Kleppien gegenüber diesem Magazin. Bitburger kooperiert seit diesem Jahr mit Zentis im Rahmen eines gemeinsamen Joint Venture mit dem Namen „V-Comp Pro“, das getreidebasierte Grundstoffe vertreibt, die bei der Herstellung von trink- und essbaren Milchersatzprodukten benötigt werden.

Neue Sorten sind hell oder alkoholreduziert
Doch zurück zum 84 Millionen Hektoliter großen Biermarkt. Welche Innovationen und Neuheiten werden in diesem Jahr den Markt bewegen? Veltins hört dabei auf die Verbraucher und setzt als Pils-Schwergewicht zum zweiten Mal auf den Hell-Trend. Beflügelt vom Erfolg des „hellen Pülleken“ kommt dieser Tage ein weiteres Hell-Bier in die Regale: Veltins Helles Lager soll dabei auf die Stärke der Dachmarke sowie einen „internationalen Lager-Biergeschmack“ setzen. Trotz aller Euphorie über das Wachstum will Veltins-Chef Kuhl die Verhältnisse etwas geraderücken: „Das Helle hat mit einem Marktanteil von rund 10 Prozent eine beachtliche Entwicklung hingelegt. Trotzdem: Hier ist immer noch eine deutliche Süd-Dominanz zu beobachten: 65 Prozent aller Hell-Biere im Handel werden in Bayern und Baden-Württemberg getrunken.“ Bei Warsteiner setzt man auf das zweite Wachstumsfeld: weniger Alkohol. Mit Warsteiner Extra gibt es jetzt auch eine alkoholreduzierte Variante, mit der Hälfte an Umdrehungen im Vergleich zum klassischen Pils. Auch bei der Bitburger Braugruppe, die derzeit keine Neuheiten in den Markt bringt, hat man aus guten Gründen Hoffnung für alkoholfreie Produkte. „Die Bitburger Braugruppe konnte zuletzt deutlich stärker als der Gesamtmarkt wachsen – und das bereits im dritten Jahr in Folge. Ein wesentlicher Faktor für diesen Erfolg ist der Marke Bitburger zuzuschreiben, die insbesondere im alkoholfreien Segment beeindrucken konnte“, so Thomas Kröffges, Vertriebsdirektor Handel Bitburger Braugruppe.

Radeberger hat ebenso keine Neuheiten in der Pipeline und möchte lieber die Darstellung bestehender Marken überarbeiten. „Hohe Wertigkeit, eine zeitgemäße, moderne und fokussierte Darstellung wesentlicher Produkteigenschaften sowie eine optimale, auffällige und schnelle Wiedererkennbarkeit am PoS stehen im Vordergrund – so auch bei den Relaunches von Radeberger Pilsner, Radeberger Alkoholfrei und den Schöfferhofer Mixes“, so Kleppien. Gleiches gelte für das ab Mai veränderte Design für Clausthaler Alkoholfrei.

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