Güterverkehr Auf der Schiene durch die Krise

Getränkehersteller entdecken die Bahn wieder für sich. Verstopfte Straßen, Fahrermangel und hohe Spritpreise machen es nötig. Praktiker berichten von ihren Erfahrungen.

Montag, 27. Februar 2023 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Auf der Schiene durch die Krise
Bildquelle: Warsteiner

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Haben zahlreiche Lebensmittelhersteller viele Jahre lang ihren Bahnanschluss zurückgebaut oder schlicht verrosten lassen, kommt es jetzt zu einem bemerkenswerten Comeback des Schienengüterverkehrs. Diese Entwicklung ist auch in der Getränkeindustrie zu beobachten; die Gründe liegen auf der Hand: „Ganzjährige Versorgungssicherheit, Lkw-Fahrermangel und knapper Lkw-Frachtraum sowie das Potenzial, CO2 einzusparen, würde ich als die großen Vorteile der Schiene nennen“, sagt Christian Betchen. Der Geschäftsführer derKreisbahn Siegen-Wittgenstein (KSW) muss es wissen, gilt er doch dank des gemeinsamen Projekts mit Getränkegroßhändler Trinks als einer der Architekten des Revivals von Flaschen auf der Schiene.

Im Mai 2021 startete die Krombacher Brauerei mit dem Großhändler Trinks (an dem sie selbst beteiligt ist) und DB Cargo mit ersten Getränketransporten von einem Terminal in Kreuztal nach Großbeeren in der Region Berlin. Seitdem haben die Partner ihre Zusammenarbeit ausgebaut und auch wegen der baustellenbedingten Sperrung der Autobahn A 45 weitere Transporte auf die Schiene verlagert.

Die KSW ist Mitbetreiber des „Südwestfalen Container-Terminals“ in Kreuztal und übernimmt die Rangierfahrten vor Ort. Die Züge fahren im Pendelverkehr und verlassen die Brauerei mit vollen Flaschen und bringen auf dem Rückweg Leergut mit. Sebastian Schilling, Senior Vice President European Sales and Corridor Development bei DB Cargo, bejubelte damals den Deal mit der Getränkewirtschaft: „Mit jedem Lkw, der nicht auf der Straße fährt, entlasteten wir Autobahnen und Umwelt. Bei Transporten über die Schiene fällt 80 bis 100 Prozent weniger CO2 an.“

Heute, rund eineinhalb Jahre nach dem Start des Projektes, fällt auch das Fazit von Betchen positiv aus: „Im Schienengüterverkehr weht ein frischer Wind. Es ist der Zeitgeist der Kooperation.“ Dies gelte nicht nur für das Zusammenarbeiten von kleinen Kreisbahnen mit dem „Riesen“ DB Cargo, sondern auch für Auftraggeber und Lieferanten. Dass das Projekt „Krombacher auf der Schiene“ läuft, zeigt die Tatsache, dass neben Großbeeren mittlerweile auch Bremen und Hamburg mit Getränken aus der Kreuztaler Brauerei beliefert werden. „Diese Kooperation wird weitergehen und wir konnten bei Weitem noch nicht das volle Potenzial ausschöpfen. Täglich verlassen rund 200 Lkw-Ladungen die Krombacher-Brauerei. Bei uns sind es gerade einmal zwölf die Woche. Da ist also noch Luft nach oben“, so Betchen.

Möglich macht diese Renaissance auch die Tatsache, dass DB Cargo wieder den Einzelwagenverkehr für sich entdeckt hat. Somit entfallen bisherige Hemmnisse wie die Auslastung eines ganzen Zuges oder mehrjährige Vertragslaufzeiten. Die „kombinierte Logistik mit Einzelwagentransport“, so der Fachbegriff, setzt auf kurze Lkw-Fahrten, beispielsweise von einer Brauerei zu einem Verladeterminal, sowie Einzelwagenverkehr mit intermodalen Ladeeinheiten. Vereinfacht gesagt sind das Container, die sowohl mit Lkw als auch der Bahn kompatibel sind und einfach über Kräne verladen werden können.

Schiene als Geschäftsmodell?
Wie attraktiv die Schiene für Getränkehersteller geworden ist, zeigt auch das Beispiel der Warsteiner Brauerei, die seit einigen Tagen als „Haus Cramer Gruppe“ firmiert. Die Brauerei hat das Thema Schienenlogistik mit der Gründung der eigenen Tochter Boxx Intermodal Logistics 2021 zum Geschäftsmodell erklärt, um abseits des eher schwierigen Biergeschäftes auch Geld zu verdienen. „Wir verstehen uns künftig nicht mehr als reine Bier-Company, sondern öffnen uns für alle Geschäftsbereiche“, sagte Helmut Hörz, CEO & CFO sowie Vorsitzender der Geschäftsführung der Haus Cramer Gruppe, jüngst über die Neuausrichtung des Unternehmens. Die Logistik-Tochter bleibt dabei nicht auf Bier-Pullen beschränkt, wie Boxx-Geschäftsführer Daniel Küster gegenüber Lebensmittel Praxis erläutert: „An erster Stelle steht bei uns natürlich der Transport von Getränken aller Art vom Sauerland hin zu allen Destinationen in Deutschland und auch Europa. Außerdem transportieren wir von Warstein aus Holz in den Seehafen Hamburg, von wo aus per Rückfracht Textilien, Elektrogeräte und Leuchten ins Sauerland kommen. Aus Italien finden Nudeln und Marmorplatten ihren Weg per Schiene zu unserem Containerterminal.“ Für die Brauerei ist der Schienenverkehr als Transportmittel nichts Neues, denn sie besitzt seit 2005 einen eigenen Gleisanschluss auf dem Brauereigelände, für den mehr als sieben Kilometer Gleise und 21 Weichen verlegt wurden. Diese Entscheidung kommt dem Brauer jetzt zugute und die Zeichen stehen auf Wachstum: Der Containerumschlag in Warstein soll sich in Zukunft deutlich vergrößern, um Neukunden eine professionelle intermodale Lösung anbieten zu können.

Auch Wettbewerber Bitburger will mehr Kapazitäten von der Straße auf die Schiene verlagern. Zwar werden derzeit über 80 Prozent der Produkte direkt ab Rampe von den Kunden in Bitburg abgeholt. „Dennoch beschäftigen wir uns intensiv mit trimodalen Transportketten. Unser Ziel ist es, wo immer es möglich ist, unsere Getränketransporte auf die Schiene oder auf das Wasser zu verlagern“, erklärt Stefan Braß, Leiter Supply Chain Management der Bitburger Braugruppe. Ein Teil der Transportware würde in Duisburg direkt per Bahn oder Schiff ins Ausland exportiert. „Außerdem setzen wir uns bei den verantwortlichen Stellen dafür ein, verbesserte Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns einen zusätzlichen kombinierten Verkehr ermöglichen“, so Braß.

AfG-Primus fährt Bahn
Auch der Weltmarktführer bei alkoholfreien Getränken, Coca-Cola, ist ein Fan der Bahn. Die Verlagerung von Langstrecken-Transporten ab 300 Kilometern auf die Schiene begann bereits 2016 mit einem Pilotprojekt gemeinsam mit DB Cargo an einem Coca-Cola-Standort im Norden, wo Mineralwasser der Marke Vio abgefüllt wird. Der Getränkeriese ist mit seinen 28 Standorten in Deutschland bemüht um eine möglichst regionale Produktion und Distribution. Bei Vio allerdings macht diesem Vorhaben die Mineral- und Tafelwasserverordnung ein Strich durch die Rechnung: Demnach darf Mineralwasser natürlich nur am Quellort abgefüllt werden. Eine nationale Distribution per Lkw verschleudert so viel CO2. „So entstand die Idee, die Getränke über längere Strecken nachhaltiger zu transportieren – über die Schiene mit DB Cargo. In den Folgejahren haben wir die Anzahl der Strecken zwischen unseren Standorten gemeinsam mit DB Cargo nach und nach ausgebaut“, erklärt Christina Witt, Sprecherin von Coca-Cola Europacific Partners Deutschland. Im Jahr 2021 ist schließlich ein umfangreiches Schienengüternetz entstanden, das 13 der Abfüllbetriebe über 19 Strecken miteinander verbunden hat. 2022 verbanden schon 21 Bahnstrecken 15 Coca-Cola-Standorte. „So haben wir in den vergangenen drei Jahren (2020–2022) insgesamt rund 5 Millionen Lkw-Kilometer und rund 3.000 Tonnen CO2 gespart“, so Witt weiter.

Die Möglichkeit für regionale Produktions- und Vertriebsstrukturen hängt manchmal auch an der Akzeptanz der Verbraucher. So wurde bei der Einführung 2019 die 1-Liter-Mehrweg-Glasflasche für Coca-Cola und Coca-Cola Zero Sugar zunächst nur im Süden produziert und per Bahn in den Norden transportiert. Wie gut sich das neue Produkt schlagen würde, stand da noch in den Sternen. Inzwischen ist das Gebinde so beliebt, dass es auch an einem weiteren Produktionsstandort im Norden abgefüllt wird und damit Langstreckentransporte entfallen.

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